
Willkommen in der neuen Klassik-Woche,
heute geht es um finanzielle Ungereimtheiten, um tenorales Bayreuth-Bashing, um die Giga-Egos einiger Maestri und natürlich um die große Weltpolitik.
Kommt Gergiev wirklich wieder nach Europa?

Während Russland die schärfsten Bombenangriffe auf die Ukraine führt, scheint es, dass der russische Dirigent und Putin-Unterstützer Valery Gergiev zum ersten Mal nach 2022 wieder im Westen Europas auftreten könnte. Das italienische Festival Un’Estate da RE kündigt den Auftritt Gergievs im Königspalast von Caserta an. Hier soll er am 27. Juli das Orchestra Filarmonica G. Verdi di Salerno sowie Solisten des Mariinsky-Theaters aus St. Petersburg dirigieren. Auf dem Programm stehen Werke von Verdi, Tschaikowsky und Ravel. Das Absurde: Offensichtlich wird das Konzert über Umwege von der EU mitfinanziert, das behauptet die Vizepräsidentin des Europäischen Parlaments, Pina Picierno, und verweist auf Gelder aus dem EU-Kohäsionsfonds. »Es ist inakzeptabel, dass europäische Gelder für den Auftritt eines Kreml-Unterstützers verwendet werden«, sagt Picierno und fordert die Festivalleitung und den Präsidenten der Region Kampanien auf, »sofort Maßnahmen zu ergreifen, um Gergievs Teilnahme zu verhindern und sicherzustellen, dass Steuergelder nicht in die Taschen eines Unterstützers eines kriminellen Regimes fließen«.
»Putin geht. Bach bleibt.«
Und hier der Blick der anderen Seite: In einem bemerkenswerten Interview mit unserer Autorin Antonia Munding betonen der Pianist Alexey Botvinov und der Schriftsteller Michail Schischkin die unverzichtbare Rolle der Kunst in Kriegszeiten. Beim Exil-Festival Odessa Classics erklärte Botvinov: »In diesen Krisen- und Kriegszeiten ist Musik nicht nur die wirksamste Seelenmedizin, sie ist auch eine Waffe, um menschliche Werte hochzuhalten.“ Beide warnen vor der Ausgrenzung russischer Kultur und fordern stattdessen, ukrainische Künstler sichtbarer zu machen: »Es ist ein riesiger Fehler, die russische Sprache und Kultur zu ächten«, sagt Botvinov, und Schischkin unterstreicht die Macht der Kultur gegen Diktatur: »Stalin und Putin kommen und gehen. Aber Bachs unsterbliche Musik…? Sie wird uns immer begleiten.« Beide verweisen auf die existenzielle Situation: »Im Moment geht es um nichts Geringeres als um die Verteidigung der menschlichen Kultur.«

Kaufmanns Bayreuth-Bashing
Was hat Jonas Kaufmann denn da geritten? Kurz bevor seine Festspiele in Erl eröffneten, begann er bei unserem Freund, dem österreichischen Klassik-Opi, ein merkwürdiges Bayreuth-Bashing, das dem Tenor noch auf die Füße fallen könnte: »Ich habe dort 2010 ein einziges Mal gesungen, den Lohengrin«, erinnerte sich Kaufmann an seine Zeit auf dem Grünen Hügel. »Im nächsten Jahr wurde ich von der Wiederaufnahme ausgeschlossen, weil die Proben total über den Haufen geworfen waren und ich gleichzeitig in London Tosca aufgezeichnet habe. Seither habe ich nie wieder was gehört. Bayreuth als Werkstatt, wir schließen uns hier acht Wochen ein, und am Ende sehen wir … das hat viele Leute, die international im Geschäft sind, abgeschreckt. Zumal sich die Gagen nicht mit Wien und anderen Spitzenhäusern vergleichen können.« Mit anderen Worten: das Prinzip Bayreuth widerspricht offensichtlich Kaufmanns Sängerbild des Jet-Setters, der gern dorthin reist, wo am besten bezahlt wird. Ob es jetzt ein Hochgenuss ist, Asher Fisch in Erl bei seinem Wagner zuzuhören, ist fraglich. Immerhin: Der Festspiel-Auftakt mit George Benjamins Oper Picture a Day Like This war zwar kein Publikumsrenner aber eine wohl durchaus märchenhafte Aufführung. Vielleicht sollte sich Tenor Kaufmann als Intendant lieber um die aktuelle Kunst als um die Traumata seiner Vergangenheit kümmern.

Gar nicht komisch, liebe Oper!
Es war vielleicht ein bisschen pedantisch, was das VAN Magazin da alles als »Verschwendung« aufgezählt hat: Innerstädtische Taxifahrten, Bahnfahrten Erster Klasse und etwas überteuerte Hotelspesen in Großstädten. Auf der anderen Seite berichteten die Kollegen aber auch von anderen Vorgängen, die an Berlins Komischer Oper stattgefunden haben sollen: Der kostspielige An- und dann wieder Rückbau einer Leuchtreklame an der Fassade des Schillertheaters (das Denkmalamt protestierte), oder die Anschaffung eines alten BVG-Busses für PR-Zwecke, der am Ende gar nicht benutzt wurde. Ich habe versucht, all die Dinge einmal einzuordnen in einer merkwürdigen Opernwelt zwischen Luxusleben und Prekariat. Was aber wirklich erstaunt, und was BackstageClassical solidarisch werden lässt, ist die Nachricht der VAN-Kollegen, dass sie auf der einen Seite nur wenige Antworten auf ihre Nachfragen bekommen hätten – stattdessen Post von einem Spitzenanwalt in die Redaktion flatterte. Und noch etwas verwundert mich: Dass die Recherche der VAN-Kollegen bislang relativ wenig Niederschlag in anderen Berliner Medien gefunden hat. Hat der Kulturjournalismus der Hauptstadt (zu Recht) Angst, dass eine Verschwendungsdebatte die Spardebatte noch einmal neu entfachen könnte? Ich sehe es anders: Nur schonungslose Klarheit und absoluteTransparenz sind mittelfristig Garanten für eine breite Akzeptanz der staatlichen Kulturförderung. Oder kam der Text einfach zu spät, weil die Verträge des Intendanten-Duos der komischen Oper, von Susanne Moser und Philip Bröking, so ziemlich parallel zur VAN-Veröffentlichung verlängert wurden?
Dirigiere niemals mit dem Ex

Eigentlich war es als sommerliche Fingerübung gedacht, was für allerhand Reaktionen (und lustige Leserpost) gesorgt hat. Ich habe Philippe Jordans nicht ganz runden Abschied von der Staatsoper in Wien zum Anlass genommen, darüber nachzudenken, warum es offenbar schwer für GMDs oder Chefdirigenten ist, zu ihren alten Orchestern zurückzukehren: Das war bereits bei Herbert von Karajan so, und es ging auch Thomas Hengelbrock, Esa-Pekka Salonen, Riccardo Muti, Christian Thielemann, Daniele Gatti oder Marek Janowski nicht anders. Interessant auch, das auch der Name Teodor Currentzis – trotz aller Versprechungen »zukünftig miteinander arbeiten« zu wollen für die kommende Saison nicht mehr im SWR-Programm auftaucht. Ach ja: Ausnahmen gibt es natürlich auch: Was wäre Herbert Blomstedt, wenn er nicht zu seinen alten Orchestern zurückkehren würde, und Kirill Petrenko kam selbst als Chefdirigent der Berliner Philharmoniker noch zu seinem ehemaligen Orchester, dem Symphonieorchester Vorarlberg zurück, um mit ihm einen Mahler-Zyklus zu vollenden. Es gibt sie noch die Hoffnung auf ewige Liebe! Und die Geschichten Ihrer Leserbriefe garantieren irgendwann einen zweiten Teil dieser Serie 🙂
Hagen ringt um Vergangenheit
Zoff am Theater Hagen: In einer Broschüre zum Abschied des Intendanten Francis Hüsers wird kein gutes Haar an dessen Vorgänger Norbert Hilchenbach gelassen »Das vom Vorgänger auch künstlerisch heruntergewirtschaftete Theater Hagen gehörte damals zu den am stärksten von der Abwicklung gefährdeten Kulturinstitutionen in den alten Bundesländern«, heißt es in einem Text des Kritikers Uwe Schweikert in der Broschüre. Gegen diese Interpretation macht nun wiederum die WAZ in Hagen mobil. Autorin Monika Willer verteidigt den Ex-Intendanten: Nach ihren Recherchen beendete Hillchenbach seine Intendanz 2017 mit 155.444 Besuchern, fünf Jahre später sei die Besucherzahl auf 108.586 gesunken. Außerdem habe Hüsers das Vertrauen des Publikums verspielt, schreibt sie. Letztlich versteckt sich hinter diesem Provinz-Possen-Persönlichkeits-Krieg wohl mal wieder der Kampf zwischen den Vertretern einer eher gediegenen und einer eher provokanten Theaterästhetik. Alles andere bleibt eine Stilfrage.
Personalien der Woche
Vertrag für fünf Jahre: Der tschechische Dirigent Jakub Hrůša wird ab September 2028 neuer Chefdirigent und Musikdirektor der Tschechischen Philharmonie. +++ Der Bundesverband der Konzert- und Veranstaltungswirtschaft (BDKV) hat am Mittwoch die Jury und das Auswahlverfahren für den neuen Branchenpreis Best Of Live Award (BOLA) bekanntgegeben. Der Preis, der 2025 erstmals vergeben wird, soll herausragende Leistungen im Live-Entertainment würdigen. Den Juryvorsitz übernimmt BDKV-Präsidentin Sonia Simmenauer. Aus der Klassik in der 16-köpfige Jury dabei auch Dortmunds Intendant Raphael von Hoensbroech und Schleswig-Holstein Musik Festival-Chef Christian Kuhnt.

Und wo bleibt das Positive, Herr Brüggemann?
Ja, wo zum Teufel bleibt es denn? Vielleicht ja hier: Letzte Woche hatte ich an dieser Stelle das Foto eines einsamen Klaviers in einem etwas unwirtlichen Teil des Bahnhofs von Neustrelitz gezeigt. Ich bekam Post aus Stuttgart: Dort singen die Hymnus-Chorknaben zu ihrem 125-jährigen Jubiläum die Ansagen der Haltestellen in der Buslinie 44, und in der belebten Stadtbahnhaltestelle Charlottenplatz gibt es ebenfalls ein Klavier – ganz ohne Schlüssel, also wirklich für alle, die spontan spielen oder ausprobieren wollen. Die Erfolgsgeschichte dieses Klaviers als Film bekam ich gleich dazu geschickt.
Ach ja, nächste Woche verlost BackstageClassical gemeinsam mit der Privatsektkellerei Geldermann in diesem Newsletter zwei Karten für Die Meistersinger von Nürnberg bei den Bayreuther Festspielen (Aufführung am Freitag, den 22.08.2025). Mitmachen kann jeder, der den Newsletter abonniert (wenn Sie uns empfehlen wollen: Hier geht es zur Anmeldung).
In diesem Sinne: Halten Sie die Ohren steif
Ihr
Axel Brüggemann