Ist der GEMA-Protest egoistisch?

April 23, 2025
5 mins read
Die Lobby bei der GEMA (Foto: GEMA)

Wollen privilegierte E-Musik-Komponisten lediglich ihre Pfründe retten, wenn sie die GEMA-Reform bekämpfen? Und wie könnte eine gerechtere Reform aussehen? Die Verlegerin und Cellistin Susanne Wohlleber verschiebt in ihrem Gastbeitrag die Perspektiven.

English summary: Privileged contemporary classical composers may resist the GEMA reform mainly to protect their own interests, argues cellist and publisher Susanne Wohlleber. The reform would end the division between “serious” and “popular” music, reducing disproportionate funding for a small elite. Wohlleber calls for a fairer system that supports true diversity and reflects actual audience engagement.

Die GEMA steht vor der größten Reform ihrer Geschichte: Die Trennung zwischen »Ernster Musik« und »Unterhaltungsmusik« soll fallen, die millionenschwere Umverteilung steht auf den Prüfstand. Wer profitiert, wer verliert – und wie könnte echte Vielfalt zukünftig gefördert werden? Darüber wird derzeit heftig gestritten. Die Cellistin und Verlegerin (Verlag Schambach-Music) Susanne Wohlleber meldet in ihrem Beitrag für BackstageClassical Bedenken an, ob der Protest prominenter Komponisten nicht auch von Eigeninteressen gelenkt sein könnte und macht darauf aufmerksam, dass derzeit nur eine kleine Klassik-Elite von den bestehenden Regeln profitiert.

Die GEMA möchte sich reformieren und hat einen Antrag erarbeitet, über den auf der nächsten Mitgliederversammlung am 14. und 15. Mai entschieden werden soll. Es geht darum, die Trennung von »Ernster Musik« und »Unterhaltungsmusik« abzuschaffen und die kulturelle Förderung grundlegend neu aufzustellen. Hintergrund ist die schwindende Akzeptanz einer Umverteilung von »U« nach »E«, die 2023 15 Millionen Euro betrug.  Dabei haben immer weniger »E«-Mitglieder immer mehr Geld erhalten, obwohl sie selbst immer weniger zum Fördertopf beitragen.(1)

Unter diesen Umständen verwundert es nicht, dass derzeit gerade diese privilegierten Großverdiener gegen die geplante Reform Sturm laufen, als drohe die Abschaffung der gesamten Klassik, als würde der »arme« klassische Komponist seiner Sozialhilfe beraubt und damit unsere musikalische Hochkultur dem Kommerz geopfert.(2)

Dabei wird vermutlich nicht ungewollt der Eindruck erweckt, dass die bisherige Sparte »Ernste Musik« bei der GEMA all das beinhaltet, was an klassischer Musik in den letzten Jahrzehnten komponiert wurde. Das ist aber nicht der Fall. 

Der »Werkausschuss« als Gericht 

In den Genuss einer fairen Honorierung seiner Aufführungen kommt auch unter den klassischen Komponisten nur ein immer kleiner werdender, elitärer Kreis. Bis zur Einordnung eines Werkes in die Sparte »E« ist ein jahrelanger, bürokratischer, oft entwürdigender Kampf nötig, der nicht einmal die Aussicht auf Erfolg sicherstellt.

Jedes bei der GEMA angemeldete Werk landet erst einmal bei der »Unterhaltungsmusik« in der niedrigsten Einstufung. Wenn das Stück aufgeführt wurde, darf man den Antrag auf Werkeinstufung stellen – und hört erst einmal sehr lange nichts. Nach Einsendung von Partituren, Aufnahmen etc. trifft der GEMA-Werkausschuss dann eine (nicht selten abschlägige) Entscheidung. 

Die GEMA-Debatte bei BackstageClassical

In diesem Gremium urteilen Fachleute, die nur eine Ästhetik als »ernst« einstufen (und damit relevant honorieren), die sie auch selber bedienen. Tonalität und erkennbare Melodien gelten als Ausschlusskriterien. Man darf dagegen Einspruch einlegen und vor dem Werkausschuss Rede und Antwort stehen, aber auch das garantiert keine Aufwertung der geleisteten Arbeit. (Hat man die ersten marginalen Tantiemen nicht fristgerecht reklamiert, ist das erhoffte Honorar ohnehin futsch.) 

Resignation im GEMA-Kampf

Die meisten Antragsteller*innen scheitern oder resignieren irgendwann in ihrem Kampf gegen monströse Bürokratie und die willkürliche Herabsetzung ihrer Arbeit durch Musikdienst und Werkausschuss. Die GEMA ist 2023 sogar gerichtlich aufgefordert worden, eine »willkürfreie und nachvollziehbare Begründung« für die Einstufung oder Ablehnung eines Werkes zu liefern.(3)  Es besteht zumindest die Hoffnung, dass die anstehende Reform dem Rechnung tragen wird.

Doch die Reform soll nicht nur die enormen Unterschiede in der Vergütung mindern, in den Tantiemen für die tatsächlich stattgefundenen Werknutzungen, auch die sogenannte »kulturelle Förderung«, GEMA-sprachlich das »Wertungsverfahren«, steht auf dem Prüfstand. Dabei werden durch den GEMA-Wertungsausschuss in einem komplizierten Verfahren an jedes GEMA-Mitglied Punkte verteilt – z.B. für die Dauer der Mitgliedschaft, die Höhe der erhaltenen Tantiemen, den Wert des Gesamtschaffens – auf Grundlage derer eine jährliche finanzielle Zuwendung berechnet und verteilt wird. Wer also viel verdient, bekommt noch einmal viel obendrauf.

Die TOP 100 Urheber*innen in der heutigen E-Wertung erhalten im Durchschnitt je 50.000 Euro »kulturelle Förderung« pro Jahr zusätzlich. Das ist das Sechsfache des Verteilungsaufkommens – also ihrer durchschnittlichen Tantiemen, die sie durch die Nutzungen ihrer hoch eingestuften Werke pro Jahr ohnedies schon verdienen. Die »kulturelle Förderung« wirkt für sie wie eine exklusive Grundsicherung. Zwar gibt es dieses »Wertungsverfahren« in allen Sparten, aber die Gewichtung der verteilten Punkte, die am Ende bares Geld bedeuten, ist bei der »E-Musik« ungleich höher. In »U« erhält dagegen kein Mitglied in der jährlichen Wertung mehr Geld als durch die Verteilung der Tantiemen.(4)

Luxusquartier im Elfenbeinturm

Vor diesem Hintergrund wird leicht deutlich, zu wessen Lasten die geplante Reform gehen soll, und wer sich verständlicherweise lautstark und medienwirksam dagegen aufbäumt. Die selbsternannte Avantgarde fürchtet um ihr Luxusquartier im Elfenbeinturm. Sie appelliert heute an ein Solidarprinzip, welches sie Andersdenkenden bzw. -komponierenden selbst nie zugestanden hat.

Das Geschäft mit der Musik ist ein enormer Wirtschaftszweig, es geht um sehr viel Geld, um Machtstrukturen und Privilegien. Die Vertreter*innen der atonalen Zunft haben durch Lobbyarbeit in ihren Verbänden und Organisationen längst Strukturen geschaffen, die erfolgreich ausgrenzen, was dem Status quo gefährlich werden könnte. 

Reformen sind nötig

In Jurys, Verbänden und Vorständen sitzen Funktionäre, die nur ihre eigene Ästhetik zulassen. Fördermittel für zeitgenössische Komposition sind gebunden an neue Klangtechniken, innovative Stilmittel etc. Kein Wunder, dass sich kaum noch jemand die Mühe macht, einen komplizierten mehrstimmigen Satz oder anspruchsvolle Kontrapunktik zu schreiben. Durch die Ächtung aller Kategorien, an denen die Qualität von Kunst und Handwerk zu messen wären, öffnen sich der Willkür Tür und Tor.

Mit diesem System erhalten wir einen Zustand, der sich am Publikum als allerletztes orientiert. Die Folgen für die gesamte Branche sind längst ein großes Thema: der allseits beklagte Publikumsschwund, das Ausbleiben neuer klassischer Werke, die in der Lage sind, Menschen zu begeistern, Identität zu stiften. Wenn wir so weitermachen, verlieren wir ein ganzes Genre – bei fachfremdem Publikum ist heutige Klassik schon längst nicht mehr existent. Wer Klassik liebt, hört Musik vergangener Tage. Das sollten wir ändern!

Reformen sind dringend nötig. Das Ausmaß der Privilegierung auserwählter E-Komponist*innen mit kaum aktivem Repertoire ist nicht mehr tragfähig.(1) In Zukunft soll verstärkt musikalische Vielfalt gefördert werden, profitieren sollen davon alle Musikbereiche und Genre.(4)

Mehr Vielfalt wagen

Das hoffen nicht nur die Urheber der riesigen und vielfältigen Branche der »Unterhaltungsmusik«, sondern auch die standhaften Komponist*innen der klassischen Musik, die vom Adelstitel »E« der GEMA ausgeschlossen waren, weil ihre Musik tonal, nachvollziehbar, schlimmstenfalls sogar unterhaltsam oder schön ist.

Noch ist unklar, wie sich die Verteilungsmechanismen nach der Reform entwickeln werden, wer nach welchen Kriterien die Wertigkeit eines Werkes oder seiner Nutzung festlegen wird. Hoffentlich nähert sich die GEMA wieder ihrer eigenen Ursprungsidee: einer Verwertungsgesellschaft, die allen Komponierenden zu ihrem Recht verhilft, für die Nutzung ihrer Werke eine angemessene Honorierung zu erhalten. 

Und hoffentlich führt der Reformprozess und der öffentliche Diskurs darüber zu einer längst überfälligen Öffnung des klassischen Musikbetriebes hin zur Vielfalt, zur Rehabilitierung der Tonalität in den Konzerten, in den Förderprogrammen, an den Hochschulen. Sonst verlieren wir ein bewundernswert geduldiges Publikum und ein ganzes Genre an die Vergangenheit.

Quellen:

1. https://www.gema.de/de/musikurheber/tantiemen/reform-kulturfoerderung

2. Moritz Eggert 100 Argumente gegen die GEMA-Reform #4,5,6

3. https://gesetze.berlin.de/bsbe/document/NJRE001555614

4. https://www.gema.de/documents/d/guest/gema-reformiert-die-kulturforderung-fur-ihre-mitglieder-1-pdf

Fördern

Artikel auf BackstageClassical sind kostenlos. Wir freuen uns, wenn Sie unabhängigen Klassik-Journalismus fördern.

Mehr aktuelle Artikel

Die Neuerfindung des Kunstliedes

Klassik trifft Clubsound, Schubert auf Synthesizer: Der »Art Song Challenge« ist ein Ein »Eurovision Song Contest der Klassik«. So bringt das Festival LIEDBasel frischen Wind in den Liedgesang.

Nacktheit allein ist keine Tugend

Ein Podcast mit dem Naked String Quartet hat für Aufhorchen gesorgt. Shoko Kuroe antwortet in ihrem Text und erklärt, warum es noch keine Befreiung sein muss, nackt zu spielen - im Gegenteil!

Don't Miss