Die homophobe Wartburggesellschaft

April 30, 2024
1 min read
Venus und Tannhäuser im Schlafzimmer
Tannhäuser verzweifelt an seiner homoerotischen Lust (Foto: Frankfurter Oper, Aumueller)

Matthew Wilds Tannhäuser an der Frankfurter Oper ist schwul – und das finden viele Kritiker auch gut so! Einhelliges Lob für GMD Thomas Guggeis. Eine kleine Presseschau.

Schon Tobias Kratzer hatte in seinem Bayreuth-Tannhäuser gezeigt, dass der Schriftsteller in Wahrheit ein Revoluzzer ist, einer, der queeren Freunden einen Burgerking ausraubt – der anders ist. An der Oper in Frankfurt dekliniert Matthew Wild diese Idee nun weiter. Der südafrikanische Regisseur, der bis 2021 künstlerischer Leiter der Oper in Kapstadt war, macht Tannhäuser zu einem schwulen Künstler, dessen Homosexualität von der Wartburg-Gesellschaft nicht akzeptiert wird.

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Peter Jungblut schreibt im BR: »Der Sängerkrieg auf der Wartburg als Außenseiter-Drama im Amerika zu Beginn der 60er-Jahre: Regisseur Matthew Wild zeigt einen schwulen Künstler, der an seiner Neigung zugrunde geht, was keineswegs ausschließlich die Schuld der Gesellschaft ist. Das ist spannend, zeitgemäß und musikalisch elektrisierend.«. Judith von Sternburg in der Frankfurter Rundschau:  »Im Zentrum steht eine liebevoll umgesetzte und ihrerseits problemlos verlaufende Verlegung des Szenarios vom mittelalterlichen Thüringen an eine katholisch orientierte US-Universität Anfang der 1960er Jahre.« Sie kritisiert: »Ausgerechnet bei einem Komponisten, der die Regie bereits mit ausreichend Problemen und Peinlichkeiten konfrontiert (Nationalismus, Rassismus), ein weiteres Problem und eine weitere Peinlichkeit einzubauen, die vorher noch nicht da war. Nun hört man sich Stunde um Stunde an, dass Homosexualität Sünde ist, auch wenn es keiner so meint, jedenfalls die Regie nicht.«

Letztlich nimmt Tannhäuser Schlaftabletten, und seine verschmähte Elisabeth schreibt über ihre Erfahrungen ein Buch und wird dafür Jahre später gefeiert. »Das ist spannend anzusehen, opulent ausgestattet, sehr gekonnt ausgeleuchtet.«, findet Jungblut.

Wolf-Dieter Peter in der NMZ: »Über der Fülle neuer Aspekte konnte die nie dampfende, schlank akkurate musikdramatische Interpretation vom 31-jährigen GMD Thomas Guggeis fast zu kurz kommen: Feinzeichnung menschlichen Elends, zupackende Dramatik von Massenphänomenen mitsamt dem dank der Hörsaal-Aufstellung geradezu ‚moralisch donnernden‘ Chor (Tilman Michael)« Da stimmt auch Jungblut zu: »Der aus Dachau gebürtige, erst 31 Jahre junge Dirigent Thomas Guggeis wuppt die Partitur mit wahrhaft elektrisierender Energie.«

Sternburg schreibt über die Venus: »Dshamilja Kaisers großer Mezzo wahrt einen Rest von Distanz, passend zu Guggeis’ fabelhaft herausgestellter Tristan-Klangfarbe, die ohnehin passt. Der Tod ist stärker als die Liebe.« Jungblut schreibt über Tannhäuser: »Marco Jentzsch in der Titelrolle beweist die nötige Kondition, ist szenisch absolut glaubwürdig, stimmlich allerdings streckenweise zu wenig emotional. Das gilt auch für den slowenischen Bariton Domen Križaj als Wolfram von Eschenbach.«

Intendant Bernd Loebe zeigte sich bei der Premierenfeier mit altem Selbstbewusstsein und feiert einen weiteren Erfolg an seinem Haus.

★★★★☆

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