Von Laien zu den besten Profis Europas

Oktober 18, 2025
2 mins read
»Golden Cockerel« (Foto: Bergen Nasjonale Opera, Skrede)

Ein Chor, der klingt wie ein Orchester: Der Edvard Grieg Kor aus Bergen begeistert mit Präzision, Wandelbarkeit und Leidenschaft. Gründer Håkon Matti Skrede formte ein Klangwunder.

English summary: The Edvard Grieg Kor from Bergen is a 24-member choir known for its precision, versatility, and pure sound. Founded by Håkon Matti Skrede, it evolved from an amateur group into one of Europe’s top professional choirs, inspiring the region’s music scene through concerts, education, and innovation.

Dieses NORDLICHT gebührt einem Chor – und der ist einfach unglaublich. Live habe ich ihn gehört zur Uraufführung der Oper Asle und Alida im Frühling und konnte es nicht fassen: Gerade mal 24 Sängerinnen und Sänger – und dann dieser Klang, diese Präzision, diese Wandelbarkeit, die makellose Intonation, und toll gespielt haben sie auch noch! Und das kommt nicht von ungefähr und ist auch nicht neu, sogar eine GRAMMY-Nominierung hat der Edvard Grieg Kor im norwegischen Bergen seit 2017 vorzuweisen. Wie entsteht so ein Klangkörper? Das weiß keiner so gut wie Håkon Matti Skrede, er ist dessen Herz und Motor. 

Der ausgebildete Geiger und selbst erfolgreiche Sängersolist hat ihn 2002 gegründet; seine Idee war es, aus dem Laienensemble KorVest einen Profichor zu machen, das Ziel war ein Klangkörper aus 18 vollbeschäftigten Sängerinnen und Sängern in 5 Jahren. Das hat nicht ganz geklappt, heute sind acht Sängerinnen und Sänger zu 70% fest angestellt, sie bilden den Kern des Unternehmens, das Edvard Grieg Vokalensemble. Und mit dem wollen wir uns noch kurz etwas beschäftigen: Sie stemmen als der Kernbesetzung eine rege Konzert- und Operntätigkeit, viele Uraufführungen und die musikalische Grundversorgung der ganzen Region. Aber – so drückt es Skrede aus – »die Gesellschaft schafft ihnen weitere Jobs«, sie bekommen Anfragen zum Unterrichten, als Solisten für Kirchenkonzerte und andere Sologigs. Und sie helfen, das Niveau des über 100-köpfigen Bergen Philharmonic Choir weiter zu entwickeln: Bei diesem ambitionierten Laienchor (den natürlich ebenfalls Skrede leitet) arbeiten sie als »Stimmführer«. Das garantiert ein stetig wachsendes Niveau und ein gutes Verhältnis untereinander für Großprojekte: Wenn es in der Stadt eine Mahler-Sinfonie oder ein großes Oratorium aufzuführen gibt, werden die Chöre vereinigt. 

Hakon Matti Skrede (Foto: Brun)

Die Vernetzung in die Stadtgesellschaft reicht aber noch viel weiter: Es gibt acht (!) Kinder- und Jugendchöre in verschiedenen Altersgruppen, im Alter von 10 bis 16 aufgeteilt in Mädchen- und Knabenchor. Insgesamt lernen rund 250 junge Menschen das Chorsingen bei Håkon Matti Skrede. Die haben natürlich jeweils eigene Aufführungen auf dem Programm, auch in besonderen, generationenübergreifenden Projekten etwa mit einem Kinder- und einem Großelternchor. »Wir wollen eine relevante Größe sein im Leben der Menschen hier«, so fasst Skrede das in Worte. Es sieht so aus, als ob ihm das gelingt. Doch auch er stellt fest, dass die Kinder mit weniger musikalischer Vorbildung in ihren ersten Kinderchor kommen als vor zehn oder zwanzig Jahren: Das müsse man dann eben versuchen aufzufangen, wenn man die Institution Edvard Grieg Korene langfristig erhalten wolle.

Als Edvard Grieg Kor tritt das Vokalensemble mit zusätzlichen acht bis sechzehn Profi-Freelancern auf – die kommen derweil noch von auswärts: Es gibt Kooperationen mit Hochschulen in England – und freischaffende Sänger, zum Beispiel auch aus Berlin. Mit denen probt Skrede dann in deren Heimat separat und dann kommen alle sehr kurz vor eine Aufführung erstmals zusammen. Oft ist das herausfordernd, die Zeit für komplexe Opern oder Uraufführungen ist bisweilen extrem knapp. Und die meisten Gäste sprechen kein Norwegisch. Etwa ein Drittel der Auftritte sind arbeitsintensive a-cappella-Auftritte ohne Orchester oder Opernbühne. Aber – das hält den Chor flexibel und ermöglicht passgenaue Besetzungen für alle anstehenden Projekte. Hinter all dem steckt eine riesige Menge Arbeit, im Probenraum und fast noch mehr in der Organisation. Aber Håkon Matti Skrede brennt für seine Chorarbeit und findet in jedem Auftritt aufs Neue Bestätigung in der Qualität der Aufführungen: Der Edvard Grieg Kor ist einer besten Konzert- und Opernchöre Europas. Alleine schon dafür freue mich auf die Premiere von „Pelléas und Mélisande“ der Bergen Nasjonale Opera am 1. November!

Stephan Knies

Stephan Knies ist Dramaturg, Musiker, Librettist und Autor und schnell begeistert von gutem Theater-Handwerk, frischen Ideen und ungewöhnlichen Formaten. Seine Opern-Moderationen, beispielsweise für sein Ensemble »D´Accord« und dessen Wagner-Paraphrasen im Haus Wahnfried in Bayreuth oder in der Hamburger Elbphilharmonie, stoßen beim Publikum auf relativ wenig Ablehnung. Ein Schwerpunkt seiner Reisetätigkeit für Magazine wie die »Opernwelt« ist Nordeuropa – von Riga bis Reykjavik.

Fördern

Artikel auf BackstageClassical sind kostenlos. Wir freuen uns, wenn Sie unabhängigen Klassik-Journalismus fördern.

Mehr aktuelle Artikel

»Deutschland, relax!«

Omer Meir Wellber verteidigt den Opernneubau in Hamburg, hofft auf Bewegung im Nahostkonflikt und sieht die künstlerische Kreativität in den USA in Gefahr. Ein Gespräch über Kunst in einer neuen Weltordnung. 

Liebe Bayreuther Festspiele,

es gibt keinen Musik-Ort, der mir näher ist als Du! Mit 16 durfte ich meinen Vater auf den Grünen Hügel begleiten – in silbernem Anzug mit roter Krawatte. Nach den Aufführungen habe ich

Junge Opfer sind wirkungsvoller

Ausgerechnet der SWR plant eine Dokumentation über sexualisierte Gewalt in der Klassik. Dass François-Xavier Roth dabei wohl keine Rolle spielen wird, ist nur einer der Kritikpunkte, den Betroffene im Vorfeld äußern. 

Liebe Konzertdirektion Adler,

ich weiß, der Klassik-Markt ist kein leichter! Aber, hey: Wie tief müsst ihr denn noch sinken, um Eure Igor-Levit-Karten an die Männer und Frauen zu bringen? Erst muss der arme Mann einen

Eislaufen mit Big P.

Eine Skulptur von Luciano Pavarotti mitten auf dem Eislaufring in Pesaro sorgt für Zoff. Dem Tenor hätte es gefallen, unter Leuten zu stehen.

Petition gegen Kultursparmaßnahmen in Stuttgart

Kürzungen bei Kultur, Bildung und sozialen Angeboten in Stuttgart stoßen auf massiven Protest zahlreicher Einrichtungen – nun wurde eine Petition gestartet. In einer Petition warnen Stuttgarter Kultur- und Sozialakteurinnen und -akteure vor

Wimmelbild vor Weihnachten

Nikolai Rimski-Korsakows Oper »Die Nacht vor Weihnachten« hatte Premiere an der Bayerischen Staatsoper in München: Generalmusikdirektor Vladimir Jurowski dirigierte, Barrie Kosky inszenierte. Hat das Haus ein neues Weihnachtsstück entdeckt?

Kollaps der musikalischen Ausbildung in Deutschland

Die neue Studie »MiKADO-Musik« warnt vor einer ernsthaften Krise an Musikschulen in Deutschland und Österreich. Fachleute sprechen von einem drohenden »Kollaps« der musikalischen Bildung, wenn Politik und Träger nicht rasch und koordiniert

Verpassen Sie nicht ...