Klassik zwischen Sparen und Klotzen

November 17, 2025
4 mins read
Sarah Wedl Wilson (Foto: EKBO, Kindler)

Willkommen in der neuen Klassik-Woche,

heute mit dem Trick, leise zu sparen, Sting an der MET, zwei neuen Opernhäusern und allerhand positiven Nachrichten aus der Welt der Klassik.  

Sparen im Piano

Sarah Wedl Wilson in der Waldbühne in Berlin (Foto: Facebook)

Die Kürzungen im Kulturhaushalt von Berlin fallen die kommenden Jahre nicht kleiner aus als jene, die Joe Chialo beschlossenen hat: 130 Millionen im nächsten Doppelhaushalt. Aber Chialos Nachfolgerin, Sarah Wedl-Wilson, wickelt die Dinge leiser ab – Protest bleibt weitgehend aus. Dabei spart auch sie eher mit der Gießkanne als mit Strategie. Es geht um schnelle Einsparungen, statt um langfristige Umstrukturierungen, die einen sich wandelnden Kulturbetrieb vorwegnehmen. Festgehalten wird an teuren Personal-Strukturen, und so werden die Häuser ihre Sparvorgaben in erster Linie bei freien Dienstleistern erfüllen. Warum nicht Nägel mit Köpfen machen? Würde wirklich etwas fehlen, wenn Staatsoper und Deutsche Oper unter einer Intendanz, unter einem GMD und vielleicht sogar mit einem Orchester auskommen müssten? Wenn bestimmte Opern im Stagione-Prinzip, andere im Repertoire gespielt würden? Ich habe darüber nachgedacht, ob Sarah Wedl-Wilson vielleicht eine gute Krisenmanagerin im Piano ist – ihr aber der Mut zu einer Vision fehlt, so wie es sie damals für die Opernstiftung gab?

Peinlicher Preis

Warum gibt es eigentlich keinen seriösen Opernpreis? die International Opera Awards karren regelmäßig irgendwelche Opernleute und Opernjournalisten an irgendwelche absurden Orte (hier nach Athen, das durch brutale PR-Investments versucht, ins europäische Rampenlicht zu rücken), um vollkommen willkürlich Preise zu verleihen: Madrid bekam den Preis für Nachhaltigkeit für ein Solarpaneel auf dem Dach, den Preis für Dirigentinnen (!)-Förderung nahmen zwei Männer entgegen. Dass Asmik Grigorian gut singen kann, wissen wir seit Jahren, warum aber das MusikTheater an der Wien mit seinen weitgehend gefälligen Abenden besser sein soll als Frankfurt, Dortmund, London und alle anderen Opernhäuser der Welt, das ist wirklich schwer nachzuvollziehen. Sei’s drum: Alle Preisträger dieses bedeutungslosen Preises hier.  

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Zwei neue Häuser

Während Berlin spart, wird anderenorts geklotzt: Sowohl in Hamburg als auch in Düsseldorf wurden in dieser Woche die Entwürfe für die geplanten neuen Opernhäuser vorgestellt. Der Architekt Stephan Braunfels merkte über den Hamburger Entwurf an: »Der vor drei Tagen prämierte Entwurf des dänischen Wunderwuzzis Bjarke Ingels, BIG, ist eine hübsche Zweitauflage der letztes Jahr prämierten Vltava Philharmonic Hall von BIG in Prag.« Und tatsächlich ist die Ähnlichkeit verblüffend (siehe Foto). In Düsseldorf soll der Entwurf des norwegischen Büros Snøhetta gebaut werden – ein Ein-Milliarden-Objekt, das in der Bevölkerung schon jetzt als »hässlicher Klotz« kritisiert wird. 

Die Entwürfe von Bjarke Ingels für Prag und Hamburg (Fotos: BIG)

Podcast: BackstageClassical zu Gast beim tuned Ideenfestival

Klassik in Zeiten des Postkulturalismus, Diversität in der Musik und die strukturelle Aufstellung der Kulturpolitik sind die großen Themen in der aktuellen Folge von Takt & Taktlos – dieses Mal live vom tuned Ideenfestival im Anneliese Brost Musikforum in Bochum. Gemeinsam mit Hannah Schmidt debattiere ich mit der freien Kuratorin Elisa Erkelenz und dem künstlerischen Co-Leiter des Liedstadt Festivals, Kian Jazdi, die Notwendigkeit, postmigrantische Klassik und transtraditionelle Musik neu zu gestalten. Im zweiten Themenblock spricht die Geschäftsführerin des Verbandes Freo und Politikerin Lena Krause über die aktuelle Kulturpolitik. Krause beobachtet, dass Kultur in vielen demokratischen Parteien ein Schattendasein führe und als Nischenthema abgetan werde.

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Briefe von Brüggi…

Jeden Morgen um sechs Uhr schreibe ich Briefe bei BackstageClassical – an Leute, die gerade in den Schlagzeilen des Klassik-Betriebs stehen. Diese Woche gingen sie an: 

Weimar debattiert weiter

Regisseur Valentin Schwarz hatte als Teil der Intendanz des Deutschen Nationaltheaters Weimar im BackstageClassical-Gespräch erklärt, dass sein Haus sich gegenüber der AfD positioniere. Er sagte: »Als Theater sind wir nicht dafür da, eine herrschende Stimmung nur zu reproduzieren, sondern wir müssen eine Position einnehmen. Wir müssen sagen: Wir stehen für eine offene, freiheitlich demokratische Ordnung und Grundverfassung.« Danach stellte die AfD in einer Anfrage die Gelder für das Haus in Frage. Wir hatten letzte Woche darüber berichtet. Nun hat auch der MDR das Thema noch einmal aufgenommen, Oberbürgermeister Peter Kleine bleibt bei seiner Positionierung für das Theater und seine Leitung. Die Anfrage der AfD soll am 10. Dezember 2025 im Stadtrat behandelt und offiziell beantwortet werden. BackstageClassical liegt die Begründung des Oberbürgermeisters bereits exklusiv vor.

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Personalien der Woche

Die Dirigentin Paniz Faryousefi wird als erste Frau das Teheraner Symphonieorchester dirigieren. Auf dem Programm: Werke iranischer Komponistinnen wie Aftab Darvishi und Golfam Khayam sowie Stücke von Robert Schumann, Jean Sibelius und Aram Khachaturian. Ich habe Ihr dazu einen Brief geschrieben. +++ Und auch Sting hat einen Brief von mir bekommen, da MET-Intendant Peter Gelb glaubt, mit ihm, seine Oper retten zu können. Ich halte das für einen großen Irrtum. +++ Im Dresdner Kulturpalast fand eine beeindruckende Uraufführung von Der Reisende statt – ein Stück von Jan Müller-Wieland, das Shoko Kuroe für BackstageClassical besprochen hat. +++ Der Streamingdienst für klassische Musik IDAGIO hat sein Insolvenzverfahren in Eigenverwaltung erfolgreich abgeschlossen. Nach rund vier Monaten stimmten die Gläubiger dem Insolvenzplan zu. Damit bleiben sowohl das Musikangebot der Plattform als auch alle Arbeitsplätze erhalten. +++ Unser Kolumnist Thomas-Schmidt-Ott berichtet für BackstageClassical vom Hauptstadtkulturgespräch der Berliner Kaufleute – Berlin bleibt arm, sollte aber wenigstens wieder sexy werden, findet er.  +++  Der neuseeländische Bassbariton Sir Donald McIntyre ist tot. Er starb im Alter von 91 Jahren. Weltweit bekannt wurde McIntyre insbesondere als Wotan in Richard Wagners Ring des Nibelungen. Beim legendären Bayreuther Festspiel-Jubiläum 1976 war er als Wotan im Jahrhundert-Ring unter der Regie von Patrice Chéreau. Die Festspiele kondolierten mit dem Satz: »Sein Wotan bleibt für immer unvergessen.«

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Wo bleibt das Positive, Herr Brüggemann?

Ja, wo zum Teufel bleibt es denn? Vielleicht ja hier! Zwei gute Nachrichten aus dem Klassik-Markt: Oben haben wir bereits gemeldet, dass IDAGIO vor der Insolvenz gerettet ist, vor einigen Monaten haben wir an dieser Stelle geschockt über den viel zu frühen Tod des Tonmeisters Georg Burdicek berichtet – nun ist klar: Seine Firma Tonzauber wird von seinen Mitarbeitern fortgeführt: »Wir wussten, dass Georg sich nichts sehnlicher gewünscht hätte, als dass Tonzauber weiterlebt – mit dem gleichen Fokus, der gleichen Ruhe und Freude am perfekten Klang«, teilte das Team mit. Das ist sehr, sehr schön! Und noch etwas Positives: Ich habe diesen Newsletter und BackstageClassical in den letzten drei Wochen aus Neustrelitz bei Berlin betreut, quasi auf »Montage«, denn am Samstag ist es endlich so weit: Meine erste Opernregie Die Entführung aus dem Serail hat Premiere, hier gibt es schon erste Einblicke, aber kommen Sie auch gern selber vorbei!

In diesem Sinne: Halten Sie die Ohren steif.

Ihr 

Axel Brüggemann

Axel Brüggemann

Axel Brüggemann arbeitet als Autor, Regisseur und Moderator. Er war als Kulturredakteur und Textchef bei der Welt am Sonntag tätig und schrieb danach für die Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung. Heute veröffentlicht er u.a. im Tagesspiegel, im Freitag, der Jüdischen Allgemeinen oder in der Luzerner Zeitung. Er arbeitet für Radiosender wie den Deutschlandfunk, den WDR oder den HR. Seine Fernsehsendungen und Dokumentationen (für ARD, ZDF, arte oder SKY) wurden für den Grimmepreis nominiert und mit dem Bayerischen Fernsehpreis ausgezeichnet. Brüggemann schrieb zahlreiche Bücher u.a. für Bärenreiter, Rowohlt, Beltz & Gelberg oder FAZ Buch.

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Liebe Paniz Faryousefi,

Sie sind Musikerin. Geigerin. Dirigentin. Und Frau. Sie sind die erste Frau sein, die das Teheraner Symphonieorchester dirigiert. Auf dem Programm: Werke iranischer Komponistinnen wie Aftab Darvishi und Golfam Khayam sowie Stücke

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