Sowohl beim SWR als auch bei den Salzburger Festspielen bauen sich die Chefs eigene Wirklichkeits-Welten. Das kann nicht ewig gut gehen.
English summary: The Salzburg Festival and SWR face leadership crises marked by outdated hierarchies and poor management. At Salzburg, director Markus Hinterhäuser’s dismissal of drama chief Marina Davydova sparked public disputes, overshadowing a weak opera program criticized for lacking innovation. Hinterhäuser’s authoritarian style isolates him, eroding trust internally and externally. Similarly, SWR’s leadership struggles with transparency, ignoring dissent while clinging to rigid structures. Both institutions reflect a fading classical world, increasingly out of touch with modern expectations.
Die gestrige Pressekonferenz zum Programm der Salzburger Festspiele hätte nicht schlechter orchestriert werden können. Es kam zu so ziemlich jedem Kommunikations-Desaster, das ein Öffentlichkeits-Profi sich ausmalen kann. Schuld daran ist die Festspiel-Intendanz. Vollkommen unnötig lenkten die Salzburger Festspiele einige Tage zuvor durch den Rauswurf der Schauspiel-Chefin Marina Davydova vom wichtigsten Promotion-Termin ab.
Und dann sickerte drei Tage vor der Pressekonferenz bei BackstageClassical auch noch das Programm durch, das – sagen wir es vorsichtig – nicht gerade aufregend ist. Kein Wunder, dass das Medienecho nach der Bekanntgabe eher bescheiden ausfiel: Kein großer Mozart, kein Strauss! Dafür die immer gleichen Künstlerinnen und Künstler. Das Schauspiel-Programm der gechassten Davidova scheint weitaus innovativer als Hinterhäusers Opern-Show.
Davydova durchkreuzt Pläne
Es war vorherzusehen, dass Davydova den Vormittag der Pressekonferenz nutzen würde, um die öffentliche Lufthoheit zurückzugewinnen und den Festspielen und Markus Hinterhäuser gegen das Schienbein zu treten. Die Meldung, dass sie sich juristisch gegen die Festspiele zur Wehr setzen wird, überschattete dann auch Hinterhäusers Programm-Präsentation.
Dass Davydova auf Grund ihres unentgeltlichen Engagements für ein Festival in Berlin, das russischen Putin-Kritikern eine Stimme gibt, gefeuert wurde, macht den Salzburger Intendanten ebenso angreifbar wie eine andere Botschaft Davydovas. Sie habe ihre bereits verfasste, »sehr emotionale und persönliche Erklärung« auf Anraten ihrer Rechtsanwälte (noch) nicht veröffentlicht. Schon diese Andeutung zeigt, dass ihr Insiderwissen dem Intendanten im Laufe des Prozesses noch schaden könnte. Der Streit wird die Zeit vor den Festspielen überschatten – oder die Festspiele müssen ihn mit viel Geld abwenden.
Nicht unwahrscheinlich, dass die Schauspielchefin eine Dinge dokumentiert hat, die Intendant Markus Hinterhäuser und seinen Umgangston mit Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern betreffen. Der Intendant hatte auf Grund seiner zuweilen unkontrollierten Emotionalität bereits Hausverbot im Salzburger Café Bazar erhalten.
Der Provinz-König
Trotzdem macht Hinterhäuser weiter wie immer. Der Intendant scheint noch in einer alten Welt zu leben, in er qua Job die Macht und Unfehlbarkeit eines Klassik-Papstes für sich beansprucht. Glaubt er wirklich noch, dass der Chef der Salzburger Festspiele die regionale Medienlandschaft bestimmen kann? Das mag vielleicht für den Kooperationspartner, den ORF, gelten, aber die Kollegin Hedwig Kainberger von den Salzburger Nachrichten beweist regelmäßig das Gegenteil. Erst fünf Tage vor der Salzburger Pressekonferenz hatte sie berichtet, dass Salzburgs Oberbürgermeister Bernhard Auinger die Planung der Festspiele kritisierte, die unter anderem zu Überstunden führe.
Hat Hinterhäuser wirklich noch nicht begriffen, dass andere Künstlerinnen und Künstler, Intendantinnen und Intendanten längst über ihn schmunzeln? Dass seine Entscheidungen außerhalb Salzburgs kaum noch Einfluss haben? Dass viele Kolleginnen und Kollegen den Intendanten als Falstaff sehen, als tragische Witzfigur aus einer längst vergangenen Zeit?
Hinterhäuser scheint all das in seiner von ihm selber geschaffenen Blase aus Jasagern nicht mitzubekommen. Und so wird der Festspiel-»Salzberg« immer mehr zum Bunker einer weltfremden Hinterhäuser-Welt. Und jeder, der loyal zu seinem König steht, wird da draußen eher amüsiert bemitleidet. Dabei müssten die Florian Wiegands der Salzburg-Welt doch merken, dass ihre Hinterhäuser-Loyalität ihnen in ihren nächsten Jobs eher im Wege stehen könnte.
Machtmechanismen beim SWR
Natürlich kann es nicht gut gehen, Kunst in dieser Selbstwahrnehmung zu organisieren. Das zeigt nicht zuletzt das aktuelle Klassik-Programm der Festspiele: Die immergleichen, treuen Regisseure, Dirigenten und Musiker – kaum Frauen, viele alte Männer und ein merkwürdiger Russen-Schwerpunkt. Auch Teodor Currentzis, der gerade noch mit seinem von VTB und Gazprom gesponserten Ensemble MusicAeterna durch China tingelte, ist wieder dabei.
Ein ähnliches Bunker-Schema lässt sich auch beim SWR erkennen. Hier haben sich Programmdirektorin Anke Mai und Orchester-Gesamtleiterin Sabrina Haane in ihrer ureigenen Wahrhehits-Welt verschanzt. Zunächst haben sie das Engagement von Teodor Currentzis als Chefdirigent eher hilflos, ohne Argumente und durch internen Druck verteidigt. Nun scheinen sie auch die Orchester-Bedenken gegen den designierten Chefdirigenten François-Xavier Roth weitgehend zu ignorieren. Auch hier kommt es immer wieder zu Hilfeschreien aus dem Orchester und zu ungewünschten, öffentlichen Einblicken in eine merkwürdig hermetische Orchester-Welt, die glaubt, alle Probleme intern und hierarchisch lösen zu können. Eine Welt, die zwar öffentlich-rechtlich finanziert wird, die Öffentlichkeit als Korrektiv aber fürchtet.
Beim SWR wird nicht gefragt, WARUM Menschen aus den eigenen Reihen sich an die Öffentlichkeit wenden, stattdessen werden diese Menschen intern verfolgt. Im Falle des SWR wurden sogar Mails mit Androhung von Gefängnisstrafen im Falle von Kontakten zu Journalisten verschickt, um zu verhindern, dass die bedenkliche, interne Kommunikation nicht nach außen dringt. Was sagt es über die Führungsqualitäten der Orchesterleitung, dass sich Mitarbeiter dennoch – und um so energischer – an die Öffentlichkeit wenden?
Druck nach innen, statt Erkenntnis
Sowohl Markus Hinterhäuser als auch Anke Mai und Sabrina Haane konzentrieren sich in Sachen Trouble-Shooting offensichtlich eher darauf, interne und externe Kritiker mundtot zu machen und aus dem Weg zu räumen als darauf, die eigentliche Fragen zu stellen: Es geht nicht darum, wer sie intern verrät, sondern warum sie intern keine sichere Basis mehr haben, warum sie in ihrem eigenen Haus niemandem mehr vertrauen können und warum sie allmählich die Kontrolle über ihre eigenen Institutionen verlieren. Die Antwort liegt auf der Hand: Ihre alten Führungs-Ideale sind längst überkommen, und eine neue Klassik-Welt ist dabei, sie abzuwählen.
Die Salzburger Festspiele nehmen diesen Sommer wieder Verdis Macbeth auf. Ein Drama um Macht und Angst. Viele Königsanwärter werden ermordet – aber irgendwann setzt sich der Wald von Birnam in Bewegung, und das Königspaar verfällt in Wahn! Die Bäume im Pinzgau bei Salzburg scheinen sich bereits auf den Weg gemacht zu haben.
Dieses ist die korrigierte Version des Artikels, in dem am 11.12.2024 drei Sätze gestrichen wurden.