
Willkommen in der neuen Klassik-Woche,
heute geht es um Hoffnung aus der Musik, um die Frage nach Kohle, um politische Aufgeregtheiten und um Kritik an den Wiener Philharmonikern.
Orchester in der Krise?

Es ist auffällig, wie FAZ-Redakteur Jan Brachmann in der letzten Zeit gleich zwei Mal gegen die Wiener Philharmoniker und ihre künstlerische Leistung gewettert hat. Vielleicht hat er sich dabei ein bisschen in die Sache verbissen, aber im Kern stimmt ein Großteil seiner Beobachtungen: Das alte Gold droht zu bröckeln. Ich habe mich gefragt, warum das einst so stolze Orchester auf so vielen Ebenen den Anschluss zu verlieren scheint, warum das lange konservative Selbstbild fast schon reaktionär wirkt. Warum sind die Wiener Philharmoniker in der Frage nach Frauen am Pult, aber auch in der Entdeckung spannender Talente und beim Repertoire so ewig gestrig? Das Orchester scheint seine Mitte verloren zu haben. Das könnte auch daran liegen, dass sie einfach falsch gemanagt werden. Eine Analyse der aktuellen Situation.
Augen auf, Musik!
Unsere Gegenwart sieht anders aus als die Zukunft, die sich die Literatin Jagoda Marinić einst vorgestellt hat: Kriege, Gefährdung der Demokratie und allerhand Zweifel. Bei der Eröffnung des Brucknerfestes Linz sprach sie darüber, welche Rolle Musik (etwa von Bruckner) in dieser Zeit spielen kann: »Es muss etwas geben, das größer ist als die Resignation. Eine Öffnung, durch die das Licht fällt. (…). ‘Weil die gegenwärtige Weltlage geistig gesehen Schwäche ist, flüchte ich zur Stärke und schreibe kraftvolle Musik‘, sagte Bruckner. Diese Fluchtbewegung, die zur Musik führte, war sein Beitrag, uns an die Kraft in uns zu erinnern.« Die ganze Rede hat uns das Brucknerfest zur Verfügung gestellt – Inspiration gefällig? Bitteschön.

»Kein Sponsor zahlt die Stromkosten«
An der Oper Zürich beginnt die neue Saison mit einem 24-Stunden Fest samt Morgen-Yoga auf der Bühne gefolgt vom Rosenkavalier von Lydia Steier und der neue Intendant, Matthias Schulz setzt sich selber ans Klavier, um Elīna Garanča zu begleiten. Im Gespräch (und Podcast) mit BackstageClassical erklärt Schulz, dass er versucht seine Oper in ganz unterschiedliche Richtungen zu öffnen: Klassiker, Weltstars, aber auch Nachwuchsförderung, Outreach und Opernstudio. Er ist nicht ganz unglücklich, dass er in Zeiten von Mega-Sparmaßnahmen von Berlin nach Zürich wechselte. Was er den deutschen Häusern wünscht: Dass die Politik privatwirtschaftliches Engagement nicht nur einfordert, sondern auch politisch unterstützt: »Was die Finanzierung betrifft, bin ich überzeugt, dass es einen fairen Deal braucht: Fixkosten sollten immer staatlich gedeckt sein, da man keine Sponsoren für Stromkosten findet. Variable Kosten sollten sich aus Ticketgeldeinnahmen und privatwirtschaftlichem Engagement speisen.« Das ganze Gespräch: hier.
Die großen BackstageClassical Intendanten-Gespräche
- Intendant der Hamburgischen Staatsoper: Tobias Kratzer
- Intendantin der Bayreuther Festspiele: Katharina Wagner
- Intendant des Nationaltheaters in Weimar: Valentin Schwarz
- Intendant der MET in New York: Peter Gelb
- Intendant der Oper Dortmund: Heribert Germeshausen
- Nächste Woche folgt die Intendantin der Semperoper Dresden, Nora Schmid (Podcast hier abonnieren)
Inflation des Antisemitismus
Als das Flanders Festival in Gent den jüdischen Dirigenten Lahav Shani und seine Münchner Philharmoniker ausgeladen hatte, verfasste ich noch in der Nacht einen Kommentar. Am nächsten Tag überschlugen sich dann die Deutungen: Den Vorwurf des »Antisemitismus« dürfe man nicht inflationär verwenden, und überhaupt: Shanis Israel Philharmonic sei ein Staatsorchester und er habe sich nicht genügend gegen Israels Kriegs-Gräuel positioniert – und hatte ich mich nicht immer gegen Valery Gergiev und Teodor Currentzis positioniert? Plötzlich verschwand – mal wieder – das grundlegende Verständnis über Fakten. Denn Fakt ist, dass Shani erst kürzlich in der Süddeutschen Zeitung erklärte, dass er auf eine junge Generation Israelis und Palästinenser hoffe, die anders denke als die derzeit politisch Handelnden – und Frieden schaffe. Fakt ist auch, dass das Israel Philharmonic Orchestra hauptsächlich durch private Spenden, Stiftungen und Fördervereine im In- und Ausland finanziert wird, insbesondere von der IPO Foundation und den amerikanischen »Friends of the Israel Philharmonic Orchestra«. Fakt ist auch, dass Gergiev eindeutig Propagandist des Putin-Regimes ist und Currentzis‘ »MusicAeterna« unter anderem Gelder von der in der EU sanktionieren VTB-Bank bekam. Überhaupt: Könnte es sein, dass derzeit nicht der Begriff des Antisemitismus inflationär benutzt wird, sondern dass der Antisemitismus selber inflationär ist? Ja, und wo bleibt das Positive? Wohl in der großen Welle an Solidarität, von Politik, anderen Orchestern, den Berliner Philharmonikern und der Berliner Festwochen, die Shani und sein Orchester nun statt Gent eingeladen haben und dem Belgischen Premier, der das Orchester in Essen besuchte und erklärte, dass in Belgien kein Platz für Antisemitismus sei und wohl auch den Rücktritt des Festival-Präsidenten Jan Briers gefordert haben soll. Heute Abend wird es in Gent ein Boardmeeting geben – es ist nicht davon auszugehen, dass Briers danach noch Präsident ist (unter anderem auch auf Grund des aktuellen Berichts in der FAZ, die auch die BackstageClassical-Recherchen zitiert).
Die Rückkehr von François-Xavier Roth

So ehrenwert die Solidarität der Berliner Philharmoniker in Sachen Lahav Shani ist, so sehr erstaunt, wie das Orchester dem Dirigenten François-Xavier Roth den Teppich für sein Comeback ausgerollt hat: Mit neuem Look und offenbar ohne weitere Proteste dirigierte er Strawinskys Sacre. Ob seine Konzert mit dem SWR in dieser Woche ebenso kritiklos ablaufen werden? Im Vorfeld wurden Proteste angekündigt, ein Teil des Publikums will den Umgang Roths und des SWR mit den Vorwürfen rund um die Dickpics nicht kritiklos hinnehmen. Aber vielleicht befinden wir uns ja auch einfach in einer Zeit, in der wir genug Probleme auf der Welt haben und ein Großteil des Klassik-Publikums einfach mal »abschalten« will.
Personalien der Woche
Weitgehend still ging ja auch der im Vorfeld so turbulent debattierte Auftritt von Anna Netrebko in Tosca am Opernhaus Covent Garden über die Bühne: Vor dem Theater zivilisierter Protest, auf der Bühne ungestörter Gesang. +++ Nun werden dem Cellisten und Bundestagsabgeordneten Matthias Moosdorf seine Russland-Beziehungen selbst AfD-intern zum Verhängnis: Sie brummte dem Politiker eine 2.000-Euro-Strafe auf sowie ein Redeverbot für sechs Sitzungswochen im Bundestag. Der Grund: Eine unangemeldete Reise nach Russland. +++ Der Sänger Siegmund Nimsgern ist gestorben. Thomas Schmidt-Ott erinnert sich in einem sehr persönlichen Abschied an den Bach-Interpreten und Bayreuth-Wotan: »Siegmund Nimsgern war Titan und Zweifler, in der Welt berühmt, im Saarland zuhause. Ein Sänger – und ein Wortkünstler. ‚Ich kokettiere gerne damit, dass ich sage, ich bin den Weg des geringsten Widerstandes gegangen – und der war das Singen.‘ Ob das stimmt? Wer eines seiner fast 250 Alben hört, spürt sofort: nichts an diesem Weg war gering.«

Und wo bleibt das Positive, Herr Brüggemann?
Ja, wo zum Teufel bleibt es denn? Vielleicht ja hier! Die Saison beginnt langsam wieder: Auch die letzten Festspiele schließen ihre Pforten (Guido Krawinkel zieht für BackstageClassical eine gemischte Bilanz der Ruhrtriennale von Ivo van Hove (2026 übernimmt Lydia Steier). Und ich war in der Zauberflöte an der Wiener Volksoper von Lotte de Beer. Ich habe in meinem Leben nicht verstanden, warum ausgerechnet dieses Stück immer als Kinderoper herhalten muss. Hier mein Bericht, ob ich nun schlauer geworden bin.
In diesem Sinne: Halten Sie die Ohren steif
Ihr
Axel Brüggemann

