Freiburgs Kampf um das Experimentalstudio

Januar 14, 2025
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Das Team des Experimentalstudios in Freiburg (Foto: SWR/Thölking)

Der SWR sucht eine neue Bleibe für das Freiburger Experimentalstudio. Das bisherige Gebäude möchte der Sender wohl zum Verkauf anbieten. Das sorgt für Unmut in Südbaden und weckt den Kampfgeist. Ein Besuch vor Ort. 

English summary: The SWR seeks a new home for the renowned Freiburg Experimentalstudio, as its current building is slated for sale, sparking local discontent. The studio, a hub of electronic music innovation since 1971, faces relocation amidst criticism over transparency and concerns about fairness. Freiburg fights to retain it, citing its global significance and ties to the city’s music scene.

Schon im lichtdurchfluteten Foyer des SWR Studios Freiburg trifft man in einer Vitrine auf einen 1974 gebauten Ringmodulator. Im vierten Stock, wo das international renommierte Experimentalstudio angesiedelt ist, begegnen dem Besucher Karlheinz Stockhausen, Pierre Boulez und Luigi Nono auf den Fotowänden. Der italienische Komponist hat – damals noch am Standort Freiburg-Günterstal – mit den Klangtüftlern vom SWR Experimentalstudio sein gesamtes Spätwerk entworfen. Hier wurden elektronische Klänge entwickelt und verfeinert, die die Neue Musik weltweit prägten wie der Ringmodulator, der unter anderem die speziellen Frequenzmodulationen für Stockhausens »Mantra« lieferte. Das von den Klangpionieren Peter Lawo und Hans-Peter Haller, dem ersten Leiter des 1971 gegründeten »Experimentalstudio der Heinrich-Strobel-Stiftung des Südwestfunks«, erfundene »Halaphon« konnte Klänge durch den Raum schicken. Bis heute hat das Freiburger Klanglabor nichts von seiner Innovationskraft verloren.

Seit 2022 leitet Joachim Haas als Nachfolger von Detlef Heusinger das Experimentalstudio mit seinem derzeit 10-köpfigen Team. Der Klangregisseur und Musikinformatiker schwärmt von den Arbeitsmöglichkeiten vor Ort, von den vier schallgedämmten Studios, den kurzen Wegen und dem Tageslicht. »Wir haben hier Räume, die Kreativität ermöglichen. Alles ist miteinander verzahnt«, sagt Haas. Besonders wichtig ist das 7 Meter hohe und 155 Quadratmeter große Studio 1, in dem mit Raumklang experimentiert werden kann und auch ganze Ensembles Platz finden. »Das Studio 1 können wir über mehrere Wochen lang mit einem festen Set-Up an Technik belegen, um Komponistinnen und Komponisten eine kontinuierliche Arbeit zu ermöglichen«, erklärt Haas. Und erwähnt die rege Reisetätigkeit: »Wenn wir ins Ausland kommen, um bei Konzerten mit einem Team des SWR Experimentalstudios Live-Elektronik zu realisieren, heißt es oft nur: Die Freiburger sind da. Wir sind ein Aushängeschild der Stadt.«

Informationen über Flüsterpost

Auch die Verbindung zur reichen Neuen-Musik-Szene Freiburgs ist eng. Mit dem ensemble recherche und dem Ensemble Aventure wird die Zusammenarbeit gerade noch verstärkt. Die Stadt unterstützt das Experimentalstudio seit rund 25 Jahren finanziell, aktuell mit 92.000 Euro pro Jahr. Ulrich von Kirchbach, Erster Bürgermeister, betont die enge Zusammenarbeit des Experimentalstudios mit der Musikhochschule und ihrem Schwerpunkt der elektronischen Musik. »Zudem ist sie als Freiburger Forschungs- und Lehrzentrum für Musik führend in den Bereichen Artistic Research, KI und Neue Musik.« Das 1964 gegründete Institut für Neue Musik an der Freiburger Musikhochschule ist das älteste seiner Art in Deutschland und eines der größten. 

Eigentlich sollte das 1992 vom SWR bezogene Gebäude der früheren Garnfabrik Mez renoviert werden, aber faserbelasteter Brandschutz in den unteren drei Stockwerken – das SWR Experimentalstudio im 4. Stock wäre davon allerdings nicht betroffen gewesen – und die für künftige Aufgaben überdimensionierte Größe des Gebäudes ließen den SWR von den Plänen abkommen. Für den journalistischen Bereich soll auf der Rückseite des Hauses ein kleineres Gebäude entstehen. Für das SWR Experimentalstudio wäre aber kein Platz mehr. »Wir wurden im April über Flüsterpost zu einem möglichen Standortwechsel informiert und waren zunächst irritiert, dass nicht zuerst mit uns gesprochen wurde«, sagt der Freiburger Oberbürgermeister Martin Horn. Im Juni erfuhr Ludwig Holtmeier, Rektor der Freiburger Musikhochschule, in einem Gespräch mit SWR-Programmdirektorin Anke Mai, dass es in Sachen Standortfrage bereits Vorgespräche mit der Karlsruher Musikhochschule und dem Ministerium für Wissenschaft, Forschung und Kunst Baden-Württemberg gegeben habe.

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Die Karlsruher Musikhochschule lehnt eine Stellungnahme ab. Dass deren Kanzlerin Daniela Schneider bis 2021 Referentin für Musikhochschulen im Ministerium war, lässt einen besonderen Draht dorthin vermuten. Standortsuche im Hinterzimmer? Die Freiburger Verantwortlichen beklagen jedenfalls fehlende Transparenz im Entscheidungsprozess. Und fühlen sich, was den SWR angeht, erinnert an die für Freiburg negativ ausgegangene Entscheidung zum Sitz des fusionierten SWR-Symphonieorchesters, das 2016 in Stuttgart angesiedelt wurde. Auch das Karlsruher Zentrum für Kunst und Medien (ZKM) wurde vom SWR als möglicher neuer Standort angefragt. ZKM-Geschäftsführerin Helga Huskamp betont die partnerschaftliche Verbundenheit mit dem Experimentalstudio: »Wir sehen uns als Option, falls sich in Freiburg keine Lösung findet.«

Die Wahrheit liegt nicht im Hinterzimmer

Ludwig Holtmeier hat jedenfalls seit Sommer ein bauliches Angebot mit passendem Finanzierungskonzept entwickeln lassen, das die Anforderungen des SWR Experimentalstudios erfüllt. Und betont, dass die Freiburger Musikhochschule, an die das Studio angegliedert werden soll, mit drei Kompositionsprofessuren und 30 Kompositionsstudierenden auch vom Profil her ideal passe. »Das SWR Experimentalstudio ist in Freiburg eines der wenigen Institute von Weltrang. Es geht auch um Standortgerechtigkeit,« sagt Holtmeier. Nun sucht der SWR laut Anke Mai, die auch 1. Vorsitzende im SWR Experimentalstudio e.V. ist, »nach der wirtschaftlich, künstlerisch und wissenschaftlich besten Lösung.« Geplant ist, dass die Entscheidung schon im ersten Quartal 2025 getroffen wird.

Die Existenz des Experimentalstudios sei jedenfalls nicht gefährdet. »Dies ist besonders in der aktuellen medienpolitischen Lage ein starkes Signal und nicht selbstverständlich«, so Mai. Oberbürgermeister Martin Horn ist davon überzeugt, »dass wir ein attraktiveres Angebot bieten können, damit das Experimentalstudio auch weiterhin in Freiburg zuhause ist.« Holtmeier verspricht, um das Studio zu kämpfen. Der SC Freiburg hat schon öfters Rückstände aufgeholt und Spiele gedreht. Ob es der Stadt auch beim SWR Experimentalstudio gelingt? Fair sollte es jedenfalls bei der Entscheidung über den künftigen Standort zugehen. Die Wahrheit liegt auf dem Platz, nicht im Hinterzimmer. 

Georg Rudiger

Georg Rudiger hat Musikwissenschaft, Geschichte und Germanistik in Freiburg und Wien studiert. Er beobachtet von Freiburg aus das Musikleben im Südwesten Deutschlands, der Schweiz und dem Elsass - als fester Freier für die Badische Zeitung, überregional u.a. für die Neue Zürcher Zeitung, neue musikzeitung und Der Tagesspiegel. Er ist bei wichtigen Musikfestivals und Opernpremieren (Jurymitglied der Opernwelt), gelegentlich auch Rock- und Jazzkonzerten.

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