Showdown zwischen Baden-Baden und Salzburg: Die Berliner Philharmoniker trumpfen mit Puccinis Madame Butterfly auf, Esa-Pekka Salonen und das Finnische Radioorchester setzen auf Chowanschtschina. Eine Feuilletonrundschau.
Die Berliner Philharmoniker sind zu Ostern zum letzten Mal in Baden-Baden, wo sie Puccinis Madame Butterfly aufführen. Nächstes Jahr ziehen sie weiter nach Salzburg, wo sie bei Nikolaus Bachler Wagners Ring beginnen werden – dieses Jahr setzten hier noch Esa-Pekka Salonen und das Finnische Radioorchester die Oper Chowanschtschina in Szene. Eine Feuilletonrundschau.
Salzburg darf sich auf die Berliner Philharmoniker freuen, die auch eine szenisch schlüssige Butterfly in Baden-Baden ablieferten, findet Judith von Sternburg in der FR:: »Regisseur David Livermore baut eine zusätzliche Ebene ein, nicht neu, aber plausibel. Das Kind von Cio-Cio-San und Pinkerton, das nach dem Suizid der Mutter in den USA aufwachsen wird, kehrt hier ins moderne Japan zurück, auf der Suche nach seinen Wurzeln. Pinkertons zweite Frau nennt er jetzt Kate, ein schroffer Beginn, bevor die ebenfalls schroffe Musik einsetzt. Er findet Suzuki wieder. Die Oper ist ihre Erzählung.«
Lotte Thaler feiert in der FAZ vor allen Dingen das Sängerensemble: »Eleonora Buratto singt überragend schön, vom ersten bis zum letzten Ton, erstrahlt in lyrischer Vollkommenheit, gepaart mit souveräner Bühnenpräsenz, verliert weder Würde noch Façon.« Und Judith von Sternburg schreibt in der FR: »Der chilenisch-amerikanische Tenor Jonathan Tetelman, Jahrgang 1988, ist schon jetzt und erst recht, wenn er auf diesem Niveau durchhält, ein klassischer, wenn nicht der klassische Startenor dieser Jahre fürs italienische Fach, die Stimme zärtlich strahlend, stabil und doch beweglich genug.«
Beide setzt Kirill Petrenko am Pult eindrücklich in Szene. Die FAZ jubelt: »Die Berliner Philharmoniker sind im nobelsten Gewirk neben allem aufblühenden exotischen Kolorit, den pentatonischen Wendungen und den instrumentalen Lichtern der vielen Soli vor allem für Puccinis Eruptionen zuständig, für die untergründige Gewalt in seiner Partitur.« Dem schließt sich Georg Rudiger in der Deutschen Bühne an: »Sonst herrscht ein perfekt gemischter Wohlklang im Orchestergraben, der gerade bei den Streichern immer einen Einschwingvorgang hat und auch im Verklingen rund bleibt. Alles fließt. Selbst heikle Bläsereinsätze kommen wie aus einem Guss. Da klappert nichts, da franst nichts aus. Auch die Streicher tragen das exquisite Solistenensemble auf Händen, übernehmen jedes Rubato in ihre Unisono-Linie – perfekt zusammengeführt von Chefdirigent Petrenko, der mit großem Körpereinsatz und tänzerischen Bewegungen alles nicht zur zusammenhält, sondern immer wieder Freiheit ermöglicht und den Augenblick gestalten lässt. Ein Ereignis!«

Etwas verhaltener fällt die Kritik zu Chowanschtschina in Salzburg aus. Im Standard schreibt Christoph Irrgeher: »Regisseur Simon McBurney stattet das Schauspiel mit viel Körperdynamik aus, etwa wenn sich Vater und Sohn Chowanski ungut gierig um die hübsche Emma zanken. Er ist der Handlung ein sachdienlicher Begleiter, er führt sie allerdings nicht in überraschende Gefilde oder beschenkt sie mit charismatischen Bildern.« Larissa Schütz schreibt in der APA: »Der Stoff von Chowanschtschina – Aufstand und Krieg in Russland – drängte sich mit seiner zeitlosen Thematik geradezu auf, aktuell übersetzt zu werden. Doch McBurney begegnete dem politischen Stoff mit einer bemerkenswerten Zurückhaltung, die ganz ohne Putin-Bilder und Kosakenmützen auskam. Er bog den Inhalt nicht zur aktuellen Russland-Reflexion, sondern zum zeitlosen Macht- und Glaubensdrama – und machte ihn gerade dadurch so eindrücklich, weil er um die Wirkungsmacht der Andeutung wusste.«
Eine Sängerin sticht aus dem Ensemble heraus. Die APA feiert »Nadezhda Karyazina als Marfa, die ihre gelegentlichen Kamerablicke präzise und sparsam für zusätzliche Tiefe nutzte. Karyazina war auch musikalisch das stärkste Gesamtpaket des Abends. Ihr tiefdunkler, warmtönender Mezzo balancierte sicher zwischen Zorn, Überheblichkeit und einer fast zarten Verletzlichkeit.« Kritischer mit dem Ensemble ist Walter Weidringer für BR Klassik: Denn Daniel Okulitch mag ein gewiss vielversprechender junger Sänger sein – aber an Ausdruckskraft und Persönlichkeit kann er es mit großen Rollenvorgängern (noch) nicht im Entferntesten aufnehmen. Ernüchternd, das McBurney auch diesem Charakter misstraut: Das ist kein ehrlicher Anwalt des Volkes, sondern ein Karrierepolitiker von cleverer Glätte – und ähnelt auch äußerlich ein bisschen Karl-Theodor zu Guttenberg.
Der Standard subsummiert: »Vitali Kowaljow lässt als Protagonist einen wohlgenährten Bass hören, ebenso Daniel Okulitch (Schaklowiti), während Ain Anger als Dosifei demagogische Schallkräfte freisetzt. Thomas Atkins steigert sich mit der Zeit zu einem inbrünstigen Andrei Chowanski; dem Tenor von Matthew White (Fürst Golizyn) würde man dagegen einen kleineren Saal wünschen.«
Walter Weidringer ist zudem unzufrieden mit Orchester und Dirigent: »Das Ganze fremdelt aber auch musikalisch. Denn das nüchtern-kalte Ambiente der Bühne findet im Orchestralen sein Pendant. Das Finnische Radio-Symphonieorchester versteht sich auf große Wendigkeit, auch das schwere Blech spricht sofort an, alles tönt professionell glatt. Aber es ist kein Klangkörper, der von Rang und Geschichte her dem Gewandhausorchester (2023) oder dem Orchestra dell’Accademia di Santa Cecilia (2024) vergleichbar wäre.« In der APA heißt es indes: »Dirigent Esa-Pekka Salonen trat musikalisch nicht in Konkurrenz zu den ausdrucksstarken Darstellungen und der Inszenierung. Er fügte sich klug und bewusst ein, dirigierte mit sinfonischer Weite, kostete die Melodien voll und ganz aus, ohne ins Sentimentale abzugleiten.«