Regisseur Robert Carsen inszeniert Mozarts Oper als Polit-Drama und Kampf um das Kapitol. Eine Inszenierung mit Gegenwartsbezug – und ein musikalisches Fest. Eine Kritikrundschau.
Von einem düsteren Polit-Drama berichtet Stefan Ender in Der Standard: »Robert Carsen hat La clemenza di Tito doch gänzlich grau in grau in Szene gesetzt. Anzugmänner bevölkern aseptische Konferenzräume und Chefbüros (Bühne: Gideon Davey). Hinterlistig von Carsen, dass er die spitzenverdienenden Entscheidungsträger im Publikum für viel Geld abends nochmal ihr dröges Alltagsambiente anschauen lässt. Aber auch so mancher Operngast mit Durchschnittseinkommen muss leiden. Hoffentlich wird Carsens Jedermann-Neudeutung im Sommer bunter!« Franziska Stürz schreibt bei BR Klassik: »Regisseur Robert Carsen zeigt in Videosequenzen zum Ende des ersten Aktes Fernsehbilder aus Washington vom Januar 2021. Initiiert hat das die machthungrige Vitellia, die den verliebten Sesto zum Mord anstiftet.«
Markus Thiel beobachtet für den Merkur: »Ein Traum von Premierminister ist das. Hart, aber herzlich. Bestimmt, aber gerecht. Unbestechlich im Urteil, zugleich genau abwägend und mit Sinn fürs Soziale. Und wenn er ins Parlament kommt, begrüßt er zunächst die Hinterbänkler. Der Mann ist mutmaßlich ein Fall fürs SPD-Parteibuch beziehungsweise hier fürs italienische Pendant – und, wir ahnen es, in seiner ständigen Vergebungslaune auch gefährdet.«
Begeistert zeigen sich alle, so wie Ender hier, über die Titelrolle: »Daniel Behle verleiht dem großen Verzeihenden heldische Kraft, und doch berührt sein Tenor im Leisen und im Lyrischen am allermeisten. Alexandra Marcellier intrigiert als Vitellia mit Verve und bemüht sich erfolgreich, ihren eher gedeckt timbrierten Sopran zu dramatischer Prägnanz zu verdichten.« Stürz schreibt beim BR: »Cecilia Bartoli glänzt in der schwer zu besetzenden Kastratenrolle des Sesto, und die Musiciens du Prince Monaco unter Gianluca Capuano machen mit ihr und dem erstklassigen Solistenensemble aus dem durchaus sperrigen Werk ein historisch informiertes und dabei hoch energetisches Mozart-Erlebnis.« Dem schließt sich Thiel an: »Ein paar Mal spielen die Streicher eng am Steg und wagen sich ins Geräuschhafte, Kälte macht sich breit. Und oft tönt es so farben- und finessenreich, als habe Capuano ein paar Extrastimmen dazukomponiert.«
★★★★☆