Berliner Spar-Requiem und Trumps Chaos-Oper

März 3, 2025
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Treffen mit fatalen Folgen (Foto: Youtube)

Willkommen in der neuen Klassik-Woche,

die Oper Nixon in China erzählt ein Kapitel der internationalen US-Diplomatie, und die erreichte letzte Woche mit dem Spektakel Selenskyi in Washington ihren historischen Tiefpunkt. Wir haben bei BackstageClassical seit dem erweiterten, unrechtmäßigen Angriff Russlands auf die Ukraine vor drei Jahren immer wieder hingeschaut, welche Rolle die Kultur in Sachen Propaganda spielt: Sie ist nicht zu unterschätzen! Nach dem Eklat im Weißen Haus ist noch deutlicher, dass es auf die Haltung der Kulturnationen in Europa ankommt. Während Opfer zu Tätern verkehrt werden ist es unverantwortlich, keine Position einzunehmen – unsere freiheitliche (Kultur)Gesellschaft steht auf dem Spiel.

Christian Tetzlaff boykottiert Trumps USA

Der Geiger Christian Tetzlaff erklärte der New York Times, dass er seine geplanten Auftritte in den USA absagt – aus Protest gegen Donald Trump. »Es fühlt sich an, als würde ich als Kind einen Horrorfilm sehen«, sagt Tetzlaff. Er kritisiert, dass die US-Regierung die Ukraine im Krieg gegen Russland im Stich lasse und sich zunehmend von demokratischen Werten entferne. Der Geiger wird bei Kultur-Ignorant Trump kaum etwas bewirken, aber er setzt ein Zeichen, dass Widerstand möglich (und nötig) ist. Protest fällt in den USA derzeit noch weitgehend leise aus, nur einzelne Künstler wie Renée Fleming haben mit Rücktritt auf den Kurswechsel des Kennedy Centers reagiert. Dort flog inzwischen übrigens auch ein LGBTQ-Orchester aus dem Programm. Wie schwer politischer Protest ausgerechnet der Kulturszene fällt, haben wir in Österreich gesehen, als es kurzzeitig so aussah, als könne Herbert Kickl Bundeskanzler werden – die großen Institutionen blieben weitgehend still.    

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Dirigentin Keri-Lynn Wilson kämpft mit Taktstock

Zerrissen zwischen Trumps neuem US-Kurs und dem Krieg in der Ukraine ist auch die Dirigentin Keri-Lynn Wilson. Die Frau von MET-Chef Peter Gelb äußert sich im BackstageClassical-Podcast besorgt über die fragile Situation der Welt, besonders darüber wie unter Trump Werte von Wahrheit, Gerechtigkeit und Freiheit ins Wanken geraten. arte hat gerade Beethovens 9. Symphonie mit dem von Wilson gegründeten Ukrainian Freedom Orchestra übertragen. »Wir kämpfen für die Ukraine an der kulturellen Front«, sagt Wilson im Podcast. »Ich betrachte meinen Dirigierstab als meine Waffe, und diese Waffe wird eingesetzt, um meine geliebten Musiker zu inspirieren, die ich Soldaten der Musik nenne. Dieses Orchester ist ein Weg, um genau das auszudrücken, was Putin zu töten versucht: die ukrainische Kultur.«

Weitere Podcasts bei BackstageClassical

Wie geht es weiter in Berlin?

In den letzten Wochen haben mich viele Kulturschaffende aus Berlin angesprochen, weil sie nicht wissen, wie es weitergeht mit den Sparmaßnahmen. »Jeder kämpft für sich«, sagen einige, »und niemand weiß, was passiert.« Ich habe mich umgehört, und es scheint tatsächlich schlimmer zu werden, als es sich in den beschwichtigenden Worten des Regierenden Bürgermeisters Kai Wegner anhört: Nach den Kürzungen für 2025 stehen nun definitiv weitere massive Einsparungen in Höhe von jeweils 160 Millionen Euro für die Jahre 2026 und 2027 auf dem Plan (plus drei Prozent aus Tarifzusagen). Zwar gibt es noch Rücklagen, aber die sichern derzeit die Existenz vieler Häuser. Während Senator Joe Chialo sich wohl in Richtung Bundesregierung aus dem Staub machen will, versucht Staatssekretärin Sarah Wedl-Wilson, weitere Synergien in Verwaltung und bei den Werkstätten (vor allen Dingen bei der Volksbühne!) zu schaffen. Doch all das wird kaum reichen, um die Sparziele zu erfüllen. Derzeit geht es darum, wie viel Spielraum Wegner der Kulturszene erlauben wird. Meine Einschätzung: hier.  

Der Kultur-Babler? 

In Österreich wurde eine Regierung unter FPÖ-Mann Herbert Kickl durch eine Koalition von ÖVP, SPÖ und NEOS abgewendet – neuer Verantwortlicher für die Kultur wird SPÖ-Parteichef und künftiger Vizekanzler Andreas Babler. Der ist durch Hochkultur bislang nicht sonderlich aufgefallen, im Wahlkampf stimmt er das Lied des einfachen Menschen an, und eine Spotify-Playlist unter seinem Namen vereint Songs von Hannes Wader, den Toten Hosen, U2 und ganz viel Falco. Ich stelle mir gerade vor, wie dieser Babler bei der Eröffnung der Salzburger Festspiele mit Markus Hinterhäuser intellektuelle Kultur-Dialoge führt! Auch Bablers Staatssekretärin, die Juristin Michaela Schmidt, ist im Kultursektor bislang noch nicht auffällig geworden. 

Drei Opern-Modelle für eine Zukunft? 

Um so beruhigender zu sehen, dass die Kultur in einer Stadt wie Wien noch funktioniert. Ich habe mir Mal die drei großen Opernhäuser angeschaut, sie zeigen die Vielfalt des Genres: Stefan Herheim denkt Oper von der Kunst, Lotte de Beer bewegt eine ganze Stadt, und Bogdan Roščić pflegt ein erfolgreiches Opernmuseum. Drei Häuser, drei Opern-Konzepte. Warum das auch ein Vorbild für Berlin sein könnte, erkläre ich hier!   

Zoff in Münster

Katharina Kost-Tolmein (Foto: Theater Münster Pipprich)

Was ist denn am Theater in Münster los? Der interne Streit eskaliert und wird nun öffentlich. Es geht um die Zukunft von Generalintendantin Katharina Kost-Tolmein. Zwei gegensätzliche Briefe aus der Belegschaft sind in den letzten Tagen aufgetaucht: Eine Gruppe von rund 30 Mitarbeitenden spricht sich für ihren Verbleib aus, während eine größere Gruppe zuvor ihre Vertragsverlängerung ablehnte. Mehr hier.

Kritiken bei BackstageClassical

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Personalien der Woche

Diese Pressemitteilung der Salzburger Osterfestspiele ist – mal wieder – etwas ungewöhnlich. Eine Vertragsverlängerung von Intendant Nikolaus Bachler sei vom Aufsichtsrat empfohlen worden, müsse aber noch von den Gesellschaftern bestätigt  und verhandelt werden. Na denn: Good luck! +++ Immerhin: So geht Aufklärung. Der Aufsichtsratsvorsitzende der Linzer Veranstaltungsgesellschaft Meinhard Lukas, zu der auch das Brucknerhaus gehört, rechnet vor, dass derzeit 1,5 Millionen Euro fehlen. Grund sind unter anderem zu viele Überstunden und zu teure Beraterverträge. Bevor eine neue Leitung ernannt wird, sollen alle Zahlen transparent auf den Tisch. Derzeit wird das Haus interimistisch von Johanna Möslinger geleitet, aber es gibt wohl auch weitere vielversprechende Bewerberinnen und Bewerber.

Und wo bleibt das Positive, Herr Brüggemann?

Ja, wo zum Teufel bleibt es denn? Vielleicht ja hier: Jonas Kaufmann steht ein bisschen wie ein Fremdkörper inmitten der Bayern-Fans, wenn er die neue Stadionhymne  des FC singt und dabei irgendwann irgendetwas Italienisches schmettert. Als Werder-Fan finde ich das natürlich nur wenig authentisch, aber hey: Ihr seid Ihr! Für mich Anlass genug, noch einmal meine Fußball-Musik-Klassiker anzuschauen:

Da sind natürlich die WM-Schlager-Gesänge der Nationalmannschaft: Ganz vorn Fußball ist unser Leben mit Kaiser Franz und der Nationalmannschaft 1974, dann mit Udo Jürgens Buenos Dias Argentina und mit Michael Schanze Olé Espania. Allzeit-Klassiker ist freilich Garry & the Pacemakers mit You‘ll never Walk alone, gleich gefolgt von Herbert Grönemeyer und Zeit, dass sich was dreht. Die Drei Tenöre haben nicht nur in Caracalla geschmettert, sondern auch gekickt: Hier ist Placido Domingo als Fussballspieler zu sehen. Schön auch, wie die Oper Frankfurt ihre Eintracht Frankfurt durch die Corona-Zeit gedribbelt hat. Hey, lieber Werder-Vorstand Klaus Filbry – da ist Luft nach oben für eine Lebenslang Grün-Weiß Klassik-Version!  

In diesem Sinne: Halten Sie die Ohren steif

Axel Brüggemann

Axel Brüggemann

Axel Brüggemann arbeitet als Autor, Regisseur und Moderator. Er war als Kulturredakteur und Textchef bei der Welt am Sonntag tätig und schrieb danach für die Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung. Heute veröffentlicht er u.a. im Tagesspiegel, im Freitag, der Jüdischen Allgemeinen oder in der Luzerner Zeitung. Er arbeitet für Radiosender wie den Deutschlandfunk, den WDR oder den HR. Seine Fernsehsendungen und Dokumentationen (für ARD, ZDF, arte oder SKY) wurden für den Grimmepreis nominiert und mit dem Bayerischen Fernsehpreis ausgezeichnet. Brüggemann schrieb zahlreiche Bücher u.a. für Bärenreiter, Rowohlt, Beltz & Gelberg oder FAZ Buch.

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