Von wegen Märchen: Moderne Paartherapie in der Oper. Presserundschau zu Tobias Kratzers Inszenierung der »Frau ohne Schatten«.
English summary: Tobias Kratzer’s production of Die Frau ohne Schatten at Deutsche Oper reimagines Strauss’ opera, focusing on modern themes like motherhood, surrogacy, and marital struggles, with mixed reviews for its stark realism, bold staging, and musical interpretation by Donald Runnicles, praised for its modernity but critiqued for lacking refinement.
Die Frau ohne Schatten ist eine verworrene Mammut-Oper: Mächen, Mythos und Mutterschaft. Nun hat sich Regisseur Tobias Kratzer der Oper im Rahmen seines Strauss-Zyklus an der Deutschen Oper angenommen. Hier eine Feuilletonrundschau.
Der Zeitungsboulevard der BZ jubelt: »Rein ins Bett, raus aus dem Bett. Drama bei der Bügelwäsche, zertrümmertes Candle-Light-Dinner, künstliche Befruchtung, Tanz-Party in Zeitlupe. Viel los auf der Bühne«, und Frederik Hanssen schreibt im Tagesspiegel: »Bei ihm gibt es keine Tochter des Geisterkönigs und keinen ‚Kaiser eines südöstlichen Inselreiches‘, keine Mondberge und keinen ‚roten Falken‘, da singen die Fischlein nicht in der Pfanne, Menschen versinken nicht im Erdboden und es sprudelt auch keine von Tempelwächtern gehütete ‚Quelle des Lebenswassers‘. Bei Kratzer geht es um die höchst aktuelle Frage, ob eine Frau erst dann wirklich glücklich sein kann, wenn sie Kinder in die Welt gesetzt hat. Und ob sie diesen Akt im Notfall auch an eine Leihmutter delegieren darf.«
Wolfgang Schreiber erklärt in der Süddeutschen: »Die Existenz der beiden Paare und ihrer diversen Wohnwelten führt Tobias Kratzer konsequent in die Bühnenbildwelt von Rainer Sellmaier ein: hier das schicke Möbel-Design von Kaiser und Kaiserin, dort das Färberpaar als Betreiber eines schnöden Waschsalons mit den modernen Waschmaschinen.« Andreas Göbel ergänzt bei radio3: »Danach hilft der Regisseur filmisch nach, man sieht eine künstliche Befruchtung, und im letzten Akt sieht man das Färberehepaar bei einer Paartherapie, und das offensichtlich ohne Erfolg, denn zwei Szenen weiter sind sie beim Scheidungsrichter. Es gibt eine Babyparty, und die letzte Szene spielt im Kindergarten, da ist die Unfruchtbarkeit aufgehoben.« Er kritisiert aber auch: »Tobias Kratzer ignoriert alle märchenhaften Elemente – der Falke etwa ist nur ein Plüschtier, das aus einem Karton ausgepackt wird.«
Frederik Hanssen schreibt im Tagesspiegel: »Unter das Betäubungsmittelgesetz fällt die Neuinszenierung: Narkotisierende Wirkung vermag Donald Runnicles am Sonntag bei der Premiere kaum zu entfalten in den dreieinhalb Stunden Aufführungsdauer. Stattdessen bürstet er die Partitur konsequent in Richtung Moderne. Expressionistisch statt schwelgerisch ist der Grundton, scharfkantig statt luxuriös.« Schreiber findet in der Süddeutschen: »Sir Donald Runnicles ist, auch wenn sein Orchester immer wieder in krachende Lautstärken abdriftet, der im Hören spontan reagierende Vollstrecker einer imposanten Partitur.« Judith von Sternburg schwärmt in der Frankfurter Rundschau: »Runnicles und das Orchester bieten dazu einen sinfonisch brausenden, sich – wie die Inszenierung – allmählich hineingroovenden Klang. Ein Großereignis für die tiefen Blechbläser, und sie machen etwas draus.« Kritischer ist Andreas Göbel: »Sicher, die Partitur ist sehr groß besetzt, und es gibt etliche wuchtige Stellen. Nur ist das gleichzeitig eine der raffiniertesten Opernpartituren aus der Feder von Richard Strauss, und da bleiben etliche Wünsche offen.«
Hanssen ist begeistert vom Ensemble: »Wenn Catherine Foster als Färberin (die hier einen Waschsalon betreibt) ein Hemd bügelt, dann wird dies zur bewegenden Choreografie, dann spricht wirklich aus jeder ihrer Gesten das Leid am unglücklichen Eheleben.« Auch von Sternburg jubelt über Foster, als »lieber charaktervoll als keifend singende Färberin« und findet: »Den sanfteren Part, die schattenlose Kaiserin, bietet Daniela Köhler silbrig kühl und souverän.« Lob auch von Schreiber für das Protagonisten-Quintett, den »Kaiser von Clay Hilley und der Kaiserin von Daniela Köhler ebenso wie der Amme von Marina Prudenskaya. Besonders farbenreich das Färberpaar, die humane Gefühlskraft von Catherine Foster und Jordan Shanahan.«
★★★★☆