Tobias Kratzer inszeniert Strauss’ Intermezzo in Berlin als Taxifahrt der Zwischenmenschlichkeit und erntet viel Begeisterung – und einen bösen Verriss.
Zweiter Teil der Strauss-Trilogie von Tobias Kratzer an der Deutschen Oper in Berlin. Nach Arabella inszenierte er nun Intermezzo als eine Art Tatort, wie Ulrich Amling im Tagesspiegel schreibt. Kratzer siedelt Strauss‘ sperrige Konversationsoper dort an, »wo sie angesiedelt ist, hat sich aufs elegant Komische konzentriert und sich für eine gepflegte Gesellschaftskomödie entschieden, die sich aber im Privaten erschöpft«, kommentiert Helmut Mauró in der Süddeutschen Zeitung. Alles beginnt im Hier und Jetzt an der Deutschen Oper in Berlin. Kratzer lässt die Personage im Taxi anreisen und begleitet sie auf der Leinwand in einer Fahrt durch die Hauptstadt, das Orchester spielt die Hauptrolle (im Graben wie auf der Leinwand), und es gibt allerhand historische Strauss-Opern-Film-Schnipsel zu sehen.
»Es sind Szenen einer Ehe, die ein ziemlich aufs männliche Genie im Haushalt ausgerichtetes Frauenbild transportieren“, erklärt Joachim Lange in der Deutschen Bühne. Intermezzo ist eine quasi autobiographische Oper aus dem Leben von Richard Strauss: Der Hofkapellmeister gerät während einer Dienstreise unschuldig in den Verdacht, ein Verhältnis zu haben, während seine Frau (fast) eines hat.«
Komödie mit Instinkt
»Das Hinreißende an diesem Abend ist, wie sich Tobias Kratzer die bürgerliche Komödie mit sicherem Instinkt für das Loriothafte der Wirklichkeit zu eigen macht«, findet Lange, »und, wie er dabei das Selbstreferenzielle auf die Spitze treibt: Der Zwischenvorhang ist Projektionsfläche für den Blick in den Orchestergraben, um im live produzierten Video, dem Orchester und dem Dirigenten bei der Arbeit zuzusehen.«
Der Clou: Kapellmeister Stroh (gesungen von Clemens Bieber) ähnelt dem wahren Dirigenten Donald Runnicles. »Der war es denn auch, an den das ominöse Briefchen voller Rosenblätter und mit anzüglicher Bitte eigentlich gerichtet war«, berichtet Lange.
Runnicles trifft den Ton
»Das Orchester der Deutschen Oper unter der Leitung ihres Generalmusikdirektors Sir Donald Runnicles, die anfangs vielleicht zu konventionell gestaltend wirken, trifft den richtigen Ton«, befindet Mauró, »einerseits verbindlich, andererseits nicht fassbar zu sein.«. Und Judith von Sternburg schreibt für die Frankfurter Rundschau, dass »Runnicles einen fülligen, disziplinierten, zutiefst seriösen Straussklang produzieren lässt.«
Auch sängerisch ein Abend auf hohem Niveau: »Bis ins Kleinste sind alle Partien liebevoll besetzt und ausgefüllt, ein feiner (Fledermaus)Gag, dass der Kammersänger vom hierfür überdimensionierten Tobias Kehrer gesungen wird«, schreibt Sternburg, und: »Sängerisch gehört Christine Storch der Abend, Maria Bengtsson schimpft, jammert und rast unermüdlich und schafft es trotzdem irgendwie, eine Frau wie du und ich zu bleiben.«
Mauró erinnert in der Süddeutschen Zeitung noch daran, dass die Rolle der Chistine ein Spiegelbild von Strauss‘ Frau Pauline sein könnte. Darauf habe Pauline Strauss nach der Premiere mit einer barsch abweisenden Bemerkung gekontert. »Sie erkannte sich wohl allzu deutlich wieder und ging davon aus, dass auch das Publikum die Opernerzählung als realistisches Bild ihres Privatlebens deutete«, schreibt Mauró, »die Kehrseite öffentlichen Ruhms. Kratzers Inszenierung thematisiert auch dies. Das Privatleben der Künstlergattin ist nicht zu retten, aber ihre Menschenwürde. Sie wird nie wirklich desavouiert, und das verlangt in diesem Zusammenhang schon hohe Regiekunst.«
Amling resümiert im Tagesspiegel: »Bei ihrer oberflächlichen Aktualisierung übersieht die Deutsche Oper, dass Richard Strauss sich dafür als eigenwilliger, aber starker Partner anbietet. Mit ihm wäre mehr drin gewesen als nur der nächste Musikerwitz.« Ziemlich enttäuscht zeigt sich vor allen Dingen Uwe Friedrich im Deutschlandfunk und kommentiert: »Das Problem ist, dass das alles am Stück vollkommen vorbei geht. Kratzer findet keinen Ton für den Humor, alles wird krachlederne Klamotte.«
★★★☆☆