Der »Parsifal« mit Jonas Kaufmann hätte eine Referenzaufnahme unserer Gegenwart werden können. Dafür hätte es nur eines anderen Dirigenten bedurft.
Kaum eine Oper erwartet von einem Dirigenten so viel Positionierung wie Richard Wagners »Parsifal«: Heilig wie Knappertsbusch oder entheiligt wie Boulez? Als Rausch wie bei Thielemann oder als Farbmalerei wie bei Pablo Heras-Casado (ein Interview mit ihm über seine Bayreuth-Interpretation hier)? Und genau diese Positionierung ist das Problem dieser neuen »Parsifal«-Einspielung von Sony, denn Philippe Jordan scheint sich gar keine Gedanken über einen grundlegenden Blick auf diese Oper um Schmerz, Sünde und Erlösung gemacht zu haben, um die Frage, was den alten Glauben heute ersetzen könnte oder: wohin Wagner uns mit seiner Musik führen könnte.
Das ist um so erstaunlicher, weil die Zeit dieser Aufnahme, die Corona-Pandemie, prädestiniert war, genau diese Fragen zu stellen. Und Regisseur Kirill Serebrennikov hat seine Antworten damals auf der Bühne der Wiener Staatsoper durchaus gegeben (per Zoom aus Moskau). Nun ist ein Mitschnitt dieser denkwürdigen Aufführung erschienen, und: Sie hätte eine Referenz für die »Parsifal«-Deutung unserer Zeit werden können.
Das Ensemble dafür war gegeben. Für Jonas Kaufmann ist die Titelrolle perfekt zugeschnitten – es gibt keine zu großen vokalen Anforderungen (anders als beim Tristan oder Siegfried), der Tenor kann mit seiner Stimme Psychologien formen, und das tut er auch naiv zuweilen, kämpferisch dann wieder und verzaubert.
Für letzteres sorgt besonders Elīna Garančas Kundry. Sie hat in Wien für ihren fulminanten Bayreuth-Auftritt geprobt. Und wie! Selten hört man so viel VerKÖRPERUNG in dieser Rolle, so viel lodernde Verführung in der Stimme – ein musikalischer Funke, der sich im Gesamtzen zweiten Aufzug auf Jonas Kaufmann überträgt.
Und auch die anderen Rollen sind aus der Stimm-Championsleague besetzt: Georg Zeppenfeld ist mehr als Zuverlässig – er verströmt Weisheit, Suche und Gebrochenheit in seiner Silberstimme als Gralshüter Gurnemanz. Ludovic Tézier erhebt das Leiden als Amfortas zur Tugend, bereits jenseits der Potenz, aber mit schauspielerischer Verve operiert Wolfgang Koch als Klingsor.
Es war also alles angerichtet für eine Große Aufnahme. Allein Dirigent Philippe Jordan verschleppt schon die Ouvertüre. Vielleicht lag es am leeren Opernhaus, dass der Dirigent das Orchester der Wiener Staatsoper nicht zwingend durch die Leidens- und Erlösungsmomente der Partitur führt. Vielleicht aber auch daran, dass Philippe Jordan sich keine Mühe gemacht zu haben scheint, sich zu fragen, was er mit diesem »Parsifal« eigentlich will. Die Zeit wird hier nicht zum Raum, sondern zu einer zähen Angelegenheit, die sich ohne Akzente, ohne Farbtiefe und ohne Maß in die Bedeutungslosigkeit meändert. Schade.
★★★☆☆
Wagner: Parsifal
Jonas Kaufmann, Elīna Garanča, Ludovic Tézier, Chor & Orchester der Wiener Staatsoper, Philippe Jordan
Label: Sony Classical