Leipzigs Opern-Intendant Tobias Wolff über neue Trends an der Theaterkasse, über die Bedeutung des Ensembles und eine neue Freude an Harmonie.
Tobias Wolff, Intendant der Oper Leipzig, stellt sein Haus auch in der kommenden Saison wieder breit auf: Neben Barock-Ausgrabungen, dirigiert vom Thomas-Kantor, steht auch eine Lady Macbeth von Mzensk auf dem Programm (dirigiert von Andris Nelsons), außerdem plant Wolff die große Renaissance von Albert Lortzing.
Im Podcast Guten Morgen, Tobias Wolff spricht er über den Wandel des Publikumsgeschmackes und darüber, wie wichtig die Identifikation mit einem Ensemble für die Stadt ist. Wolff stellt die 14-Jahres-Regelung in Frage, nach der Ensemblemitglieder nach 14 Jahren unkündbar übernommen werden müssen.
Außerdem entdeckt der Intendant eine neue Sehnsucht nach Harmonie und Schönheit, gerade bei einer jungen, verunsicherten Generation. Der Wunsch nach Dekonstruktion wandle sich zu einer Sehnsucht nach Klarheit. Hier der Podcast für alle Player, unten für Spotify:
Die wichtigsten Aussagen des Podcasts:
Über neue Trends an der Opernkasse
»Nach Corona hat die Kurzfristigkeit im Karten-Verkauf zugenommen: die Leute planen nicht mehr im Voraus. Viele Rituale sind ebenfalls weggebrochen, unter anderen die klassische Donnerstag-Abend Lucia di Lammermoor-Repertoire-Vorstellung. Auch eine Carmen ist am Samstag Abend kein Selbstläufer mehr. Viele der Wahrheiten von früher gelten heute nicht mehr. Wir sind auf der Suche nach Neuem und freuen uns, dass andere Programme angenommen werden.«
Über die 14-Jahres-Klausel
»Das Ensemble ist die große Basis für ein Opernhaus. Wir haben aber auch ein Tarif-System, in dem es diese magische Grenze von 14 Jahren gibt (nach denen ein Ensemblemitglied mehr oder weniger unkündbar wird). Diese Regel nützt eher weniger. Sie führt oft dazu, dass man nach 14 Jahren sagt: ‚Jetzt ist Schluss‘. Dabei könnte man gut noch fünf oder sechs Jahre weitermachen. In Österreich ist das anders geregelt – und vielleicht sollten wir darüber auch in Deutschland Mal diskutieren. Grundsätzlich ist es wichtig, Künstlerinnen und Künstler zu halten. Wir haben in Leipzig viele unkündbare Kollegen, die ihre eigenen Fanclubs haben – das darf man nicht vergessen. Diese Treue hat eine eigene Qualität.«
Über das neue Biedermeier
»Es gibt eine junge Generation, die durch die vielen Ereignisse in der Welt verunsichert ist. Ich hatte das kürzlich beim Graf von Montecristo in der Musikalische Komödie beobachtet: Lauter Biedermeier-Kostüme, und es war ein durchgehend junges Publikum, das hier im Wunsch und in der Sehnsucht nach Schönheit bedient wurde. Früher hatten junge Leute durchaus große Lust an der Dekonstruktion, allmählich weicht diese Lust einer Sehnsucht nach Harmonie und Schönheit. Und dann hat plötzlich eine Produktion, die man selber vielleicht als etwas betulich wahrnimmt, ein junges, begeistertes Publikum. Da staunt man und weiß gleichzeitig, dass das seine Berechtigung haben muss. Wie heißt es so schön: Schmeiß es nicht weg! Das wird irgendwann Mal wider modern!«