Wie sich der Deutsche Musikrat reformieren muss

Oktober 30, 2025
2 mins read
Lydia Grün
Präsidentin der Münchner Musikhochschule Lydia Grün (Foto: Musikhochschule München)

Lydia Grün wird neue Präsidentin des Deutschen Musikrates. Eine gute Wahl. Aber sie hat auch viel aufzuholen. Ihre Institution ist zu sehr in die Jahre gekommen.

Die Musik in Deutschland steckt in einer Multi-Krise. An unseren Schulen fehlen tausende Lehrkräfte, das Fach Musik fällt zum großen Teil einfach aus. Deutsche Theater und Orchester werden zusammengespart, und der Betrieb an sich schafft es nur schwer, sich zu modernisieren. Machtmissbrauch, sexuelle Übergriffe und prekäre Arbeitsverhältnisse machen das Arbeiten um Musikbetrieb zunehmend unattraktiv. Unsere Institutionen werden vom Wandel überrollt. Es gäbe also viel zu tun für den Deutschen Musikrat. 

Doch der ist in den letzten Jahren hauptsächlich durch ein Dauer-Lamento aufgefallen. Jeder Missstand wurde pflichtgemäß angeprangert – und damit auch irgendwie abgehakt. Eine Pressemitteilung hier. Eine Empörungs-Mail dort. Aber in Wahrheit wirkte Deutschlands größte kulturpolitische Musikorganisation unter ihrem alten Präsidenten Martin Maria Krüger eher wie eine Behörde. Dabei hatte der alte Präsident durchaus Verdienste. Er hat die marode Institution wieder ins finanzielle Gleichgewicht gebracht. Doch in den 22 Jahren seiner Amtszeit kam ihm irgendwann auch der inspirierende Geist abhanden. Der Musikrat sah in den letzten Jahren so gestrig aus wie sein ehemaliger Vizepräsident und Generalsekretär Christian Höppner: Ein uninspirierter Selbstdarsteller mit roter Fliege. 

Neue Präsidentin neuer Kurs?

Dabei ist das Potenzial der Institution gigantisch: Über 100 Mitgliedsverbände, in denen Millionen Musikerinnen und Musiker aus Amateurchören und Profiorchestern vereint sind. Krüger und Höppner haben sich  damit begnügt, Institution und Projekte wie das Bundesjugendorchester in den Vordergrund zu stellen und hinter den Kulissen zu netzwerken. Doch in den letzten Jahren zeigte sich auch die fehlende öffentliche Akzeptanz seiner Institution immer öfter. Selbst in Prestige-Veranstaltungen wie »Jugend musiziert« geriet in die öffentliche Kritik. 

Die neue Präsidentin, Lydia Grün, ist an der Münchner Musikhochschule – ebenfalls als Präsidentin – wie ein Tiger losgesprungen: #Metoo, Strukturwandel und »heute das Morgen denken« waren Ihre Devisen. Aber sie musste auch schnell feststellen, wie zäh die Strukturen von Kulturinstitutionen sind und wie eingefleischt manch Rituale. So setzt das neugegründete Institut für Musikjournalismus an ihrer Hochschule bislang gar keine Impulse für zukünftige Modelle der Präsenz von Musik in der Öffentlichkeit. Stattdessen tut es so, als würde der alte Klassik-Markt noch immer bestehen. 

Viele Aufgaben für die Neuen

Auch viele Lehrende machen – trotz eines Wandels an der Spitze – einfach weiterhin das, was sie immer getan haben: Unterricht ohne den Wandel mitzudenken. Dabei schafft Grün es durchaus, öffentlich zu wirken. Aber ihre Kernthemen – von einer gerechten Musikausbildung bis zu Innovationen auf dem Musikmarkt – sind noch lange nicht in allen Unterrichtsräumen ihrer Hochschule angekommen.

Trotzdem ist Lydia Grün eine gute Wahl für den Deutschen Musikrat! Ebenso wie Antje Valentin als Nachfolgerin von Christian Höppner. Zwei Frauen, die nicht nur den Willen, sondern auch die Durchhaltekraft haben, großen Wandel geduldig zu navigieren. Nie war der Musikrat so wichtig wie in diesen Tagen. Es wäre zu wünschen, dass er wieder zu einer spannenden und brodelnden Institution wird, deren  Streit produktiv geführt wird und dessen Debatten ansteckend wirken. Es geht darum, die bieder-pragmatische Bundesinstanz in einen modernen Resonanzkörper für das deutsche Musikleben zu verwandeln. Unsere kriselnde Musiklandschaft hätte es dringend nötig! 

Axel Brüggemann

Axel Brüggemann arbeitet als Autor, Regisseur und Moderator. Er war als Kulturredakteur und Textchef bei der Welt am Sonntag tätig und schrieb danach für die Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung. Heute veröffentlicht er u.a. im Tagesspiegel, im Freitag, der Jüdischen Allgemeinen oder in der Luzerner Zeitung. Er arbeitet für Radiosender wie den Deutschlandfunk, den WDR oder den HR. Seine Fernsehsendungen und Dokumentationen (für ARD, ZDF, arte oder SKY) wurden für den Grimmepreis nominiert und mit dem Bayerischen Fernsehpreis ausgezeichnet. Brüggemann schrieb zahlreiche Bücher u.a. für Bärenreiter, Rowohlt, Beltz & Gelberg oder FAZ Buch.

Fördern

Artikel auf BackstageClassical sind kostenlos. Wir freuen uns, wenn Sie unabhängigen Klassik-Journalismus fördern.

Mehr aktuelle Artikel

Nast bleibt bei den Wiener Symphonikern

Nach erfolgreicher Arbeit, der Intendant Jan Nast bleibt fünf weitere Jahre in Wien English summary: Jan Nast’s contract as Artistic Director of the Vienna Symphony has been extended to 2032. Since 2019

Lieber Peter Noever,

man muss einfach auch mal sehen, wenn man ein Spiel verloren hat. Jetzt kommen Sie noch Mal mit dem ollen Currentzis um die Ecke, dem Sie den Orden Ihrer lächerlichen Ösi-Kurie anheften

Klassik zwischen Sparen und Klotzen

Der Newsletter: Heute mit dem Trick, leise zu sparen, Sting an der MET, zwei neuen Opernhäusern und allerhand positiven Nachrichten aus der Welt der Klassik.  

Berlin spart ohne Struktur

In ihren Plänen vermeidet Berlins Kultursenatorin Sarah Wedl-Wilson den großen, strukturellen Wurf. Dabei wäre genau das eine Möglichkeit, um Berlins Kultur langfristig zu sichern.

Wotan ist tot

Der neuseeländische Bassbariton Sir Donald McIntyre ist mit 91 Jahren in München verstorben.

Lieber Sting,

als ich Sie vor 20 Jahren für den Stern besucht habe, erklären Sie mir: »Der Rock liegt im Sterben«. Damals haben Sie den elisabethanischen Minne-Musiker John Dowland entdeckt. Sie waren ausgebrannt und

So soll Hamburgs neue Oper aussehen

Spektakuläre Terrassen an der Elbe: Die Bjarke Ingels Group (BIG) aus Kopenhagen hat den internationalen Wettbewerb für den Neubau der Hamburger Oper am Baakenhöft in der HafenCity gewonnen.

Werdet wieder sexy – arm bleibt ihr sowieso

Die deutsche Kulturpolitik steht unter Spardruck, der Mut zu Reformen fehlt. Beim Hauptstadtkulturgespräch des VBKI wurde deutlich: Zukunftsfähig bleibt Kultur nur, wenn sie sich öffnet – für neue Finanzierungswege, neue Zielgruppen und

Verpassen Sie nicht ...