Der Intendant der Münchner Philharmoniker, Paul Müller, vergreift sich bei seinem Abschied in der Causa Valery Gergiev im Ton.
In der aktuellen Saisonbroschüre der Münchner Philharmoniker verabschiedet sich der Intendant der Münchner Philharmoniker, Paul Müller, von seinem Publikum – mit einem persönlichen Rückblick. Dabei schreibt er auch über die vergangenen Chefdirigenten, unter anderem über Valery Gergiev. Müller lobt den Russen für »unvergessliche musikalische Momente durch seine unendliche emotionale Überzeugungskraft« und fügt hinzu: »Sein großes Engagement für die klassische Musik zeugt meinen Respekt und er hat mit seinem Input für die Entstehung der Isarphilharmonie in München dauerhaft Spuren hinterlassen.«
Kein Wort über Valery Gergievs frühe Unterstützung von Vladimir Putin, über seine öffentliche Unterstützung der Krim-Annexion und von Putins Homosexuellen-Gesetzen, kein Wort über seine Pro-Putin Auftritte im syrischen Palmyra. Stattdessen greift Müller zu verquastem Geschichtsrevisionismus und erklärt schlicht: »Seine (Gergievs, die Red.) Tätigkeit endete nach dem Beginn des Krieges in der Ukraine im März 2022.«
Wäre es nicht besser formuliert: »… nach dem völkerrechtswidrigen Angriff Russlands auf die Ukraine.« Oder noch besser: »… auf Grund Gergievs Unterstützung der aggressiven Kriegspolitik Putins«? Nichts davon in Müllers Erinnerungen. Stattdessen formuliert er in verquaster Traurigkeit: »Dass wir ihn im Westen nicht mehr erleben, ist ein Verlust, aber ein Zeichen der Zeit mit dem Krieg in der Ukraine geschuldet.« Auch hier: »Ein Zeichen der Zeit« – wirklich? »Der Krieg in der Ukraine«? Müsste es nicht heißen: »Gergiev hat in eindeutigen Zeiten Partei für Putin ergriffen und Russlands Krieg gegen die Ukraine unterstützt»?
»Wenn Valery Gergiev sich darüber hinaus auch als Person politisch äußert, macht er von seinem Recht auf freie Meinungsäußerung Gebrauch. Wir werden seine politischen Äußerungen nicht kommentieren.«
Peter Müller in einer Mail vom Januar 2015
Müllers Rückblick ist eine selbstzufriedene Verweigerung, historische Verantwortung zu übernehmen. Ich habe noch einmal nachgeschaut: Das erste Mal habe ich Müller im Januar 2015 angefragt, ob er Gergievs Haltung nicht bedenklich findet. Wörtlich wollte ich wissen: »Gergiev hat einen offenen Brief für den Putin-Kurs in der Ukraine unterschrieben, seine Äußerungen zur Homosexualität sind zumindest ressentimentgeladen, Georgien hat er als ‚mörderisch‘ beschimpft. All das hat dazu geführt, dass Sängerinnen wie Karina Mattlila nicht mehr mit ihm auftreten wollen. Die Bundesrepublik Deutschland hat unterschiedliche Boykotte gegen Russland beschlossen. Passt Gergiev da wirklich nach München?« In einer weiteren Anfrage wollte ich wissen: »Unter dem homosexuellen Publikum formiert sich Widerstand, so sagt Klassik-Radio Moderator Holger Wehmhoff, dass er Konzerte der Münchner Philharmoniker mit Gergiev nicht mer ansehen würde. Was sagen Sie diesen Leuten?« und »haben Sie keine Angst, dass Gergiev das Image der MünchnerPhilharmoniker im Ausland, etwa in den USA, grundlegend beschädigen wird?«
Ich bekam die immer gleiche Antwort: »Wenn Valery Gergiev sich darüber hinaus auch als Person politisch äußert, macht er von seinem Recht auf freie Meinungsäußerung Gebrauch. Wir werden seine politischen Äußerungen nicht kommentieren.«
Und auch zum Auftreten des Konzertmeisters der Philharmoniker Lorenz Nasturica in Russland nach dem Angriff Russlands auf die Urkaine, hielt Müller sich (viel zu) lange bedeckt. Er ließ mich auf meine Anfrage wissen: »Unser Handlungsspielraum ergibt sich aus dem Arbeitsrecht. Wir haben die Nebentatigkeit von Herrn Nasturica juristisch prüfen lassen. Mit dem Ergebnis, dass aus arbeitsrechtlicher Sicht dagegen nichts einzuwenden ist. Inwieweit sie ethisch zu vertreten ist, muss jeder, der sie ausübt, für sich selbst verantworten.«
Der Abschied des Intendanten in der Saisonbroschüre wäre eine geeignete Möglichkeit gewesen, die Vergangenheit noch einmal zu reflektieren, vielleicht auch die Frage, ob er persönlich nicht viel zu lange alle Warnzeichen übersehen hat, dass er einfach nicht glauben wollte, dass der begabte Musiker Valery Gergiev politisch stets den diktatorischen Kurs Putins befürwortete und damit eindeutig gegen das demokratische Selbstverständnis der Bundesrepublik, des Freistaates Bayern und der Stadt München verstoßen hat. Und vor allen Dingen, ob der Intendant eines von Steuergeldern getragenen Orchesters nicht viel früher offen in den kritischen Dialog hätte gehen müssen. So bleibt gerade mit diesem persönlichen Rückblick von Peter Müller der schale Beigeschmack, dass da jemand gar nicht aus seiner Verantwortung in der Vergangenheit gelernt hat.