
Willkommen in der neuen Klassik-Woche
heute mit ein bisschen Kultur-»Wuff-Wuff« aus dem Kanzleramt, mit einer neuen Ausrichtung des Musikrats, einer weiteren Episode der endlosen Salzburger Geschichten und einer Hymne an die so genannte »Provinz«!
Wolfram Weimers »Wuffis«
Richtet Kulturstaatssekretär Wolfram Weimer lediglich die kulturelle Wohlfühl-Ecke für all jene ein, denen Friedrich Merz‘ Kompromiss-Politik nicht radikal genug ist? Nach seinem Amtsantritt hoffte ich, Weimer würde die Politisierung der Kulturpolitik von Claudia Roth rückgängig machen – nun scheint er Revanchismus zu betreiben. Ich habe in einem ausführlichen Essay eine erste Bilanz seiner Amtszeit gezogen. Nachdem der Text an vielen Stellen zitiert wurde, schrieb mir ein Pressesprecher von Weimer: Ob ich nicht ein Interview führen wolle. Absurd daran: Im Vorfeld meines Textes hatte ich natürlich ein Interview angefragt, um Weimer zu Wort kommen zu lassen. Er hatte es abgelehnt. Nun stellte Weimers Sprecher sich das »Interview« so vor: Ich schicke ihm meine Fragen und der Minister (oder seine Wuffis) beantworten sie schriftlich. Als ich erklärte, dass diese Art nicht unseren journalistischen Standards entspreche, hieß es nur: »Dann kommen wir leider nicht zusammen.« Nein, lieber Wolfram Weimer – dann wohl eben nicht! Aber der Journalist Wolfram Weimer muss sich fragen lassen, wie er als Politiker mit Journalisten umgeht (ich habe all das noch mal in einem Brief an ihn aufgeschrieben).
Quo vadis Musikrat?
Der Deutsche Musikrat hat eine neue Präsidentin: Lydia Grün von der Musikhochschule München hat die Geschäfte von Martin Maria Krüger übernommen. Grundsätzlich eine gute Wahl, denn der Verband braucht dringend Erneuerung! Frischen Wind und modernes Management wollte Grün auch ihrer Hochschule verordnen – doch dort kommt all das nur langsam an. Es ist zu wünschen, dass die neue Präsidentin gemeinsam mit Generalsekretärin Antje Valentin nun wirklich neuen Wind in den Musikrat bringt, denn selten war eine moderne und starke Positionierung des Verbandes so wichtig wie in diesen Zeiten des Kulturkahlschlags. Die Musik in Deutschland steht einer multiplen Krise gegenüber: Arbeitsbedingungen, Lehrermangel, schlechte Bezahlung und der Verlust öffentlicher Bedeutung. Ein Bürokraten-Verein wäre in dieser Situation nur wenig förderlich! Mein Kommentar zur Personalie: hier.

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Salzburger Zwischenspiele
Keine Ruhe in Salzburg: Die ehemalige Schauspielchefin der Salzburger Festspiele, Marina Davydova, hat den Intendanten Markus Hinterhäuser in einem Interview mit dem russischen Exilmedium Meduza heftig kritisiert. Sie spricht von »psychischen Problemen« und verglich seinen Führungsstil mit dem Narzissmus von Donald Trump. Salzburgs Landeshauptfrau Karoline Edtstadler und Salzburgs Bürgermeister Bernhard Auinger betonen, dass sie die Vorwürfe ernst nehmen. In der nächsten Sitzung des Kuratoriums soll über die Lage gesprochen werden. Markus Hinterhäuser wurde aufgefordert, schriftlich Stellung zu beziehen. Theresia Niedermüller, die aktuelle Vorsitzende des Kuratoriums, betont, ihr sei es wichtig, dass bei den Festspielen »wertschätzender Umgang mit Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern« herrsche. Immer wieder wurde Kritik an Hinterhäusers Führungsstil laut, unter anderem von Regisseur Michael Sturminger, der befürchtete, der Intendant könne sich als »uneingeschränkter Herrscher« generieren. Damals glaubte Sturminger, das scheine »weder im Direktorium noch im Kuratorium irgendjemanden zu stören.« Doch daran hat sich nun offensichtlich etwas geändert.
Briefe von Brüggi…
Jeden Mogen um 6:00 erscheint ein neuer Brief von Brüggi bei BackstageClassical (Di-Fr). Diese Woche habe ich folgenden Menschen geschrieben:
- J. M. Coetzee zu seiner geplanten Oper in Brüssel
- Kirill Petrenko, der mich beim Joggen begleitet
- Klaus-Michael Kühne wegen seiner Hamburger Oper
- Wolfram Weimer, nachdem seine Wuffis mir schrieben

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Bogen überspannt?
Es knirscht zwischen Naturschützern und Geigenbauern. Auf der Cites-Konferenz im November will Brasilien seinen Nationalbaum, den Paubrasilia echinata, in den Kanon des Washingtoner Artenschutzabkommens aufnehmen. Das würde bedeuten: Kein Handel mehr mit jenem Holz, das durch seine Dichte und Elastizität die Meisterbögen erst so einzigartig macht. Die Geigenbauer protestieren bereits mit Petitionen. Beim letzten Versuch der Naturschützer, den Baum zu retten, sind sie den Musikern entgegengekommen – wie der Showdown dieses Mal ausgeht, ist offen.
Das Trauma-Schiff

Florian Lutz‘ Aida in Kassel (Foto: Theater Kassel, Sebastian Hannak)
Aktuelle Kritik bei BackstageClassical: Johannes Mundry über Florian Lutz‘ Aida in Kassel, die auf dem Schiff AIDA angesiedelt ist. »An Bord der AIDA erkennen wir Wolodymyr Selenskij als Radamès, Bundespräsident Steinmeier als den König Ägyptens (Ian Sidden), die Priesterin (Daniela Vega) als Ursula von der Leyen, die einem Nebenjob als Animateurin nachgeht. Damit nicht genug: Oberpriester Ramfis (Sebastian Pilgrim) mutiert am Ende zu Donald Trump, der wiederum in einer Imitation der legendären Szene im Oval Office Radamès/Selenskij zum Tode verurteilt, weil er keinen Anzug trägt.« Die ganze Kritik: hier.
Weiteres Wirrwarr in Essen
Dass auch die Musikerinnen und Musiker der Essener Philharmoniker nun noch ein Statement zur Absage der Uraufführung eines Werkes der Komponistin Clara Iannotta versendet haben, macht die ganze Affäre nur noch absurder. Die Entscheidung, das Werk nicht zu spielen, sei von der künstlerischen Leitung getroffen worden, heißt es in einem Schreiben, eine große Mehrheit der Musikerinnen und Musiker sei bereit gewesen, die Premiere wie geplant zu realisieren, doch hätten »berechtigte Bedenken in der Kürze der zur Verfügung stehenden Zeit nicht ausgeräumt werden können«. Ein weiteres, klares »Jein« in der Schuldzurückweisung. Hey, Essen: Du hast es einfach verbockt – vor allen Dingen in Sachen Kommunikation!

Personalien der Woche
Während die Salzburger Festspiele gerade besonders durch den Führungsstil des Intendanten auf sich aufmerksam machen, melden die Festspiele in Aix en Provence, dass sie einen Nachfolger für den überraschend verstorbenen Pierre Audi gefunden haben: Ted Huffman wird die Intendanz übernehmen. Huffman ist seit 2012 fest mit dem Festival verbunden und hat dort mehrfach mit hochgelobten Inszenierungen zur künstlerischen Profilierung beigetragen. +++ Seit Donald Trump das Kennedy Center in Washington übernommen hat, geht dort der Kartenverkauf nur schleppend. Eine Analyse der Washington Post ergab, dass zwischen Anfang September und Mitte Oktober etwa 43 Prozent der Tickets unverkauft blieben – ein drastischer Anstieg im Vergleich zum Vorjahr, als lediglich sieben Prozent der Plätze frei blieben. Mehr dazu: hier.
Und wo bleibt das Positive, Herr Brüggemann?

Würde Mozarts »Entführung« heute im Döner-Grill von Neubrandenburg spielen?
Ja, wo zum Teufel bleibt es denn? Vielleicht ja hier! Seit einer Woche stecke ich in einem großen Abenteuer. Die Proben für meine erste Arbeit als Opern-Regisseur haben begonnen. Und nach einer Woche kann ich schon einmal sagen, dass mir die Bedeutung gerade von kleineren Theatern in einer Region noch einmal ganz besonders aufgefallen ist. An einem probefreien Abend habe ich eine Repertoire-Aufführung von My Fair Lady besucht: Ein beseeltes Publikum verließ nach drei Stunden das Haus. Die musikalische Qualität – auch an kleinen Häusern – ist beachtlich. Für mich ist die Geschichte der Neubrandenburger Philharmonie dabei bezeichnend: Das Orchester spielt in der Oper in Neustrelitz und in einer entweihten Kirche, der »Konzertkirche« in Neubrandenburg. Ein Bild, das so vieles sagt: Theater und Orchester sind in vielen Regionen die letzten Bastionen für kollektive Besinnung. Neben den Sportvereinen sind sie die letzen Orte einer kultivierten Debatte, der Gemeinschaft und, ja, auch dem Aushandeln von Moral. Klar, die großen Opernhäuser der großen Städte sind unsere Leuchttürme, aber sie wären sinnlos, ohne die vielen Boote, die oft im Sturm der klammen Kassen mit kleinen Mannschaften über die Weltmeere der Musik navigieren. Also ich würde mich freuen, wenn Sie mich und das Ensemble bei der Entführung aus dem Serail in Neustrelitz bei Berlin besuchen.
In diesem Sinne: Halten Sie die Ohren steif!
Ihr
Axel Brüggemann

