Wie geht es weiter im Spar-Fahrplan von Berlin? 

März 2, 2025
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Berlins Kultursenator Joe Chialo (Foto: CDU)

320 Millionen Euro müssen die kommenden zwei Jahre in der Hauptstadt-Kultur gespart werden. Die Staatssekretärin versucht, den Dialog mit den Kulturschaffenden aufzunehmen.  

English summary: Berlin’s cultural sector faces €320 million in cuts over the next two years. Cultural Secretary Sarah Wedl-Wilson is engaging in discussions with artists, who report confusion and frustration. The 2026–2027 budgets face further €160 million annual cuts. Reserves offer little relief. Structural reforms, such as merging administrations, are explored but won’t yield immediate savings. Culture Senator Joe Chialo remains sidelined, while Wedl-Wilson leads crisis talks. Some hope she can negotiate more time or budget reallocations, but drastic measures, including potential closures or mergers of major institutions, remain on the table.

Die Situation der Berliner Kulturpolitik ist verworren. Kulturschaffende wissen zum Teil nicht, wie es weitergehen soll, wie viel noch gespart werden muss, und wo. Einige haben sich in den letzten Tagen und Wochen bei BackstageClassical gemeldet, erzählen von ernüchternden Gesprächen, von verwirrenden Zahlenmodellen, davon wie inzwischen jede Institution für sich kämpft und Nähe zu politischen Entscheidern sucht. »Die Situation ist die Hölle«, sagt einer, »jeder kämpft plötzlich gegen jeden – und ich bin mir nicht sicher, ob nicht genau das politisch gewollt ist.«    

Fakt ist: das Sparen geht weiter. Die Zahlen, die im Raum stehen, sind schwindelerregend. Nach den Kürzungen für 2025 stehen nun wohl definitiv weitere massive Einsparungen in Höhe von jeweils 160 Millionen Euro für die Jahre 2026 und 2027 auf dem Plan (plus drei Prozent aus Tarifzusagen). 

Rücklagen helfen wenig

Im Sparhaushalt 2025 hatte man noch auf Rücklagen von rund 25 Millionen Euro zurückgegriffen, die dezentral »gefunden« wurden. Auch jetzt sind noch Rücklangen vorhanden, die allerdings bei großen Institutionen wie Opernhäusern eine strategische und existenzielle Bedeutung haben. Mit ihnen werden unter anderen Intendantenwechsel finanziert, unerwartete Ticketausfälle oder Extrakosten wie derzeit die Lagerfahrten, die für die Umbauzeit der Komischen Oper nötig sind. Es wäre unverantwortlich, die bestehenden Rücklagen (die Rede ist von rund 70 Millionen Euro) komplett in das Sparvolumen einzurechnen.

Derzeit finden offensichtlich intensive Gespräche mit Kulturstaatssekretärin Sarah Wedl-Wilson statt, um Einsparpotenziale, etwa durch weitere Synergien aufzuspüren. Es geht zum Beispiel um die Zusammenlegung von Verwaltungen und Werkstätten und um die Überlegung, wie große Werkstätten wie jene der Volksbühne in Pankow mit 22 Mitarbeitenden, effektiver genutzt werden können. Es ist aber auch klar, dass diese Synergien zu keinen sofortigen Einsparungen führen würden, sondern eher langfristig wirksam werden. Außerdem wird man allein durch Zusammenlegungen kaum die erforderliche Einsparhöhe erreichen.

Wedl-Wilson statt Chialo

Auffällig ist, dass Kultursenator Joe Chialo, nachdem er den Kulturschaffenden in einer Telefonkonferenz die neuen Sparziele weitgehend empathielos an den Kopf geworfen hatte, jetzt, da es um Details geht, wie kaltgestellt wirkt. Bereits im ersten »Kulturdialog«, den der Regierende Bürgermeister Kai Wegner nach der Videokonferenz mit den Kulturschaffenden einberufen hatte, blieb der Senator erstaunlich still, meldete sich – so berichten es Teilnehmer – offensichtlich erst nach über eine Stunde zu Wort und verlas dann auch nur eine vorgefertigte Erklärung.

Viele Kulturschaffende hoffen inzwischen darauf, dass Chialo als Nachfolger von Claudia Roth in das Kabinett von Friedrich Merz berufen wird. »Dort kann er weniger Schaden anrichten als hier«, heißt es. Es gibt Kulturschaffende, die hinter vorgehaltener Hand ernüchtert von ihren Gesprächen mit dem Senator berichten, von seiner Unwissenheit, seiner zur Schau gestellten Arroganz und seinem Desinteresse. Nicht nur Michel Friedman hatte Chialo im BackstageClassical-Podcast mangelnden Respekt und fehlende Kampfbereitschaft für die Berliner Kulturszene vorgeworfen. 

Chialo selbst vertraut derweil auf seine mediale Wirkung, schafft es (vielleicht auch mit Hilfe seines Kumpels, dem Spindoctor Axel Walrabenstein) nach negativer Kritik immer wieder, sich medial in Szene zu setzen. Genau das soll er den Kulturschaffenden, die ihm mit öffentlichen Protesten drohen, auch immer wieder entgegenhalten. Seine Nähe zu Springer-Mann Mathias Döpfner ist bekannt, und Welt-Mann Ulf Poschardt spricht sogar öffentlich von seiner »Freundschaft« zu Chialo. 

Mehr Zeit?

Die Hoffnungen vieler Kulturschaffender (und wohl auch jene des Regierenden Bürgermeisters) ruhen derweil auf Staatssekretärin Wedl-Wilson. Sie scheint – besonders unter den Akteuren von Musik und Theater – Vertrauen zu genießen. Sie wird als Politikerin wahrgenommen, die »Akten frisst« und ernsthaft bemüht ist, Probleme konkret zu benennen und gemeinsam nach Lösungen zu suchen. Wedl-Wilson ist es auch, die derzeit die »Kulturdialog«-Treffen mit Wegner vorbereitet – das nächste wird bereits diese Woche mit Vertretern von Museen und Bibliotheken stattfinden.

Offen ist, wie die Quadratur des Kulturkreises am Ende gelingen soll. Eine Möglichkeit ist, dass Wedl-Wilson mehr Zeit herausholt und erklären kann, dass die aktuellen Umstrukturierungen zwar nicht unmittelbar, aber langfristige Einsparungen garantieren. Und dann ist da noch die Hoffnung, dass den Einsparungen von 320 Millionen Euro ein Gesamt-Budget von 1,9 Milliarden gegenübersteht, dass es also durchaus Möglichkeiten gäbe, Gelder zu »rangieren«. Aber auch massive Einsparungen durch die radikale Schließung eines Hauses oder die Fusion zweier großer Häuser wie der Staatsoper und der Deutschen Oper scheinen nicht endgültig vom Tisch zu sein. 

Axel Brüggemann

Axel Brüggemann arbeitet als Autor, Regisseur und Moderator. Er war als Kulturredakteur und Textchef bei der Welt am Sonntag tätig und schrieb danach für die Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung. Heute veröffentlicht er u.a. im Tagesspiegel, im Freitag, der Jüdischen Allgemeinen oder in der Luzerner Zeitung. Er arbeitet für Radiosender wie den Deutschlandfunk, den WDR oder den HR. Seine Fernsehsendungen und Dokumentationen (für ARD, ZDF, arte oder SKY) wurden für den Grimmepreis nominiert und mit dem Bayerischen Fernsehpreis ausgezeichnet. Brüggemann schrieb zahlreiche Bücher u.a. für Bärenreiter, Rowohlt, Beltz & Gelberg oder FAZ Buch.

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