Peter Konwitschny inszeniert in Dortmund Wagners Rheingold und lässt unseren Autoren nostalgisch werden.
Es war ein bisschen wie eine Reise in die Vergangenheit. Zurück in die Steinzeit. Aber auch in das Jahr 2000. Damals, vor 24 Jahren, hatte mir die Götterdämmerung eine neue Opern-Welt eröffnet: Siegfried reitet auf dem Steckenpferd in den Weltuntergang. Ich war gerade fertig mit dem Studium und stand im Auditorium der Oper Stuttgart und brüllte »Bravo! Braaaavo!!!! Braaaaaavo!!!!!« Mir schien es damals wichtig, alle »Buhs« an diesem Premierenabend zu übertönen.
Ja, Peter Konwitschny war mir eine Offenbarung. Ich war sein Groupie, nicht erst seit der Götterdämmerung. Ich bin ihm vorher und nachher hinterhergereist und konnte mich einfach nicht satt sehen an seinen Konzepten, seinen Überraschungen, seinen Effekten. Daran, wie er die Oper in mein Leben holte. Ich berauschte mich an seinem Don Carlo-Autodafé im Foyer der Hamburger Oper, zu dem das Publikum genüsslich Canapés naschte, an seiner Giga-Festwiese mit Mini-Meistern in den Meistersingern von Nürnberg, oder an seinem Don Giovanni an der Komischen Oper, in dem er – zum Schock des Publikums – sogar in die Musik eingriff …
Begegnung mit meinem alten Opern-Ich
Irgendwann glaubte ich aber, all seine Schubladen zu kennen, Konwitschnys Timing, sein Spiel mit unserer Wahrnehmung, die Strickart seiner Charaktere und seine Methoden der Vergegenwärtigung. Da begann ich mich dann eher für Hans Neuenfels zu begeistern, weil der jede Oper wirklich als unbeschriebenes Blatt neu entdeckte und ihr nicht nur seinen Erzähl-Stempel aufdrückte, sondern stets einen neuen Stempel aus der Musik heraus für seine Interpretationen fand.
Inzwischen habe ich schon lange keine Konwitschny-Inszenierung mehr gesehen. Bis jetzt. Es war wieder ein Wagner. Wieder der Ring des Nibelungen – dieses Mal: Das Rheingold. Es war die Premiere an der Oper in Dortmund.
Die Inszenierung war wie eine Begegnung mit meinem alten, enthusiastischen Opern-Ich. Alles war da: das perfekte Handwerk, das geniale Timing, die finale Überraschung und die irritierende Wendung. Und, ja, auch mein Respekt! Aber es gelang mir heute nicht mehr richtig, das alles im Jetzt zu feiern. Es war eher eine Versöhnung mit einer alten Opern-Welt, an der unsere Zeit ebenso vorbeigezogen ist wie mein Leben. Nur Peter Konwitschny pflegt diese alte Welt und ihre Klischees noch immer. Warum? Wahrscheinlich, weil er es kann.
Konzept vom Reißbrett
Die Idee zu seinem Rheingold stammt vom Regie-Reißbrett: Die Götter sind archaische Steinzeitmenschen, Kreaturen in Fell-Behausungen und Fell-Bekleidung vor dem Sündenfall (Freias Äpfel!). Der Plot ein Symbol der Evolution: Alberich und Mime leben nach dem Goldraub als Business-Men im anonymen Hochhaus-Kapitalismus und bekommen Besuch von ihren Ur-Vorfahren. Der Tarnhelm ist ein iPad, das Gold mutiert zu (gähn!) Nuklearbomben. Dann geht es wieder zurück zu »Wotan Geröllheimer« und seiner Frau »Wilma«-Fricka, Jabadabado hinein in Wagners »Ringstones«.
Erda kreuzt als Armen-Mutter mit Supermarktwagen auf und wickelt zur Weissagung ihr schreiendes Baby. Am Ende dann die große Verwandlung und der (etwas sehr geplante) Schluss-Effekt: die Götter verwandeln sich in Anzugträger, zittern greisenhaft im Rollstuhl, während die Rheintöchter ihnen den Sabber aus dem Mundwinkel wischen und schließlich einen Regenbogen-Protest-Banner aufspannen: »Falsch und feig ist, was dort oben sich freut.« Der Einzug der Götter ins Altersheim Walhall. Ach ja, das Publikum muss auch noch involviert werden, also lässt Konwitschny Regenbogen-Flugblätter ins Auditorium regnen.
All das ist handwerklich natürlich exzellent gemacht, von Alberichs Goldraub auf Klappleitern mit goldenem Deus ex machina-Abgang bis zum Finale mit sechs Harfenistinnen für ein Halleluja auf der Seitenbühne. Aber irgendwie hängt die Patina über allem so schwer wie der andauernde Bühnennebel. Konwitschnys Rhetorik stammt aus den 1990er Jahren, der Regie-Holzhammer ist ebenso präsent wie die Keulen auf der Steinzeit-Bühne. Und letztlich wirken am Ende selbst die Bravos und die Buhs ein bisschen routiniert.
Muss jedes Opernhaus Wagner machen?
Ein wenig beschleicht einen die Grundfrage: Muss eigentlich jedes Opernhaus einen eigenen Ring stemmen? Zumal einen Aufguss, beziehungsweise eine Fortschreibung nach 24 Jahren? Denn auch musikalisch klappert allerhand bei den Dortmunder Philharmonikern. Dirigent Gabriel Feltz wählt sehr schleppende Tempi, ohne die innere Spannung aufrecht halten zu können. Immer wieder zerbröselt ihm der Fluss unter seinen großen, ambitionierten Bewegungen: Sängerinnen und Sänger verhungern auf offener Bühne, das Zusammenspiel gerät aus der Balance, der Rhythmus verschleppt, die Motive verschwinden im Grau. Die innere Statik dieses Abends will einfach nicht tragen.
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Dabei verfügt das Theater Dortmund über ein durchaus spannendes Ensemble: Tommi Hakala singt einen souveränen, wortverständlichen, fast schauspielerisch leichten Wotan, Melissa Zgouridi eine wirklich berührende Erda, Sungho Kim verpasst leider seinen großen Brücken-Einsatz als Froh hat aber eine wundervolle Klangfarbe, Joachim Goltz als Alberich spielt sich leidenschaftlich durch die Rolle und Fritz Steinbacher stellt einen typisch lustvollen Spieltenor als Mime vor.
Auf dem Heimweg habe ich mich wieder in Stuttgart gesehen, vor 24 Jahren. »Bravo« schreiend. Heute habe ich das Rheingold nüchtern abgenickt. Habe ich mich verändert? Oder die Welt? Peter Konwitschny sicher nicht.
★★★☆☆
Transparenzhinweis: BackstageClassical wurde von der Oper Dortmund eingeladen.