Gegenwind aus Salzburg – und warum wir gerade jetzt kritischen Journalismus brauchen

Dezember 16, 2024
5 mins read
Salzburger Idyll, wie es die KI sieht.

Willkommen in der neuen Klassik-Woche,

heute geht es um ein Anwaltsschreiben, die Bedeutung des kritischen Kultur-Journalismus und darum, wie wir unsere Ideale auch weiterhin verfolgen werden.  

Haltung ist nicht billig 

Kritischer und investigativer Journalismus ist wichtig – gerade in Zeiten großer Umbrüche. Im Bereich der Kultur ist er allerdings selten. BackstageClassical steht für diesen Journalismus: Natürlich schreiben wir auch über leidenschaftliche Aufführungen und denken in großen Gesprächen mit Menschen der Musik über große Themen und ästhetische Ideale nach. Aber wir schauen auch genau hin, blicken hinter die Kulissen, hören Menschen zu, die uns gegenüber Missstände benennen – und gehen diesen auch nach: Wir berichten über Strukturfragen, Sparvorhaben oder Machtmissbrauch. Wir machen das, weil Wandel nur durch Kritik stattfindet, und weil wir fest überzeugt sind, dass Medien genau diese Aufgabe haben: Hinzuschauen, in Frage zu stellen und neue Perspektiven zu debattieren.

Es ist selbstverständlich, dass dieser Journalismus manchen Menschen zu nahe kommt. Kritik ist eben nicht billig, sie muss sich der Gegenkritik stellen, Verteidigungen aushalten und ihrerseits mit Angriffen leben. Das nennt man Debattenkultur! Und die ist wichtig. BackstageClassical glaubt fest an diese offene und freie Gesellschaft, daran, dass ein Medium nur durch Rede und Gegenrede funktioniert. Ich schreibe Ihnen all das aus einem aktuellen Anlass:

Abmahnungen aus Salzburg

Nach meiner kritischen Berichterstattung über die Salzburger Festspiele und Markus Hinterhäuser hier bei BackstageClassical haben der Intendant und der Salzburger Festspielfonds mir zwei Abmahnungen zukommen lassen, in dem sie den Streitwert auf einmal 70.000 und einmal 30.000 Euro beziffern. Ich habe auf Grund einzelner Punkte den Eindruck, dass es in diesem Fall auch darum gehen könnte, mir die Berichterstattung zu erschweren.

Mich hat der Umstand irritiert, dass der Rechtsanwalt, der Markus Hinterhäuser und die Salzburger Festspiele in dieser Sache vertritt, der Gleiche ist, der auch den Dirigenten Teodor Currentzis in seiner Kritik an meinen Recherchen über seine russischen Verbindungen vertreten hat.

Am Anfang der Intendanz von Markus Hinterhäuser war ich begeistert von seiner Aufbruchstimmung, habe mich öfter mit ihm getroffen und ausgetauscht. Es ist für mich unverständlich, wie dünnhäutig Hinterhäuser inzwischen auf Kritik an seiner Arbeit regiert. Ich habe das als Kulturjournalist in dieser Form noch von keinem Intendanten  erlebt. 

Was ist kritischer Journalismus wert?

Nach Erhalt einer Abmahnung gibt es verschiedene Möglichkeiten, zu reagieren. Man kann erklären, die bemängelten Äußerungen nicht mehr zu tätigen – in der Regel geht das mit einer Erstattung der Anwaltskosten des Abmahnenden einher. Oder man unterschreibt nicht. In diesem Fall kann der Gerichtsweg eingeschlagen werden. So oder so entstehen bereits im Vorfeld außergerichtliche Kosten – egal, wie der Fall ausgeht. Ich glaube fest daran, dass Journalismus nur eine Chance hat, wenn man Fehler eingesteht (was im aktuellen Fall auch geschehen ist), gleichzeitig aber auch für seine Haltung kämpft. Und ich finde es wichtig, dass strittige Fragen im Zweifelsfall von Gerichten verhandelt und entschieden werden – das ist zuweilen eben auch Teil der öffentlichen Meinungsbildung innerhalb einer Demokratie. 

Problematisch ist, dass dieser Weg oft kostspieliger (und nervenaufreibender) sein kann als gleich nach der ersten Anwalts-Post einzuknicken. Große Medienhäuser haben für diese Fälle eigene Rechtsabteilungen. Freie Journalistinnen und Journalisten oder junge Seiten wie BackstageClassical stehen mit derartigen Angriffen oft allein da und erwägen schon aus Kostengründen, auf eine Verteidigung zu verzichten. Das aber würde jede Form des kritischen Journalismus demontieren. Gerade die Kultur mit ihren oft hohen moralischen Ansprüchen muss eine freie und gerechte Diskussionskultur aufrecht erhalten. 

Genau dafür ist BackstageClassical angetreten. Und wir sehen, wie erfolgreich wir Sie mit unseren Themen als Leserinnen und Leser gewinnen. Aber es gibt eben auch Momente, in denen Haltung nicht immer billig ist. Und deshalb bitte ich Sie heute, uns zu unterstützen. Helfen Sie BackstageClassical mit Ihrer Spende. Helfen Sie uns, weiter zu recherchieren, ganz unterschiedliche Meinungen zu veröffentlichen und tiefgreifende Debatten zu führen. Helfen Sie uns, unsere Standpunkte – notfalls auch vor Gericht – zu verteidigen. BackstageClassical ist mehr als eine Seite und mehr als seine Redaktion – BackstageClassical ist eine Gemeinschaft all jener, die offene Debatten innerhalb der Kultur für wichtig halten. Unterstützen Sie uns dabei, unsere Texte zu verteidigen

Salzburg im Blick der Presse

In Sachen Salzburger Festspiele lassen wir heute einfach Mal andere Medien zu Worte kommen. In dieser Woche haben zunächst Der Standard (»Was läuft schief in Salzburg«) berichtet, dann der ORF (»Kritik an Hinterhäusers Führungsstil«) und am Freitag auch die Salzburger Nachrichten (»Nach Lob hagelt es Kritik an Hinterhäuser«). Schließlich wurde ebenfalls in den Salzburger Nachrichten vermeldet: »Markus Hinterhäuser bekommt Rückhalt vom Kuratorium« und dann erneut im Standard: »Causa Davydova: Einvernehmliche Einigung statt Entlassung«. Wir werden die Entwicklung weiter verfolgen.

Anzeige

Bayreuther Festspiele nach Shanghai

Mitte der Woche konnte BackstageClassical exklusiv melden, dass die Bayreuther Festspiele in den kommenden Jahren mit drei Produktionen nach Shanghai gehen. Es geht um die Tristan-Inszenierung von Roland Schwab (2025), um eine Neuinszenierung der Walküre von Katharina Wagner (2026) und eine Tannhäuser-Produktion aus den 1980er Jahren in einer alten Regie-Arbeit von Wolfgang Wagner. Mehr zu diesen Plänen hier.

Selber gemacht? Logo!

Verblüffende Ähnlichkeit: Links das neue Keyvisual der Schwetzinger Festspiele, rechts das Logo des kanadischen Radiosenders CBC.

»Neue Intendantin, neues Logo!«, mag man beim SWR gedacht haben und hat den Schwetzinger Festspielen kurzerhand ein neues Image verpasst (Bild links). Kleiner Schönheitsfehler: die Ähnlichkeit mit dem Logo des kanadischen Senders CBC (Bild rechts) ist unübersehbar. Online sorgte das für allerhand Spott. Der SWR verteidigte das Design und erklärte, es symbolisiere die geometrischen Strukturen der Festivalgärten. So oder so: Ein mäßiger Start für die neue Intendantin Cornelia Bend, die wegen verspäteter Planungen und organisatorischer Probleme schon zuvor in der Kritik stand. Hier die ganze Story.

Personalien der Woche

Wie wichtig Recherchen von BackstageClassical zuweilen sind, zeigt sich besonders, wenn sie von anderen Medien weiter gedreht werden. In diesem aktuellen Fall hat t-online die Russlandbeziehungen des AfD-Abgeordneten und Cellisten Matthias Moosdorf weiterverfolgt und dargelegt, woher das Geld bei seinen Auftritten kam. Zuvor hatten wir mehrfach, unter anderem über die klassischen Russland-Relativierer berichtet. +++ Am 19. Dezember soll in Berlin endgültig darüber entschieden werden, wie hoch die Sparmaßnahmen an den einzelnen Häusern ausfallen, die dann schon 2025 umgesetzt werden sollen. Nach wie vor scheint Kultursenator Joe Chialo keinen wirklichen Plan zu haben – welche Wertschätzung er den Künstlerinnen und Künstlern entgegenbringt, ist hier zu sehen, wenn er an einem Protest-Chor aus der Komischen Oper vorbeiläuft. +++ Der Intendant des Mainfrankentheaters in Würzburg, Markus Trabusch, steht schon länger in der Kritik. Nun prüft die Stadt nach Protesten von Mitarbeitenden und Gewerkschaft seine Vertragsauflösung. Mehr Hintergründe hier. +++ Nach unserem letzten Newsletter, in dem es um die Frage der Rehabilitation der Maestri ging, beschäftigt sich Shoko Kuroe nun bei BackstageClassical mit dem medialen Framing in den Fällen von John Eliot Gardiner und François-Xavier Roth.

Anzeige

Und wo bleibt das Positive, Herr Brüggemann?

Ja, wo zum Teufel bleibt es denn? Das Positive bleibt diese Woche: auf dem Platz! Okay, Jonas Kaufmann hat am Tag der Scala-Eröffnung, an der er eigentlich teilnehmen wollte, in der Allianz-Arena des FC Bayern eine neue Stadionhymne aufgenommen (die Hintergründe hier). Aber der Fußball zieht nicht nur Stimmen von der Klassik ab, er erhebt seine Stimme auch für unsere Opern und Theater. Bestes Beispiel dafür ist der FSV Zwickau. Dessen Fans entrollten während des letzten Spieles Plakate, auf denen sie skandierten »ERHALTET DAS THEATER PLAUEN-ZWICKAU. KEIN WEITERER KULTURABBAU«.

Die Fans in Zwickau unterstützen ihr Theater (Foto: Facebook)

Der Newsletter geht mit dieser Ausgabe in die Winterpause. Bis zum 13. Januar werden Sie auf unserer Seite BackstageClassical auf dem Laufenden gehalten – unter anderem werden wir uns hier noch einmal intensiv mit der Sparsituation in Berlin auseinandersetzen, und die Dirigentin Graziella Contratto wird fragen, wie die Kandidaten der Bundestagswahl wohl als Dirigentinnen und Dirigenten auftreten würden. Es lohn sich also, nichts zu verpassen – folgen Sie uns auf einfach auf Instagram, Facebook oder BlueSky.

Ich wünsche Ihnen eine besinnliche Weihnachtszeit, einen guten Rutsch ins neue Jahre und danke Ihnen, dass Sie BackstageClassical im ersten Jahr zu dem gemacht haben, was es ist: Zu Ihrer Plattform für starke Meinungen, wichtige Debatten und unterhaltsamen Klassik-Journalismus.

In diesem Sinne: Halten Sie die Ohren steif

Ihr

Axel Brüggemann 

P.S.: Wenn Sie unsere Ideale und unseren Spendenaufruf teilen wollen, was uns sehr freuen würde: hier ist ein LINK zum entsprechenden Text.

Axel Brüggemann

Axel Brüggemann arbeitet als Autor, Regisseur und Moderator. Er war als Kulturredakteur und Textchef bei der Welt am Sonntag tätig und schrieb danach für die Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung. Heute veröffentlicht er u.a. im Tagesspiegel, im Freitag, der Jüdischen Allgemeinen oder in der Luzerner Zeitung. Er arbeitet für Radiosender wie den Deutschlandfunk, den WDR oder den HR. Seine Fernsehsendungen und Dokumentationen (für ARD, ZDF, arte oder SKY) wurden für den Grimmepreis nominiert und mit dem Bayerischen Fernsehpreis ausgezeichnet. Brüggemann schrieb zahlreiche Bücher u.a. für Bärenreiter, Rowohlt, Beltz & Gelberg oder FAZ Buch.

Fördern

Artikel auf BackstageClassical sind kostenlos. Wir freuen uns, wenn Sie unabhängigen Klassik-Journalismus fördern.

Mehr aktuelle Artikel

Die emanzipierte Muse

Regisseurin und Volksopern-Intendantin Lotte de Beer liefert in Straßburg eine poetische Lesart von Les Contes d’Hoffmann. 

Die Klassik-Zukunft entscheidet sich jetzt

Heute geht es um die Frage, wie die Bundestagswahl unsere Klassik-Szene verändern kann, wie Komponisten die GEMA kritisieren und wie sich Musik auch in der Krise wirtschaftlich organisieren lässt.