Der Chefregisseur des Deutschen Nationaltheaters Weimar, Valentin Schwarz, über das Neudenken von Stadttheater-Strukturen, die Bedeutung der Bühne im politischen Raum und die Öffnung der Kunst in die Gesellschaft.
English summary: Valentin Schwarz, artistic director of the Deutsches Nationaltheater Weimar, sees theater as a political space that must take a clear stance against the AfD. He advocates for openness, dialogue, and democratic values while rejecting hate and division. Together with his co-leaders, he aims to reform theater structures and foster a reflective, evolving artistic process.
Das Deutsche Nationaltheater Weimar steht vor einer neuen Ära: Regisseur Valentin Schwarz tritt ab September seine Rolle als Teil einer neuen, dreiköpfigen Führungsspitze an. Gemeinsam mit Dorian Dreher und Timon Jansen übernimmt er die Intendanz in einer Stadt, in der sich die Widersprüchlichkeiten deutscher Geschichte und Kultur zwischen Weimarer Klassik und Buchenwald spiegeln.
Kulturpolitik im »Höckeland«
Angesichts der politischen Lage in Thüringen, wo Björn Höckes AfD erfolgreich ist und eine populistische Stimmung schürt, sieht sich das Nationaltheater mit besonderen Herausforderungen konfrontiert. Valentin Schwarz sagt im Podcast von BackstageClassical: »Als Theater sind wir nicht dafür da, eine herrschende Stimmung nur zu reproduzieren, sondern wir müssen eine Position einnehmen. Wir müssen sagen: Wir stehen für eine offene, freiheitlich demokratische Ordnung und Grundverfassung.«
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Schwarz will einen Raum des Austauschs gewährleisten, der allen Menschen offensteht, jedoch keinen Platz für rassistische Hetze oder gesellschaftliche Spaltung bietet. Ziel ist es, Menschen anzusprechen, die zum Dialog bereit sind und offen für verschiedene Meinungen sind.
Das Plakat mit der Aufschrift »Diplomatie! Jetzt! Frieden.«, das Intendant Hasko Weber nach dem erweiterten Angriff Russlands auf die Ukraine an der Fassade des Theaters angebracht hatte, wird die neue Intendanz abnehmen. »Wir wollen in den Dialog gehen«, sagt Schwarz, statt schon vor den ersten Aufführungen durch Parolen den Diskurs zu definieren.
Hinsichtlich der Finanzen, insbesondere dort, wo die AfD Kürzungen der staatlichen Kulturförderung fordert, befindet sich das Nationaltheater Weimar nach Ansicht von Schwarz in einer komfortablen Lage. Eine Finanzierungsvereinbarung sichere die Mittel bis 2030, zudem seien 167 Millionen Euro von Bund und Land für die Generalsanierung des Nationaltheaters gesichert. Valentin Schwarz betont, dass dies eine glückliche Voraussetzung sei, aber auch eine Verpflichtung zu sorgsamem Umgang mit Steuergeldern und zur Kooperation mit anderen Theatern im Thüringer Raum darstelle.
Neue Formen und Strukturen
Das Führungstrio setzt auf ein neuartiges Team-Intendanz-Modell. Valentin Schwarz erklärt: »Wir haben uns hier mit Dorian Dreher und Timon Jansen zu dritt beworben und bewusst gesagt, dass wir keine Generalintendanz wollen«. Er glaubt, dass die gemeinsame Entscheidungsfindung viel Aushandlung, Dialog und Widerspruch fordern wird, dass der»streitbare Geist« aber bereits im Vorfeld viele Prozesse entschärfen könnte. Das Konzept soll eine offene Feedback- und Fehlerkultur fördern und ist ein Versuch, das Stadttheater neu zu denken und die Anfälligkeiten des alten patriarchalischen Stadttheatersystems in Bezug auf Führung und künstlerische Entwicklung zu überwinden.

Das neue Intendanz-Team strebt eine »Change-Mentalität« an, die Prozess- und Produktqualität im Theater in Balance hält und die Strukturen hinter der Bühne überprüft und verbessert. Inhaltlich sollen der offene Raum,das »Kontrastspiel« und das Festival »Äquinoktium« mit jungen europäischen Produktionen den Spielplan erweitern.
Lehren aus dem »Ring«
Valentin Schwarz erklärt, dass er aus der Kritik auf seine Bayreuther »Ring«-Inszenierung gelernt habe, dass es wichtig sei, eine Reflexionsprozess aktiv anzustoßen und zu nutzen. In Bayreuth gebe es die Möglichkeit, eine Produktion über mehrere Jahre hinweg zu überarbeiten und anzupassen, was ihm eine »sehr große Lust« bedeute. Schwarz sagt, dass es zur Herausforderung des Theaters gehören müsse, die Premiere nicht als Endstadium oder Ergebnis einer Produktion zu verstehen, stattdessen sei »jede Vorstellung anders« und biete eine Chance zur Weiterentwicklung. Schwarz’ »Ring«-Zyklus steht diesen Sommer zum letzten Mal auf dem Programm der Bayreuther Festspiele.

