Leipziger Museen starten ein Themenjahr mit weiblichen Perspektiven zur Musik und zeigen spannende Aspekte aus den Häusern Bach, Schumann und Mendelssohn.
Irgendwann verschwanden die musizierenden Frauen einfach aus den Lexika. 1732, im Musikalischen Lexicon von Gottfried Walther waren sie noch sorgfältig aufgelistet, zum Teil mit großen Beiträgen: zahlreiche Sängerinnen und Komponistinnen waren hier versammelt. Hundert Jahre später, 1840, im musikalischen Nachschlagwerk von August Gathy waren viele von ihnen getilgt. Wenn sie überhaupt aufgelistet waren, dann nur noch in kurzen Texten, oder – so wie die Töchter von Johann Sebastian Bach – durch despektierliche Kommentare, in denen ihnen jede Musikalität abgesprochen wird. Dabei hatte Bach das musikalische Talent seiner Töchter durchaus gelobt, wenn auch auf seine eigene Art, als er etwa über Catharina Dorothea schrieb, dass sie »nicht schlimm einschlägt«.
Auch Cécile Jeanrenaud hatte lange unter einem Satz zu leiden, durch den Felix Mendelssohn Bartholdy seiner zukünftigen Frau in einer lapidaren Bemerkung in einem frühen Brief die Nähe zur Musik absprach. Ein Klischee, das fortan von vielen Biografen übernommen wurde. Dabei war Cécile eine durchaus leidenschaftliche (wenn auch laienhafte) Klavierspielerin, die es genoss, am eigenen Piano zu sitzen – besonders, wenn ihr Mann nicht zuhörte. Cécile war sicher keine Clara Schumann, aber Felix Mendelssohn Bartholdy hatte eben auch keine Musikerin als Lebenspartnerin gesucht.
Egal, ob bei Bach oder bei Mendelssohn, in der Musikgeschichte ist nur wenig über ihre Frauen, ihre Mütter, Schwestern, Töchter und Enkelinnen zu lesen. Das wollen die Leipziger Musikmuseen nun ändern und starten eine konzertierte Ausstellungs-Aktion unter dem Titel STARK! Ein Themenjahr über Frauen in der Leipziger Musikszene.
Im Mendelssohn-Haus wurde dafür die Remise freigeräumt und gründlich umdekoriert: Bunte Blüten zieren bereits den Eingang und setzen sich an den Wänden fort. Auf XXL-Format aufgeblasene florale Zeichnungen von Cécile Mendelssohn, die lange ein Schattendasein im Klischee der »Unbekannten Schönen« fristete. Nun wird sie als durchaus kunstsinnige Frau vorgestellt, aber auch als Familienmanagerin und – vor allen Dingen – als Verwalterin des Nachlasses ihres Mannes (was ihr als Frau rechtlich allerdings nicht allein erlaubt war, weshalb ihr das Erbe in den wenige Jahren, die sie ihren Mann überlebte, immer weiter aus der Hand genommen wurde).
Cécile, die gemeinsam mit Felix fünf Kinder hatte, bewunderte ihren Mann, erinnerte ihn in Briefen aber auch daran, dass er sich durchaus mehr um seinen Nachwuchs kümmern könne. In dieser Ausstellung bekommt sie endlich ein eigenes Gesicht (im oberen Stockwerk des Mendelsohn-Hauses gibt es bereits eine sehr kluge – da vollkommen ideologiefreie – Dauerausstellung über Fanny Mendelssohn).
Auch im Bach-Museum wird der Wechselausstellungsraum verschiedenen Frauengeschichten gewidmet. Hier ist die Quellenlage besonders schwierig. Aber die Kuratorinnen Kerstin Wiese und Henrike Rucker (basierend auf Maria Hübners Forschungen und ihrem Buch Die Frauen der Bach-Familie) tragen spannende Kleinstteile zu runden Frauenbildern innerhalb der Bach-Familie zusammen. Der Bogen spannt sich von der Mutter Bachs, Elisabeth Bach, über seine Stiefmutter Barbara Margaretha bis zu seiner Ersatzmutter (und Schwägerin) Johanna Dorothea. Frauen waren die Managerinnen der damals großen Familien, zu denen neben den Angestellten auch ferne Familienmitglieder (wie etwa die Schwester von Bachs erster verstorbener Frau) gehörten.
Frauen waren im Hause Bach auch selber musikalisch aktiv, und der Thomaskantor vertonte derbe Texte für Familienmusiken, etwa in einem Hochzeitsquodlibet für seine Schwester Maria Salome: »Ei, wie sieht die Salome so sauer um den Schnabel Darum, weil der Pferdeknecht sie kitzelt mit der Gabel.«
Und, klar, Bachs zweite Frau, Anna Magdalena, war eine gefeierte (und bekannte) Künstlerin, eine hoch bezahlte Hofsängerin in Köthen (nur ihr Mann und ein weiterer Musiker verdienten mehr als sie!). Allerdings gab sie das Singen mit dem Umzug nach Leipzig auf, wo ihr Mann nun der Kirche diente, in der Frauenstimmen – anders als am Hof – weniger gefragt waren. Dennoch sang Anna Magdalena zu einigen Anlässen, und in der Ausstellung sind auch wunderschöne Noten-Abschriften von ihr ausgestellt.
Spannend sind die 25 Bilder aus der Grafik-Sammlung des Dirigenten Ton Koopmann, der seit vielen Jahren Stiche von Frauen in der Musik zusammenträgt. Neben zahlreichen Musikerinnen und Sängerinnen ist hier auch Barbara van Beck zu sehen, die unter starkem Bartwuchs litt, von ihrem Vater aber als Cembalistin ausgebildet und gefördert wurde.
Im Stadtgeschichtlichen Museum zu Leipzig wird schließlich die Salonière Livia Frege (übrigens eine Vorfahrin von Tote-Hosen-Sänger Campino) vorgestellt, die sowohl mit Felix und Cécile Mendelssohn Bartholdy als auch mit Clara und Robert Schumann verkehrte, und die Mendelssohn liebevoll »unsere hiesige Nachtigall und Lerche« nannte.
STARK! ist tatsächlich ein vollkommen unaufdringliches Ausstellungs-Ausrufezeichen, das die Musikgeschichte in viel zu lange vergessene, weibliche Sphären erweitert. Es ist an der Zeit, dass wir auch unsere aktuellen Lexika wieder um die vergessenen Frauen, ihre Wirkung und ihr Schaffen erweitern.
Hier geht es zum Themenjahr: STARK!
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