Kulturinstitutionen stehen im Spannungsfeld von Luxus und Spar-Haushalten. Das macht die Verschwendungs-Debatte um die Komische Oper so allgemeingültig. Ein Kommentar.
English summary: Public debate over spending at Berlin’s Komische Oper reveals deep contradictions in classical music: lavish benefits for top executives contrast with low wages for artists. The case raises questions about transparency, leadership accountability, and cultural funding priorities.
Ist es nicht merkwürdig, dass die aktuellen Recherchen des VAN-Magazin zum Umgang mit Steuergeldern an der Komischen Oper in Berlin nicht wirklich erstaunen? Nicht erst seit dem Prozess um Intendant Alexander Pereira, dem vorgeworfen wurde, Gelder der Florenzer Opernstiftung für private Zwecke verwendet zu haben, kommt uns der Kulturbetrieb zuweilen wie ein Selbstbedienungsladen vor. Ausgaben in Saus und Braus in Intendanzen und bei den Superstars der Klassik stehen oft prekären Verhältnissen an den Theatern entgegen. Und wir scheinen uns daran gewöhnt zu haben.
Die Klassik lebt auf der einen Seite in Champagner-Luxus und ernährt sich gleichzeitig von Mindest-Brutto-Gehältern bei Sängerinnen und Sängern von gerade mal 3.000 Euro. Auf der einen Seite existieren Mega-Gagen und Super-Privilegien, auf der anderen geht es in einzelnen Produktionen um mögliche Einsparungen in Hundert-Euro-Kategorien. Dabei lässt sich beides erklären: Der millionenschwere Weltstar-Dirigent, der eine Stadt zum Hotspot für Touristen aus der ganzen Welt machen kann ebenso wie die Zwänge einer Opernproduktion in der Provinz, in der das gesamte Bühnenbild nicht mehr kosten darf als das Viertel der Abendgage eben dieses Dirigenten. Zwischen all diesen Extremen, die zuweilen sogar am gleichen Haus vorkommen, stehen die Intendantinnen und Intendanten.
Krach in der Stille
Die Recherchen des VAN-Magazins über die Ausgaben der Komischen Oper fallen in eine ungünstige Zeit: Berlins Kulturinstitutionen kämpfen gerade gegen massive Einsparungen, und dafür brauchen sie die Öffentlichkeit. Die neue Kultursenatorin Sarah Wedl-Wilson versucht – inzwischen gemeinsam mit den Kulturschaffenden – seit einiger Zeit, Ruhe in den Diskurs zu bringen und die Wellen nach dem Abgang von Joe Chialo zu glätten. Ihre Strategie: Gemeinsame Problemlösungen im Stillen, jenseits der Öffentlichkeit. Gerade in dieser Situation ist eine Verschwendungs-Debatte im Kultur-Milieu das Letzte, was Berlin braucht. Gleichzeitig ist diese Diskussion aber unglaublich wichtig, denn sie stellt grundlegende Fragen an ein Klassik-System, das – wenn man genau hinschaut – in seinen Extremen nicht nur pervers ist, sondern offensichtlich auch viel zu wenig kontrolliert wird.
Was den VAN-Artikel auf den ersten Blick ermüdend erscheinen lässt, ist das pedantische und kleinkrämerische Auflisten selbst der winzigsten Regelüberschreitungen, die scheinbar gleichberechtigt neben wirklich großen Vorwürfen von Geldverschwendung stehen. So besteht die Gefahr, dass unnötige Neiddebatten geschürt werden. Aber genau das macht die Recherche auch interessant. Wo sind die Grenzen. Was verzeihen wir? Was nicht? Ein großer Teil der Dinge, die besonders dem Intendanten-Co-Intendanten-Gespann Philip Bröking und Susanne Moser vorgeworfen wird, ist Kleinkram, der so oder ähnlich sicherlich an vielen Häusern stattfindet, und den man normalerweise – mit Blick auf den durchaus anstrengenden und aufreibenden Job des Intendanten – anstandslos abnicken würde.
Verständliche Überschreitungen
Taxifahrten innerhalb Berlins sind, wenn man es eilig hat und einigermaßen bequem zum Flughafen will, nachvollziehbar. Ebenso Hotelkosten in London und Paris von knapp 400 Euro pro Nacht statt der per Verwaltungsvorschrift festgelegten maximalen 250 Euro. Versteht jeder, der in schon mal in den Metropolen Urlaub gemacht hat und einen Mindeststandard gewohnt ist. Auch Bahnfahrten erster Klasse sollten – selbst, wenn das offiziell anders geregelt ist – für Intendantinnen und Intendanten drin sein. All das waren offensichtlich auch Dinge, die das Controlling anstandslos durchgewinkt hat. Geschenkt!
Dem gegenüber stehen aber angeblich eben auch Ausgaben, die nur sehr schwer nachvollziehbar sind. Nach VAN-Recherchen soll eine Leuchtschrift ohne Anfrage bei den Denkmalschützern ans altehrwürdige Schillertheater angebracht worden sein, das Magazin spricht von Strafandrohungen in Höhe von 500.000 Euro und der Anordnung des (sicherlich ebenfalls kostspieligen) sofortigen Rückbaus. Auch die Anschaffung eines BVG-Busses für Werbezwecke, der am Ende gar nicht genutzt wurde, ist nur schwer vermittelbar. Debattieren kann man sicherlich auch über die Dienstreisen der Intendanz, die zwischen März und Oktober 2023 offenbar nach Straßburg, Turin, Basel, Valencia, Frankfurt, Amsterdam, Buenos Aires, Zürich, Hamburg, Glyndebourne, London, Bad Kissingen, München, Aix-en-Provence, Bregenz, Salzburg, Paris und Kopenhagen geführt haben sollen. Es muss erlaubt sein, zu fragen, ob all diese Reisen nötig waren und ob beide Intendanten zu den gleichen Destinationen fahren mussten.
Verantwortung der Kulturpolitik
Und hier befinden wir uns auch schon an einem Kern des Problems: Die Komische Oper ist eine öffentliche Institution, die rund 500 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter beschäftigt. Die Intendanz ist ein anspruchsvoller Management-Job, der in der Privatwirtschaft mit allerhand Privilegien belohnt wird. Aber ein Opernhaus ist eben eine öffentliche Institution, und hier wird jede verkaufte Karte zum Teil mit rund 200 Euro bezuschusst. Hier muss es um Transparenz gehen und um die Einhaltung der Regeln. Auch, wenn das korinthenkackerisch klingt! Das ist eine Grundlage, wenn Kultur auch weiterhin öffentlich gefördert werden will.
Man kann sich gut vorstellen, dass all das, was das VAN-Magazin gerade über die Komische Oper in Berlin berichtet, an vielen Häusern in Deutschland ebenso abläuft: Privilegien, die sich Führungspersonen auf Grund ihres Tanzes in der glamourösen Klassik-Welt kurzerhand selber zusprechen. Und es stellt sich die Frage, ob die politischen Rahmen und Regeln für die Jobs noch richtig gesteckt sind. Ob es nicht auch in der Verantwortung der Kulturpolitik liegt, die Schieflage zwischen berechtigtem und unnötigem Luxus und der gleichzeitigen prekären Situation vieler Theaterschaffender wieder ins Lot zu bringen. Ob es nicht auch die Verantwortung strategischer Kulturpolitik wäre, auf die Willkür in den Führungsabteilungen zu reagieren, die irgendwo zwischen verständlicher Freiheit und übermäßiger Verschwendung pendelt.
Fragen beantworten
Noch einmal: Bahnfahrten erster Klasse und Taxifahrten zum Flughafen müssen in diesem Job einfach drin sein, ebenso wie eine realistische Preiskalkulation von Übernachtungen in Großstädten. Aber wann sind Reisen notwendig, um ein Haus voranzubringen, wann sind sie Privatvergnügen? Hier werden die Trennlinien unscharf, und hier gibt es keine behördlichen Regelungen. Hier beginnt die Verantwortung bei den jeweiligen Führungspersonen. Und dann sind da noch handwerkliche Fehler, die eigentlich nicht passieren dürfen: Auflagen der Behörden zu ignorieren oder Kampagnen nicht bis zum Ende denken. Hier müssen sich die Führungspersonen verantworten und vor allen Dingen, eventuelle Fehler auch eingestehen.
Im Fall der Komischen Oper fangen an dieser Stelle auch die Zweifel an: Wenn die Veröffentlichung des VAN-Magazins stimmt, waren die Oper und der Kultursenat eher sparsam mit ihren Antworten auf die Anfragen der Journalisten. Stattdessen bekam das Magazin Post vom Medienanwalt Schertz. Ein Vorgang, der ausgerechnet in der ansonsten so offenen Kultur inzwischen immer öfter zu beobachten ist. Warum tut sich ausgerechnet die Branche, die von der Öffentlichkeit lebt, so schwer mit öffentlicher Kritik, mit Fragen der Presse und der durchaus nachvollziehbaren Bitte um Transparenz? Wäre die Komische Oper nicht besser beraten, öffentlichen Fragen einfach klar Rede und Antwort zu stehen? Offene Fragen von öffentlichem Interesse nicht zu beantworten stellt die allgemeine Akzeptanz der öffentlichen Kulturförderung unter schweren Legitimationsdruck. Derartiges Verhalten schadet nicht nur den einzelnen Personen, sondern dem gesamten Ansehen unserer Kulturinstitutionen.
Parallel zur Veröffentlichung im VAN-Magazin wurde übrigens gerade die Vertragsverlängerung von Philip Bröking und Susanne Moser bekannt gegeben. Die Frage, ob das der richtige Schritt ist, um Berlins Kulturpolitik in der Öffentlichkeit glaubwürdiger zu machen, darf durchaus ebenfalls gestellt werden.