CDs zu retten ist kein Heldentum

Oktober 14, 2025
2 mins read
Ein Medium der Vergangenheit? Zerstörte CD (Foto: BC)

Eine ehemalige BR-Mitarbeiterin will 175.000 CDs des Senders vor der Zerstörung retten. Sie wird als Heldin gefeiert. Dabei ist ihr Kampf so unnütz wie aussichtslos. 

English summary: A former BR employee rescued 175,000 CDs from destruction, hailed as a heroine despite the futility. Critics call CDs obsolete, inferior to LPs and digital formats, noting even labels destroy stock due to costs and the medium’s declining cultural value.

Die ganze Aktion wirkt wie ein Sinnbild der aktuellen Klassik-Welt: Der Bayerische Rundfunk wollte sein Archiv mit 175.000 CDs vernichten. Das wollte eine ehemalige Mitarbeiterin des Senders nicht zulassen, wie der Merkur berichtet. Sie hat den gesamten Bestand vor der Verschrottung übernommen,  um ihn weiter zu vermitteln. Die FAZ feiert diese anachronistische Aktion heute als Heldentum.

Fakt ist: CDs sind das wahrscheinlich unsinnlichste Musik-Medium, das je erfunden wurde! Vor allen Dingen aber ist die CD als digitales Medium nur eine vorübergehende Vorstufe zur MP3. Meinetwegen sind Langspielplatten die »Bücher der Musik« – und, ja: Sie sind es wert, aufbewahrt, gesammelt und kuriert zu werden (das tut der BR übrigens auch). Aber CDs eher so etwas wie die E-Books des Klanges. 

Während eine Schallplatte mit ihrer analogen Sinnlichkeit sich nicht digitalisieren lässt, verliert eine CD als Datei keinerlei Klang. Und dann ist da noch der Platz-Aspekt: Statt in 1,75 Kilometern laufenden Regalmetern (die CDs sind in 2,35 Meter hohen Rollregalen sortiert, von denen jedes Regal 43 Quadratmeter Platz einnimmt)  passt die Musik des BR auch auf eine würfelgroße Festplatte. Genau dieses »Umpacken« hat der BR ja auch vorgenommen, als er den Großteil seiner 175.000 CDs digitalisiert hat. 

Nein, die Rettungsaktion von CDs ist kein Heldentum, sie ist lediglich die Sisyphos-Arbeit, den Lauf der Zeit noch wenig aufzuhalten, um dann umso brutaler von ihm überrollt zu werden. 

Selbst Labels zerstören ihre CD

Ich persönlich habe meine CD-Sammlung von weit über 10.000 CDs bereits vor Jahren aufgelöst (momox ist hier ein idealer Partner gewesen). Ich habe diese Aktion nicht einen Tag lang bereut. Meine Schallplatten habe ich indes behalten. Und Schallplatten kaufe ich auch noch immer. Sie sind ein Medium der Sinnlichkeit. Die CD dagegen hat meinen Wohn- und Denkraum durch Plastik verschandelt. 

Die bittere Wahrheit über den aktuellen Gegenwert von CDs musste kürzlich auch schon die MusikproduktionDabringhaus und Grimm schmerzhaft erkennen: Das Label hat selber 20.000 CDs aus seinem Lager zerstört. Der Grund: Firmen, die unter 10.000 Euro GEMA Gebühren pro Jahr zahlen, müssen Gebühren inzwischen nicht für die verkauften Aufnahmen abgeben, sondern für alle bereits produzierten Produkte – auch für jene, die im Lager auf ihren Verkauf warten. Am Ende waren die Kosten für die Zerstörung günstiger als die Kosten der Lagerung.

Es ist »typisch Klassik«, dass die Rettung einer CD als Rettung des Erbes von Bach und Beethoven verstanden wird. Das ist nicht nur übertrieben, sondern vollkommener Unsinn! Nichts, was eine CD ausmacht, wäre digital schlechter archiviert. Die Booklets sind zu kleinformatig, um sinnlich zu sein, die Verpackung ist lediglich umweltschädlicher Plastikmüll, die Silberscheiben an sich: wertlos.

Mich erinnert all das an eine Filmserie, die ich vor einigen Jahren gedreht habe. Es ging um Pornographie und Gesellschaft. Damals wurden gerade die letzten VHS-Alm-Pornos gedreht. Ebenfalls ein aussterbendes Medium, wie mir der Produzent erklärte: »Männer, die mit diesen Videokassetten aufgewachsen sind, sind inzwischen 70 oder 80 Jahre alt, die nächste Generation schaut nur noch PornHub.« Vielleicht ist es mit der Klassik wie mit dem Sex: Nirgends ist Musik so schön wie im Konzert. Wenn wir sie archivieren, bitte stilvoll auf LP oder modern in digitalen Formaten. 

Axel Brüggemann

Axel Brüggemann arbeitet als Autor, Regisseur und Moderator. Er war als Kulturredakteur und Textchef bei der Welt am Sonntag tätig und schrieb danach für die Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung. Heute veröffentlicht er u.a. im Tagesspiegel, im Freitag, der Jüdischen Allgemeinen oder in der Luzerner Zeitung. Er arbeitet für Radiosender wie den Deutschlandfunk, den WDR oder den HR. Seine Fernsehsendungen und Dokumentationen (für ARD, ZDF, arte oder SKY) wurden für den Grimmepreis nominiert und mit dem Bayerischen Fernsehpreis ausgezeichnet. Brüggemann schrieb zahlreiche Bücher u.a. für Bärenreiter, Rowohlt, Beltz & Gelberg oder FAZ Buch.

Fördern

Artikel auf BackstageClassical sind kostenlos. Wir freuen uns, wenn Sie unabhängigen Klassik-Journalismus fördern.

Mehr aktuelle Artikel

Nast bleibt bei den Wiener Symphonikern

Nach erfolgreicher Arbeit, der Intendant Jan Nast bleibt fünf weitere Jahre in Wien English summary: Jan Nast’s contract as Artistic Director of the Vienna Symphony has been extended to 2032. Since 2019

Lieber Peter Noever,

man muss einfach auch mal sehen, wenn man ein Spiel verloren hat. Jetzt kommen Sie noch Mal mit dem ollen Currentzis um die Ecke, dem Sie den Orden Ihrer lächerlichen Ösi-Kurie anheften

Klassik zwischen Sparen und Klotzen

Der Newsletter: Heute mit dem Trick, leise zu sparen, Sting an der MET, zwei neuen Opernhäusern und allerhand positiven Nachrichten aus der Welt der Klassik.  

Berlin spart ohne Struktur

In ihren Plänen vermeidet Berlins Kultursenatorin Sarah Wedl-Wilson den großen, strukturellen Wurf. Dabei wäre genau das eine Möglichkeit, um Berlins Kultur langfristig zu sichern.

Wotan ist tot

Der neuseeländische Bassbariton Sir Donald McIntyre ist mit 91 Jahren in München verstorben.

Lieber Sting,

als ich Sie vor 20 Jahren für den Stern besucht habe, erklären Sie mir: »Der Rock liegt im Sterben«. Damals haben Sie den elisabethanischen Minne-Musiker John Dowland entdeckt. Sie waren ausgebrannt und

So soll Hamburgs neue Oper aussehen

Spektakuläre Terrassen an der Elbe: Die Bjarke Ingels Group (BIG) aus Kopenhagen hat den internationalen Wettbewerb für den Neubau der Hamburger Oper am Baakenhöft in der HafenCity gewonnen.

Werdet wieder sexy – arm bleibt ihr sowieso

Die deutsche Kulturpolitik steht unter Spardruck, der Mut zu Reformen fehlt. Beim Hauptstadtkulturgespräch des VBKI wurde deutlich: Zukunftsfähig bleibt Kultur nur, wenn sie sich öffnet – für neue Finanzierungswege, neue Zielgruppen und

Verpassen Sie nicht ...