Im Fernsehen ist kaum Platz für Klassik, aber nun starten die ARD-Orchester eine Offensive bei YouTube. Auf Monetarisierung wollen sie dabei verzichten. Darüber müssen wir reden.
English summary: ARD orchestras now stream concerts for free on YouTube, bypassing TV and traditional platforms. While this expands access to classical music, it raises serious concerns: publicly funded content is distributed via private platforms without monetization, creating unfair competition for private media and orchestras. Critics question if this harms, rather than helps, the classical music scene.
Für die 12 Rundfunkorchester der ARD ist im Fernsehen nur wenig Platz. Zwar werden die meisten Konzerte im Radio übertragen, aber audiovisuell wird nur ein Bruchteil in den linearen TV-Programmen ausgestrahlt (hier eine Statistik und ein Text dazu).
Die Konzerte waren bislang hauptsächlich in der ARD Mediathek abrufbar, aber Sender wie der Hessische Rundfunk haben ihre Videos schon lange auch bei YouTube hochgeladen. Das soll nun zum Vorbild werden. Der YouTube-Kanal ARD Klassik sendet seit Sonntag auch Live-Konzerte und stellt weltweit kostenlos Auftritte der Rundfunkorchester zur Verfügung. Das klingt großartig! Wirft aber ernsthafte Fragen auf.
Es ist nicht Sinn des öffentlich-rechtlichen Rundfunks, privaten oder halböffentlichen Anbietern auf deren Geschäftsfeldern Konkurrenz zu machen. Diese Debatte tobt auf dem Nachrichten- und Zeitungsmarkt bereits heftig. Private Verleger argumentieren, dass sie als Unternehmen einen Wettbewerbsnachteil gegenüber dem öffentlich-rechtlichen Rundfunk hätten, der zum großen Teil durch Gebühren finanziert wird. Auch deshalb ist die Situation derzeit so geregelt: Öffentlich-rechtliche Sender dürfen auf ihren Internetseiten keine Werbung schalten und ausschließlich Inhalte anbieten, die auch im Radio oder im Fernsehen vorkommen. Im Medienstaatsvertrag heißt es, dass die Online-Angebote der Sender »nicht presseähnlich« sein dürfen. Doch die Grenzen sind fließend, und Zeitungsverleger kritisieren immer wieder, dass die Redaktionen von ARD und ZDF die ihnen gesetzten Grenzen überschreiten.
Überschrittene Grenzen
Das gilt auch für die Klassik. Egal, ob Frankfurter Allgemeine, Süddeutsche Zeitung, Welt, VAN Magazin oder BackstageClassical: Alle finanzieren ihre Recherchen, Artikel und Kritiken durch Zeitungsverkäufe, Online-Abonnements, durch Werbung oder Spenden. Die Existenz dieser Medien ist wichtig für die Meinungsvielfalt im Land, für breite Debatten und für die journalistische Kontrolle öffentlicher Einrichtungen.
Und, ja, es ist grenzwertig, wenn etwa der BR zusätzlich zu einer kurzen Radio-Kritik einer Oper eine lange schriftliche und artikelhafte Kritik online stellt. Privat wirtschaftende Zeitungen oder Online-Anbieter sind bei derartigen, durch Gebühren finanzierten Veröffentlichungen, nicht konkurrenzfähig. Und die Ausweitung der Konzertübertragungen auf YouTube ist eine weitere Grenzüberschreitung.
Eigentlich stehen den Sendern mit ihren linearen Programmen und Online-Mediatheken bereits eigene – ebenfalls vom Gebührenzahler finanzierte – Vertriebswege offen. Die Verbreitung der mit Gebühren finanzierten Inhalte auf den Plattformen privater Anbieter ist zumindest fragwürdig. Unter anderem, weil damit Versuche anderer Orchester torpediert werden, eigene Streaming-Angebote profitabel zu gestalten. Welche Auswirkungen wird das neue ARD Kultur-Angebot, das alle Konzerte weltweit kostenlos bei YouTube online stellt, für die Digital Concert Hall der Berliner Philharmoniker haben, die bislang darauf setzt, dass ihre Konzerte und deren Aufzeichnungen kostenpflichtig sind? Und wie wirkt sich die Umsonst-Mentalität der ARD grundsätzlich auf die unternehmerischen Ansprüche anderer Orchester aus, die ohne Gebührengelder und ohne eigene Aufnahme-Infrastruktur auskommen müssen? Kein Ensemble außerhalb der Fernsehwelt wird in der Lage sein, mit dem YouTube-Angebot der ARD zu konkurrieren. Das ist ein immenser Wettbewerbsnachteil, auch in Sachen Öffentlichkeitswirksamkeit.
Kein Profit? Ganz schön blöde.
Noch abenteuerlicher ist, wie die ARD versucht, genau diesem Vorwurf zu begegnen. Auf Anfrage von BackstageClassical erklärt der SWR: »Beim ARD Klassik YouTube Kanal handelt es sich um ein nicht-kommerzielles, werbefreies Angebot. Die ARD verzichtet grundsätzlich auf eine Monetarisierung.« Die ARD verdient also nichts an der Ausweitung ihrer eigenen Dienstleistungswege durch private Anbieter. Und genau das wirft viele neue Fragen auf.
Normalerweise lässt sich mit Content bei YouTube gutes Geld verdienen. Erst Recht, wenn man viele Inhalte erstellt und diese auch ein breites Publikum finden (wovon bei den Konzerten auszugehen ist). Die Klicks für die Konzerte der ARD-Klangkörper können sich schnell auf viele Millionen summieren, die normalerweise für Ausschüttungen im Bereich von vielen zehn- oder gar hunderttausend Euro führen können. Doch auf genau dieses Geld will die ARD offensichtlich verzichten.
Eigentlich ist es normal, dass die von öffentlich-rechtlichen Sendern produzierten Inhalte bei einer Verwertung außerhalb der Grenzen der Sender Profit abwerfen. Bei Konzerten oft durch Rechte und Verkäufe von CDs, oder indem Produzenten die Rechte übernehmen. Warum sollten sich die finanziell chronisch klammen Sender ausgerechnet bei YouTube diese Einnahmen entgehen lassen? Doch genau das ist bei der Verwertung der Klassik-Konzerte offenbar geplant.
Profiteur ist: YouTube
Mit andere Worten: Der durch Gebühren bezahlte Content (die Konzerte) finanziert indirekt ein privates Unternehmen wie YouTube. Das ist so, als würde das ZDF eine große Show produzieren und sie RTL für eine Ausstrahlung schenken. Ganz zu schweigen davon, dass die ARD ihre Inhalte kostenlos an einen Anbieter weitergibt, der das Umfeld dieses Contents bestimmt. Und was sagen privat wirtschaftende Produzenten dazu, die darauf angewiesen sind, mit ihren Konzerten (etwa bei internationalen Sendern) Geld zu verdienen? Was sagen CD-Labels und Produzenten von Konzert-Mitschnitten?
Es ist ein schöner Gedanke, dass der öffentlich-rechtliche Rundfunk durch Gebühren in der Lage ist, Musik, ihre Komponisten und Interpreten der ganzen Welt kostenlos zur Verfügung zu stellen. Aber es sollte einen zweiten Gedanken Wert sein, ob diese Art der willkürlichen Verbreitung anderen Ensembles, Musikerinnen und Musikern am Ende nicht mehr Schaden zufügt als dass sie ihnen nützt.
Privat finanzierte Orchester (aber auch staatliche Orchester ohne die technische Infrastruktur der Sender) können mit dem kostenlosen Online-Angebot der Öffentlich-rechtlichen bei YouTube nicht konkurrieren. Die ARD erweist der dringend nötigen Steigerung der Eigenfinanzierunganteile von Orchestern durch seine Umsonst-Angebot auf fremden, kommerziellen Plattformen einen Bärendienst. Zum einen dadurch, dass sie die mit Gebühren finanzierten Aufnahmen jenseits ihrer eigenen Kanäle zur Verfügung stellt, zum anderen, indem die Sender es sich sogar leisten, gegenüber kommerziellen Anbietern wie YouTube auf die ihnen zustehenden Einnahmen zu verzichten.
Die Idee von ARD Klassik auf YouTube wirkt auf den ersten Blick bestechend. Aber vielleicht sollten wir gerade in der Klassik zunächsteinmal eine öffentliche Debatte führen, ob das, was so gut aussieht, am Ende wirklich gut für unsere Kunst ist. Und wäre es für die ARD nicht viel sinnvoller, die audiovisuellen Mitschnitte der Konzerte ihrer Orchester erst einmal ins eigene Fernsehprogramm zu bringen?