Salzburger Machtfragen 

März 20, 2024
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Die Suche nach einem Nachfolger der Salzburger Festspiele (Foto: KI)

Die Salzburger Festspiele entscheiden über die Verlängerung von Markus Hinterhäuser. Wäre das eine gute Idee?

Intendant der Salzburger Festspiele wird man auch in den Caféhäusern der Stadt, so wie einst Markus Hinterhäuser. Der traf hier immer wieder Journalisten auf einen Verlängeren und eine Zigarette, philosophierte über Neutöner-Komponisten wie Giacinto Scelsi, schwärmte von Leonard Cohen oder wetterte gegen die Champagner-Stimmung bei den Festspielen nach den Kindertotenliedern. Am liebsten erklärte Hinterhäuser seinen Gesprächspartnern damals aber, wie peinlich der amtierende Intendant, Alexander Pereira, gewesen sei, dass der ehemalige Schreibmaschinen-Vertreter keine Ahnung von »wahrer Kultur« hätte und die Festspiele zum Laufsteg seiner Eitelkeiten gemacht habe. All das würde er, Markus Hinterhäuser, freilich anders machen, wenn man ihn, dem Künstler und ehemaligen Liedbegleiter von Brigitte Fassbaender, den Intellektuellen und Neudenker nur machen ließe. Hinterhäusers Caféhaus-Geplauder war frisch und kämpferisch. Die Journalisten waren begeistert und schrieben ihn zu einer »Self fulfilling prophecy« hoch. 2016 wurde Markus Hinterhäuser dann tatsächlich zum Intendanten der Festspiele seiner Heimatstadt ernannt. Nun wurde seine Stelle neu ausgeschrieben. Es gibt acht Berweber: davon eine Frau und drei aus Österreich. Namen, die fallen, sind der Regisseur Barrie Kosky, Münchens Opernintendant Serge Dorny, der Intendant der Mailänder Scala, Dominique Meyer, Wiens Konzerthauschef Matthias Naske und Stuttgart-Chef Viktor Schoner, auch Hinterhäuser soll sich ebenfalls erneut beworben haben.

Damals schien mit ihm ein neuer Wind zu wehen. Eine Aufbruchstimmung wie zuletzt, als Gérard Mortier die Festspiele von Herbert von Karajan übernommen hatte. Plötzlich erschienen die Verwaltungs-Jahre von Peter Ruzicka, die Intendanz von Theater-Apparatschik Jürgen Flimm und die Ego-Shooter-Ära von Alexander Pereira wie abgetakelte Königreiche alter Herrscher. Markus Hinterhäuser stand für Aufbruch, für Mut, dafür, dem Klunkerpublikum neue Konzerttöne beizubringen.

Als Klassik-Manager wirkt Hinterhäuser überfordert

Wenn man sich das Festspielprogramm jetzt, acht Jahre später, anschaut, ist von Aufbruch nur wenig übrig. In Wahrheit haben die Festspiele sich vielleicht nie wirklich verjüngt. Hinterhäuser hat immer wieder auf die gleichen Protagonisten gesetzt, auf Daniel Barenboim, Riccardo Muti oder Christian Thielemann, auf Peter Sellars, Robert Carsen und Romeo Castellucci. Letzten Sommer gähnte man über den ausgelaugten Falstaff von Christoph Marthaler und Martin Kusejs abgestandene Le Nozze di Figaro. Die Festspiele haben sich in einem  status quo des Immergleichen eingerichtet. Und einen seiner letzten Erfolgs-Garanten, den Dirigenten Franz Welser-Möst, hat Hinterhäuser inzwischen unfreundlich ausgeladen. Welser-Möst hat Sängerinnen wie Asmik Grigorian hat für Salzburg entdeckt und Publikumserfolge wie Salomé oder die Elektra geleitet. Inzwischen findet man ihn allerdings nicht mehr im Programm. Auch in Fragen von Innovationskraft und Diversität laufen etwa die Festspiele in Aix en Provence Österreich längst den Rang ab und ziehen Publikum von der Salzach an die Côte d’Azur.

Auch als Klassik-Manager wirkt Hinterhäuser überfordert, seit sich Festspielpräsidentin Helga Rabl-Stadler zurückgezogen hat. Selbst Groß-Produktionen wie Hoffmanns Erzählungen werden erst kurz vor Torschluss besetzt, der Verein art but fair klagt noch immer gegen die Bezahlmodelle der Festspiele in der Coronazeit, und mit der schlecht kommunizierten Bauchentscheidung, die aktuelle „Jedermann“-Produktion zu ersetzen, hat Hinterhäuser besonders in Österreich öffentliches Ansehen verloren.  

Intendant Markus Hinterhäuser (Foto: Salzburger Festspiele/Neumayr)

Der Intendant stellte Regisseur Michael Sturminger und Hauptdarsteller Michael Maertens trotz vorheriger Zusagen kurzerhand die Stühle vor die Tür und fiel mit dieser Hau-Ruck-Aktion seiner frisch gekürten Schauspielchefin Marina Davydova in den Rücken. Dass Hintehräuser als Ersatz lediglich den 69jährigen Regie-Recken Robert Carsen aus dem Hut zauberte, sorgte für wenig Begeisterung.

Einen weiteren Heimvorteil hat Hinterhäuser verspielt, als er der neuen Salzburger Landesregierung aus konservativer ÖVP und nationalistischer FPÖ öffentlich den Rücken stärkte. In einem Interview wies er den Schauspieler und Publikumsliebling Cornelius Obonya zurecht, als der gemeinsam mit anderen Kulturschaffenden gegen die neue Rechtsregierung demonstrierte und forderte, die Eröffnungsveranstaltung der Festspiele zu boykottieren. Hinterhäuser warf den Demonstranten »Empörungsrituale« vor und attestierte Obonya eine »bemerkenswerte, gedankliche Schlichtheit.« Schnell wurde Hinterhäuser mit einem alten Brief konfrontiert, in dem er Gerard Mortier einst noch Haltungslosigkeit im Umgang mit der FPÖ vorgeworfen hatte. Hinterhäuser entpuppte sich in diesem Disput als rückgratloser Machtpolitiker. Als er versuchte, zurück zu rudern und erklärte, dass ihm die FPÖ »fremd, unsympathisch und in wesentlichen Teilen zuwider« sei, war der Mythos des alten Revoluzzers bereits erheblich angekratzt.  

Kultur als Ort der Amoral

Auch in der Aufarbeitung der engen Russland-Verflechtungen der Salzburger Festspiele blieb Hinterhäuser merkwürdig verhalten. Intendantin Helga Rabl-Stadler hatte noch eigenhändig Deals mit Gazprom abgeschlossen (die auf Grund der Corona-Pandemie nichtig wurden), und der russische Freundeskreis der Festspiele finanzierte Auftritte des umstrittenen Dirigenten Teodor Currentzis. Während die Philharmonie in Köln, das Konzerthaus in Wien und die Wiener Feststwochen den griechisch-russischen Dirigenten auf Grund seiner Russland-Nähe längst ausgeladen haben, und das Konzerthaus in Luzern ihn nicht auf dem Programm hat, hält Hinterhäuser stur an ihm fest. Besonders absurd wirkt das, wenn er gleichzeitig erklärt, dass er die einstige Salzburg-Diva Anna Netrebko auf Grund ihrer Putin-Nähe niemals einladen würde. 

Video-Kommentar zur Situation der Salzburger Festspiele

Philosophische Rückendeckung sucht Hinterhäuser beim österreichischen Philosophen Konrad Paul Liesmann, für den Kultur an sich ein Raum der Amoral darstellt: Alles ist erlaubt, solange es nicht durch Gesetze verboten ist. Doch genau mit dieser Argumentation hat Hinterhäuser die Kultur auch als Raum aufgegeben, an dem moralische Konstanten ausdrücklich, öffentlich und diskursiv verhandelt werden. Den Raum der Kultur als Raum des Amoralen hätte Hinterhäusers Vorgänger Alexander Pereira wohl ebenfalls so unterschrieben. 

Moralische Leitplanken scheinen auch in der Personalführung der Festspiele inzwischen zu fehlen. Was in den einzelnen Gewerken nur gemunkelt wird, offenbart sich zwischen dem Intendanten und seiner neuen Präsidentin im grellen Scheinwerferlicht der Öffentlichkeit. Kristina Hammer und Markus Hinterhäuser finden einfach keine gemeinsame Arbeitsebene. Selbst nachdem das Festspiel-Kuratorium mediatorisch eingegriffen hat, Hammer entmachtete und ihr die Hoheit über die Öffentlichkeitsabeit genommen hatte, machte Hinterhäuser aus seiner anhaltenden Abneigung keinen Geheimnis. Angeblich soll er sich sogar geweigert haben, das Festspiel-Programm gemeinsam mit seiner Präsidentin im Ausland vorzustellen. Hammer wartet wohl nur auf den richtigen Moment, ihre Intendanten-Anekdoten der letzten Jahren mit anderen zu teilen. 

Der 300-Millionen-Umbau als Herausforderung

Es verwundert also nicht, dass Markus Hinterhäuser öffentlich erklärt hat, dass er noch nicht wisse, ob er sich erneut um die Intendanz der Festspiele beworben hat. Offensichtlich  besteht weder für ihn noch hinter den Festspiel-Kulissen Einigkeit, ob man weiter am alten Intendanten  festhalten oder einem Nachfolger die Chance zur vollkommenen Neustrukturierung geben will. Auffällig ist, dass in der neuen Ausschreibung explizit um »internationale Bewerbungen« gebeten wird, dass man sich eine »innovative und kreative Programmgestaltung« wünscht und besonderen Wert auf »soziale Kompetenz« legt. Anforderungen, die Hinterhäuser stutzig machen müssten.

Tatsächlich wird die kommende Intendanz viel zu tun haben, denn es wird an der Salzach nicht allein darum gehen, die Festspiele künstlerisch neu zu positionieren und aus ihrer selbstgefälligen Provinzialität zu befreien, sondern auch darum, einen  gigantischen 300-Millionen-Umbau von Arbeitsräumen und Werkstätten und die Sanierung der Gebäude- und Bühnentechnik zu koordinieren. Es ist davon auszugehen, dass allerhand Bewerbungen eingegangen sind. Sicher scheint derzeit aber auch, dass die nächste Intendantin oder der nächste Intendant der Salzburger Festspiele noch nicht Hof in den Caféhäusern an der Salzach hält. 

Auf der Instagram-Seite von BackstageClassical startet eine Abstimmung über die Intendanten der Festspsiele.

Axel Brüggemann

Axel Brüggemann arbeitet als Autor, Regisseur und Moderator. Er war als Kulturredakteur und Textchef bei der Welt am Sonntag tätig und schrieb danach für die Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung. Heute veröffentlicht er u.a. im Tagesspiegel, im Freitag, der Jüdischen Allgemeinen oder in der Luzerner Zeitung. Er arbeitet für Radiosender wie den Deutschlandfunk, den WDR oder den HR. Seine Fernsehsendungen und Dokumentationen (für ARD, ZDF, arte oder SKY) wurden für den Grimmepreis nominiert und mit dem Bayerischen Fernsehpreis ausgezeichnet. Brüggemann schrieb zahlreiche Bücher u.a. für Bärenreiter, Rowohlt, Beltz & Gelberg oder FAZ Buch.

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