In Bayern tobt der Kampf um die Staatsoper. Minister Blume beschädigt gerade Serge Dorny, Viktor Schoner, Wladimir Jurowski und Joana Mallwitz. Warum der Sturm im Wasserglas? Eine Analyse.
Was ist denn da los, in München? Woher die ganze Aufgeregtheit? Warum dieses verrückte Opern-Hin-und-Her? Vielleicht tut ein bisschen norddeutsche Distanz ganz gut, um das blau weiße Chaos zu ordnen. Also: Treten wir einen Schritt zurück und schauen Mal genau hin.
An der Staatsoper in München laufen die Verträge von Intendant Serege Dorny und Chefdirigent Wladimir Jurowski aus. Offiziell muss die Nachfolge erst im Sommer geregelt sein, aber die Debatte hat unaufhaltsam Fahrt aufgenommen. Der Intendant konnte die Unsicherheit nicht länger ertragen und hat seinen Hut – mehr oder weniger öffentlich – auch bei den Salzburger Festspielen in den Ring geworfen. Das erzeugte Aufmerksamkeit und Druck auf den zuständigen Minister Markus Blume. Und wahrscheinlich hat Dorny zusätzlich auch noch ein bisschen in Journalisten-Kreisen herumtelefoniert. Auf jeden Fall gab es plötzlich eine auffällige Sympathiewelle für ihn: Die Abendzeitung, die Süddeutsche und ein Radio-Beitrag drängten Blume zur raschen Vertragsverlängerung.
Doch dann drehte der Wind plötzlich. Möglich, dass einige unzufriedene Musikerinnen und Musiker die Debatte angeheizt haben. Plötzlich wurde – ebenfalls in der Abendzeitung – spekuliert, dass Stuttgarts Intendant Viktor Schoner als Nachfolger von Dorny gehandelt würde – und mit ihm die Dirigentin Joana Mallwitz. Das ist doppelt brisant, da Schoner ein Gewächs von Ex-Staatsopern-Chef Nikolaus Bachler ist, während Dorny aus der Schule von Gérard Mortier kommt.
Was nun passierte, ist ein bisschen irrational: Plötzlich überboten sich Münchens Medien mit Spekulationen, Journalistinnen und Journalisten berauschten sich an immer neuen Berichten und schienen sich als Königsmacher installieren zu wollen. Süddeutsche, Merkur und selbst der Bayerischer Rundfunk taten plötzlich so, als stehe eine Vertragsunterzeichnung mit Schoner quasi vor der Tür. Doch der winkte mit einem lässigen Schmunzeln ab: Via X erklärte sein Haus: »Schöne Grüße aus Stuttgart – auch von unserem Chef: Viktor Schoner ist nicht im Gespräch mit dem Bayerischen Kunstministerium«. Wenig später erklärte auch Joana Mallwitz, dass es keine Gespräche über einen Wechsel nach München mit Markus Blume gegeben habe. Eigentlich wäre die Geschichte hier zu Ende. Aber nicht in München!
Als Joana Mallwitz nun das Orchester der Staatsoper dirigierte, waren sie alle wieder da: Die Journalisten (ja, es sind alles Männer!) und: Markus Blume. Sofort ging die Kaffeesatzleserei weiter: Sei Blumes Anwesenheit nicht ein Zeichen? Stehe ein Intendantenwechsel nun doch bevor? Alles ging wieder von vorne los. Trotz der Dementi.
Minister Blume steckt in der Sackgasse. Jetzt hilft nur noch: Rückwärtsgang.
Kleiner Rückblick: Mit Serge Dorny hat München einen Intendanten verpflichtet, von dem bekannt war, dass er – drücken wir es diplomatisch aus – kein Meister in zwischenmenschlichen Personalgesprächen ist. Seinen Job in Dresden hat er im Zoff mit Christian Thielemann nicht einmal angetreten, und als er nach Lyon zurückkehren wollte, protestierten dort die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter. Was auf Dornys Habenseite steht: Innovative Programme und das Einmischen in die Kulturpolitik. In München hat er mit Opern wie Die Passagierin oder Die Nase oder Krieg und Frieden gezeigt, dass gewagte und spannende Programme durchaus ein Publikum finden. Und Dorny strukturiert das Haus um, mischt sich in Transformations-Debatten ein (auch, wenn er bei einem Teil seiner Umbau-Ambitionen bereits auf die Bremse getreten hat). All das wusste man in München, als man ihn holte. Dorny hat seit Amtsantritt 2021 geliefert, was man von ihm erwartet hat: Er hat die gute alte, goldene Staatsoper von Nikolaus Bachler umgebaut. Dorny ist sicher, dass die Hochglanz-Oper, die in den 2010er Jahren vielleicht gut funktionierte, heute neu erfunden werden muss.
Klar, dass sich da Protest regt. Vor allen im Orchester. Denn mit Dorny steht plötzlich auch Musikdirektor Wladimir Jurowski unter Druck. Auch er ist einer, der freimütig die Transformation befürwortet, einer der öffentlich fragt, wie es sein kann, dass ein Musiker in Deutschland einmal für einen Job vorspielt und dann bis zur Pensionierung auf dem gleichen Posten sitzt – ohne je noch einmal vorspielen zu müssen. Jurowski spricht sich für mehr Flexibilität und Verantwortung innerhalb des Orchesters aus. Aber das Orchester der Bayerischen Staatsoper scheint (wie viele andere Orchester auch) kein Interesse am Wandel zu haben, sondern weiter in der Vergangenheit schwelgen zu wollen. Dabei ist Jurowski ein ziemlich perfekter Nachfolger für Kirill Petrenko. Einer, der weiter an der Qualität des Orchesters arbeitet, der nicht sich selber in den Vordergrund stellt, sondern den Klang. Ob Joana Mallwitz die musikalische Qualität der Staatsoper halten würde, ist eher fraglich.
Das eigentliche Problem liegt aber weiter zurück: Münchens Kulturpolitik hätte sich nach Nikolaus Bachler auch für ein »Weiter so« entscheiden können – aber das hat sie nicht. Nun scheint Kulturstaatsminister Blume plötzlich zu wackeln. Das große Problem: Er beschädigt sich durch sein Zögern zunehmend selber.Denn Blume hat keinen Plan B.
Jurowski und Dorny werden nach München nicht arbeitslos.
Hätte der Minister einen Wandel an der Staatsoper gewollt (was man durchaus argumentieren könnte), hätte er längst andere Kandidaten anfragen müssen, vielleicht sogar Leute wie Schoner – aber das hat Blume verpasst. Nun drängt die Zeit, und der Politiker wird von den Kandidaten, die öffentlich ins Gespräch gebracht werden, bloßgestellt. Wenn in diesen Tagen sowohl Mallwitz als auch Schoner erklären, dass es keine Gespräche mit Blume gegeben habe, fragt man sich: »Warum denn nicht?« Und warum füttert Blume nun den Affen weiter, indem er zu Mallwitz‘ Konzert kommt?
Zumal Blume hinter den Kulissen offenbar ja bereits verhandelt hat: Es heißt, dass dem Dirigenten und dem Intendanten bereits Verträge angeboten wurden – wohl aber mit kürzerer Laufzeit. Wollte Blume sich selber Zeit verschaffen, die er in den letzten Jahren fahrlässig verstreichen lassen hat? Es ist doch klar, dass Dorny und Jurowski da nicht mitspielen. Weder der eine noch der andere wären in einer Nach-München-Zeit arbeitslos.
Die Münchner Krise ist also in erster Linie eine Politik-Krise. Wenn man bislang der Auffassung war, dass die Bayerische Staatsoper in einen Transformationsprozess gehen muss und dafür ein kompromissloser Intendant von Nöten sei – dann muss man diesen Intendanten auch machen lassen, wenn es Mal schwer wird. Wenn man diesen Prozess aus Angst vor einem alten Stammpublikum nun doch nicht mehr will (oder mit einem anderen Personal), hätte man vorher handeln müssen. So steht die Staatsoper ziemlich demontiert da: Intendant und Musikdirektor sind angeschlagen, und mögliche Nachfolgerinnen und Nachfolger tragen den Makel der zweiten Wahl. Der Kulturstaatsminister hat sich selber in eine Sackgasse manövriert. Da hilft nur eins: Rückwärtsgang einlegen und zügig weiter fahren!