Dr. Hirschhausens Klassik mit Nebenwirkungen

Januar 22, 2025
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Eckart von Hirschhausen (Foto: WDR/ARD)

Musik macht Euch glücklich. Das verspricht Deutschlands Fernseh-Doktor Eckart von Hirschhausen. Ein Programm mit erheblichen Nebenwirkungen, findet Antonia Munding.

English summary: Eckart von Hirschhausen’s new program “Music Makes You Happy and Saves the World” blends classical music with his moral messages. Promoting music as “the oldest and most natural medicine,” he claims it heals and inspires happiness without side effects. Critics argue he simplifies classical music, turning it into a marketing tool and ignoring its emotional depth and complexity. Hirschhausen connects music to climate awareness but risks reducing art’s transformative power to clichés. While aiming to inspire, his approach highlights populism and self-promotion rather than genuine musical insight.

Thomas Gottschalk entdeckt auf seine alten Tage die Oper. Harald Schmidt erklärt plötzlich Wagners Ring. Und Reinhold Messner seilt sich mit der Alpensinfonie zwischen den Kapiteln seiner eigenen Memoiren ab. Aber das ist noch nicht alles: Jetzt kommt auch noch Eckart von Hirschhausen mit musikalischen Moral-Sentenzen um die Ecke. »Musik macht glücklich und rettet die Welt«, lautet die ebenso schlichte wie universelle Headline seines neuen Programms. 

Dass Medien-Opis sich der Klassik widmen, ist nicht neu. Aber dass Musik glücklich macht, ist eine Binse. Unter dem Motto war Schauspieler Ulrich Tukur schon bei den Bregenzer Festspielen 2017 aufgetreten. Und Hand aufs Herz: Klingt der Slogan nicht nach einer verunglückten Sendung mit der Maus (ohne den blauen Elefanten)?

Seit Spätsommer 2024 tingelt Hirschhausen nun mit »Musik macht glücklich und rettet die Welt« über deutsche Bühnen und durch die Konzertsäle. Im Advent moderierte er ein Benefiz-Konzert für Brot für die Welt, und im Frühjahr 2025 wird er in München, Nürnberg und Berlin gastieren. Stellt sich die Frage, was Deutschlands Glücks-Doktor der Nation mit seinem Faible für klassische Musik eigentlich sagen will. 

Hirschhausens Beipackzettel ist schlicht: Musik sei die »älteste und natürlichste Medizin der Welt«, ganz »ohne schädliche Nebenwirkungen!« Deshalb eröffne er seine Praxis jetzt auch im Theater – »für alle Kassen«. Bei der Vorstellung, dass sich die Bühne vom subversiv-kreativen Spielplatz zum Behandlungszimmer wandelt, wird mir persönlich eher übel: »Machen Sie sich schon Mal frei – der Onkel Doktor kommt gleich.«

Eckart von Hirschhausen ist Mediziner, Wissenschaftsautor, Moderator und Kabarettist. Spätestens seit seinem opulenten Buch-Schinken Glück gilt er auch als Experte für einen »positiven Lebensstil« – was immer das auch sein soll. Ob Corona, Demenz, Krebs oder Depression, es gibt kaum ein Gesundheitsthema, zu dem Hirschhausen nichts zu sagen hätte. Er ist eben ein Vorzeige-Allgemeinmediziner.

Für die öffentlich-rechtlichen Sender ist er Zugpferd und Garant für Einschaltquoten. Klar, Vertreter der Klassik könnten sich über die Wahrnehmung ihrer Kunst in der breiten Masse durch Hirschhausen freuen. Entdeckt er die Musik doch als »Jingle« für seine Glücks-Botschaften! Aber ist das wirklich eine gute Nachricht?

Hirschhausen gründete 2020 die Stiftung Gesunde Erde – gesunde Menschen. Ziel sei eine medizinisch und wissenschaftlich fundierte Klimapolitik, liest man auf der Website.  Auch, dass es effektiver sei, Ideen anstelle von Bäumen zu pflanzen, da Ideen schneller wachsen würden. Überhaupt sei es schwer, die Welt ehrenamtlich zu retten, solange andere sie hauptberuflich zerstörten. Aber Hirschhausen ist selber Profi. Unter der Rubrik  Humor hilft heilen geht es auf seiner Website ebenfalls um den Verkauf: Geschenkpatenschaften werden angeboten, Workshops und Seminare für Pflegekräfte. 

Mit griffigen Phrasen generiert sich Hirschhausen dabei als engagierter Macher. Interdisziplinär will er vorgehen, Klimaschutz nicht nur mit Gesundheitsschutz verknüpfen, sondern für das Thema auf wissenschaftlicher, politischer und gesellschaftlicher Ebene zugleich klingeln – für »den Schutz unserer Lebensgrundlagen und für eine enkeltaugliche Zukunft«. Dafür arbeite er mit Verbänden, Ministerien und NGOS zusammen, ist als Sprecher und Moderator auf Kongressen unterwegs und natürlich als Wissenschaftsautor im »konstruktiven Journalismus«. Und – Wow! – für eine bessere Welt begibt er sich jetzt auch aufs Feld der klassischen Musik!

Trigger-Hinweis: Dieses Video könnte bei manchen zu Unwohlsein führen.

In einem Interview mit dem BR, das Hirschhausen Ende des vergangenen Jahres führte, verriet er, dass er so für das Thema Klimaschutz sensibilisieren wolle. Musik sei nicht nur Schlüssel zum Glück (beim Musikhören wird das sogenannte »Kuschelhormon« Oxitozyn produziert), sondern auch eine umweltfreundliche Daseinsform (beim Musikhören stößt man kaum CO2 aus). 

Das alles klingt so glatt wie eine rostige Rasierklinge. Jeder, der versucht die zwingende Logik zwischen persönlichem Glück, Musikkonsum und nachhaltigem Umweltschutz nachzuvollziehen, stürzt – selbst mit einer großen Portion Humor – gnadenlos zwischen den Gedankenspitzen ab. Denn was ist mit all den Emissionen, die beim Transport des Backstage-Krimskrams für Hirschhausens Show nach Nürnberg, Bamberg oder Berlin freigesetzt werden? Und hat schon jemand den CO2-Abdruck berechnet, um das Online-Ticket für die »Musik macht glücklich und rettet die Welt«-Show zu buchen?… Und überhaupt: wer kann so pauschal sagen, Musik mache einfach so mir nichts dir nichts glücklich? 

Was passiert denn mit dem Puls des Publikums, wenn bei Beethovens Pastorale etwas kräftiger in die Saiten gegriffen wird, oder wenn gar das komplette Blech scheppert? Sind wir da immer noch am Kuscheln – oder hat das schon Herzattacke-Qualität? Lieber Dr. Hirschhausen, gibt es Musik und Kunst tatsächlich ohne Risiken und Nebenwirkungen? Oder sind diese nich gerade die Haupt-Daseinsberechtigung von Kunst und Kultur?

Deutschlands Mediendoktor Hirschhausen verkauft common knowledge als große Erkenntnis. Er erklärt, dass klassische Musik auf keinen Fall nur im Sitzen gehört werden sollte und stellt fest, dass uns Komponisten wie Beethoven und Messiaen nicht nur Augen und Ohren für den Wechsel der Jahreszeiten öffnen, sondern auch für die Artenvielfalt der Natur – und dass wir in eine Identitätskrise geraten könnten, wenn wir diesen Reichtum weiterhin leichtfertig verspielen. Gute Gedanken, die allerdings bereits seit Jahrzehnten in klugen Köpfen spuken und zum Beispiel die Arbeit des Cellisten Yo Yo Ma bestimmen. Mit seiner Musik kundschaftet Ma seit den 1970ern nicht nur musikalische Landschaften aus, sondern sensibilisiert ein großes Publikum für Umweltschutz und die Kultur indigener Völker. Den mit einer Million Dollar dotierten  Birgit Nilsson Preis, den er 2022 erhielt, steckte er in ein weiteres Musik- und Naturschutz-Projekt. Aber was investiert Hirschhausen? 

Als Mitarbeiter des öffentlich-rechtlichen Rundfunks hat Dr. Eckart von Hirschhausen es  zu einer gewissen Meisterschaft bei Interessenkonflikten gebracht: Ob WDR, HR oder NDR – der TV-Moderator, Komiker und Wissenschaftsjournalist ist seit Jahren ein ARD Megastar. Er sagt nicht nur zu jedem Gesundheitsthema viel, er hat auch massive Corona-Impfempfehlungen verteilt und damit Lobby-Arbeit für Pharma-Konzerne wie AstraZeneca, und Pfizer übernommen. Er war und ist auf Du und Du mit den Gesundheitsministern und verdiente für Impfwerbespots tausende Euro (wie der Cicero 2023 recherchierte). Hirschhausens Gesundheits-Ratschläge lesen sich mit diesem Hintergrundwissen wie ein moderner Ablasshandel: Ab 59 Euro pro Ticket ist man bei seiner »Musik macht glücklich«-Tour dabei und glaubt dann womöglich ernsthaft, die Welt ein wenig gerettet und sich selber gesund gehört zu haben. Aber man finanziert damit auch den Narzissmus eines selbsternannten Menschheitsretters, dem vor lauter Selbstzufriedenheit immer mehr Kinn unter den hochgezogenen Mundwinkeln wächst. 

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Während Kulturinstitutionen unter Sparmaßnahmen leiden, lässt ein »Experte« wie Hirschhausen klassische Musik nicht nur zum Verkaufsjingle verkommen, sondern erklärt das gesamte Feld der Kultur nonchalant zum Steinbruch seines Marketings. Und dabei geht genau das verloren, was die klassische Musik im Grunde ausmacht: ihre Komplexität, ihre Zwischentöne und Nuancen. Hirschhausens  Sentenzen und Pointen verfälschen in ihrer Simplifizierung den eigentlichen Wert der Musik. Dieser übersteigt die Stimulanz für das »Kuschelhormon« Oxytocin bei weitem. Schon bei den gängigsten Beethoven-Werken werden Gefühle – auch negative – rückhaltlos angesprochen. 

Aber Hirschhausen lässt das kathartische Moment der Musik, das den unmittelbaren Einstieg in fremde Welten ermöglicht, weitgehend außer Acht. Stattdessen setzt er auf Friede-Freude-Nachhaltigkeit. Klassische Musik à la Hirschhausen entfaltet damit ein gefährliches Narkotikum. Sie wird zu einer Gleichmacherin, die relevante Unterschiede verwischt und kritische Fragen ausblendet. An die Stelle des genauen Aufhorchens und Erspürens vielschichtiger Inhalte und Grauabstufungen treten Schwarzweißzuschreibungen: Gut oder böse, gesund oder krank. Hirschhausen bedient sich einer populistischen Sprache – bewusst oder unbewusst? 

Selbst wenn er in bester Absicht versucht, mit Musik die Welt zu retten, sollten wir genau das kritisch hinterfragen. Nicht nur, weil er ein zweifelhafter Experte auf dem Feld der klassischen Musik ist und über ihre Auswirkungen auf das Gehirn des Menschen eigentlich erschreckend wenig weiß. Auch, weil Beethovens Pastorale und Messiaens catalogues des oiseaux nicht wirklich zum Kuscheln taugen. 

Antonia Munding

Antonia Munding studierte klassischen Gesang, Musikwissenschaft, Germanistik und Journalismus. Sie war als Sängerin an verschiedenen Bühnen engagiert und arbeitete als Nachrichtenredakteurin. Als freie Autorin veröffentlicht sie unter anderem bei den Frankfurter Heften, Deutschlandfunk Kultur und der Freitag.

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