Wolfram Weimer analysiert einen zunehmenden Kulturkampf und spricht von »Cancel Culture« der Linken. Der Staat soll für ihn ein Ermöglicher der Kunst sein, kein Verhinderer.
English summary: Wolfram Weimer sees today’s culture wars as power struggles over meaning and influence. He warns of rising neo-nationalism and political extremes threatening artistic freedom. Both left and right try to control culture—through cancel culture or censorship. He urges the liberal center to defend openness, reason, and freedom in art and debate.
Berlin (BC) – In einem Gastbeitrag für die Süddeutsche Zeitung analysiert der Bundesbeauftragte für Kultur, Wolfram Weimer, den gegenwärtigen Kulturkampf als einen Kampf um Macht und Deutungshoheit. »Wenn Kulturkämpfe ausgefochten werden, geht es selten um Kultur. Es geht um Macht. Verhandelt wird über Deutungsmacht, welche Ideen, Perspektiven, welche Kunst und Wissenschaft erwünscht ist und welche nicht«, schreibt Weimer. In eine ähnliche Richtung haben wir an dieser Stelle die Entwicklung der kulturellen Landschaft zum Amtsantritt Weimers auch schon Mal kommentiert. Der Autor sieht die weltweite Zunahme des Neo-Nationalismus als zentrale Herausforderung, die in China und Russland diktatorisch und brutal, in den USA und Indien zunehmend repressiv ausgetragen werde.
Europa und insbesondere Deutschland befinden sich laut Weimer in einem defining moment ihrer geistigen Integrität. Er warnt vor einer Polarisierung durch die Ränder des politischen Spektrums: »Auch bei uns gibt es mittlerweile Übergriffe und bevormundende Identitätskämpfe von den Rändern des politischen Spektrums. Demgegenüber verliert die Mitte an Terrain. Und damit das kulturelle Kapital einer aufgeklärten Gesellschaft, deren geistiges Selbstverständnis traditionell von Offenheit, Vernunft und Toleranz geprägt war«.
Linke und rechte Extreme in der Kritik
Weimer kritisiert sowohl linke als auch rechte Versuche, Kunst und Kultur zu instrumentalisieren. Die »freiheitsfeindliche Übergriffigkeit der Linken« zeige sich etwa in der (und auch diesen Kampfbegriff nutzt Weimer) Cancel Culture, während rechte und rechtsextreme Akteure mit »Tilgungsfuror« und Prüderie aufwarteten. Als Beispiel nennt er die Verbannung einer Venus-Bronze aus einer Berliner Behörde sowie die Indizierung von Literatur an US-Schulen. »Wer allerdings ästhetische Kategorien mit moralischen Postulaten verwechselt und alles Abweichende verbietet, muss sich vorwerfen lassen, das Tafelsilber abendländischer Aufklärung wegzuschließen: die Freiheit«, so Weimer. Diese Einordnung könnte auch eine Reaktion auf die Kulturpolitik seiner Vorgängerin Claudia Roth sein – Weimer scheint bewusst auf »Revanchismus« verzichten zu wollen.
Der Autor betont die Bedeutung der Freiheit für die Kunst: »Es liegt gerade im Wesen der Kunst, Freiheit zu atmen und gerne vieldeutig zu bleiben.« Er appelliert an die liberale Mitte, die Freiheit der Kunst zu verteidigen und politische Einflussnahme zu vermeiden. »Der Staat kann daher als Mäzen auftreten, sollte sich aber inhaltlicher Einmischung enthalten«, schreibt Weimer. Seine zentrale Forderung: »Wenn linke und rechte Bilderstürme die Freiheitsräume verengen wollen, sollten wir sie weiten. Kultur und Sprache und Debatten sind Ermöglichungsräume, keine Verbotszonen«.