Im Haus Wagner in Bayreuth wird um die NS-Vergangenheit gerungen, im Beethoven-Haus in Bonn der Mythos des Genies wissenschaftlich unterfüttert. Die Direktoren Sven Friedrich und Malte Boecker über ihre Arbeit.
Im Podcast der Liz Mohn Stiftung, Alles klar, Klassik?, sprechen Sven Friedrich vom Haus Wahnfried und Malte Boecker vom Beethoven-Haus Bonn über ihre Arbeit. Friedrich warnt davor, Geschichte unter den Teppich zu kehren, Wagner-Straßen umzubenennen oder Karajan-Büsten in Keller zu stellen. Er plädiert für ein aufgeklärtes Geschichtsbewusstsein und historische Kontextualisierung. Malte Boecker verweist darauf, dass gerade in unserer emotionalen Zeit die wissenschaftlichen Kriterien für Museen besonders wichtig seien. Hier geht es zum Podcast für alle Player.
Sven Friedrich über die Umbenennung von Wagner-Straßen
»Ich halte diese Tendenzen der Political Correctness für bedenklich. Letztlich ist das eine Geschichts-Entsorgung, die in Wahrheit den Weg für Ideologien frei macht. Es ist in meinen Augen ahistorisches Denken, die Geschichte vor dem Hintergrund unseres heutigen Denkens und unseres derzeitigen moralischen Verständnisses nachträglich zu eliminieren. Es ist gefährlich, weil man dadurch die Türen für eine Identitätszerstörung öffnet und sich verwundbar macht. Wenn wir über die Entsorgung von Kunstwerken oder über Straßen-Umbenennungen reden, muss man das im Einzelnen beleuchten. Prinzipiell habe ich das Gefühl, dass wir von einer geistigen Bücherverbrennung nicht weit entfernt sind.«
Sven Friedrich über das Erbe von Houston Stewart Chamberlain
»Houston Stewart Chamberlain ist eine Art Bindeglied zwischen Richard Wagner und Adolf Hitler. 2015 haben wir die Ideologie des Nationalsozialismus im Umgang mit dem Werke Wagners in unsere Ausstellung aufgenommen. Nun haben wir die Idee, dieses Thema über die Figur Chamberlain in dessen altes Wohnhaus in Bayreuth zu verlängern. Wir haben seine Bibliothek, und wenn man die sieht, wird einem atemberaubend klar, was für ein Horizont dieser Mann hatte. Es geht darum, das zu kontextualisieren und zu zeigen, wie die Transformation von Politik in Kunst bei Wagner stattgefunden hat und dann über Chamberlain wieder zur Transformation von Kunst in Politik wurde – spätestens bei Hitler. Ich halte es für eine sehr aktuelle Aufgabe, diese NS-Ideologiegeschichte als Kulturgeschichte zu dokumentieren, da wir hier sehen, wie Ideologisierung sich vollziehen kann. Deshalb war ich über das Gutachten des Kulturausschusses überrascht, das die nötigen Gelder zunächst einmal abgelehnt hat. Es geht hier um ein Projekt internationaler Tragweite, und es würde Bayreuth auf Grund seiner einschlägigen Geschichte gut tun, das auch zu dokumentieren.«

Malte Boecker über die Rolle der Museen im Heute
»Man darf nicht allein auf die Aura des Originals vertrauen. Es geht darum, den Mythos, der von vielen Leuten gesucht wird, wissenschaftlich zu kontextualisieren. Gerade in unserer hochemotionalen Zeit halte ich es für eine sehr wichtige Aufgabe der Museen, wissenschaftliche Kriterien hochzuhalten und gleichzeitig das Werk der Komponisten einer breiten Öffentlichkeit zugängig zu machen.«