Albert Lortzing wurde von der Leipziger Musik-Elite ignoriert, aber von den Leipzigern gefeiert. Nun zeigt das Lortzing-Festival ein Programm mit Opern, A Capella-Musik und Symposien seine wahre Bedeutung.
English summary: Ignored by Leipzig’s elite but loved by its citizens, Albert Lortzing’s spirit lives on at the Lortzing Festival, showcasing his operas, a cappella music, and symposia. A revolutionary voice, Lortzing challenged authority with humor and heart, capturing the public’s soul. Today, his critical yet entertaining works remain deeply relevant.
»Lortzing hierbleiben!« skandierte das Publikum in den Rängen, »Lortzing muss bleiben!« – die Sprechchöre in der Leipziger Oper waren laut. Die Menschen kämpften für den damaligen Leipziger Kapellmeister Albert Lortzing, der gerade seine Entlassungspapiere vom Theaterintendanten bekommen hatte. Offiziell auf Grund seiner Gicht-Erkrankung, in Wahrheit aber wohl auch, weil die Oper mit ihrem elitären Spielplan nicht länger rentabel war. Also sollte der Publikumsliebling geopfert werden und sein Honorar von 1.000 Talern eingespart. Doch der Intendant machte die Rechnung ohne die Leipziger: In jeder Aufführung, die der geschasste Kapellmeister dirigierte, wurde er nach jeder Nummer bejubelt, während andere Dirigenten erbarmungslos ausgebuht wurden.
Diese letzten Szenen der Leipziger Karriere von Albert Lortzing zeigen die Bedeutung des wahrscheinlich unterschätztesten Musikers der Stadtgeschichte. Albert Lortzing war ein Publikumsliebling, während die intellektuelle Elite der Stadt ihn am liebsten ignorierte. Und so ist seine Geschichte auch die Geschichte über die Rolle des Theaters innerhalb einer Stadt. Es ist also nur konsequent, dass die Oper Leipzig und ihre Musikalische Komödie diesem ganz besonderen Theatermann nun ein eigenes Festival widmen.
Der Berliner auf Tingel-Tour
Albert Lortzing wurde 1801 in Berlin geboren. Seine Eltern waren Lederhändler und Theaternarren und haben sich mit der Berliner Theatergesellschaft »Urania« selbstständig gemacht. Fortan führten sie ein Tingel-Leben und reisten von Stadt zu Stadt. Stets dabei: Sohn Albert, der das Publikum schon als Kind durch seine humorvollen Pauseneinlagen begeisterte.
1833, also mit 32 Jahren, kam Lortzing mit seiner Frau, der Schauspielerin Rosina Regina Albers, nach Leipzig und wurde schnell als Mime und Buffo-Tenor gefeiert. Lortzing war ein politischer Kopf, wurde Mitglied der Freimaurerloge »Balduin zur Linde« und holte die Ideale des Vormärz auch auf die Bühne. Er stellte Autoritäten in Frage und plädierte für mehr Selbstbestimmung. Gedanken, die er gern in kurzen Improvisationen während der Theateraufführungen formulierte, was für regelmäßige Einsätze der Zensurbehörden sorgte. Lortzing bediente die Sehnsucht des Publikums nach einem Theater, das die Autoritäten der Realität in Frage stellte und gern auch lächerlich machte.
Die Komposition von Opern betrieb der Schauspieler zunächst als Hobby. Und vorerst schien auch niemand Interesse an seinem Erstling, Die beiden Schützen, zu haben. Zwei Jahre lang blieb das Werk unaufgeführt, bis der Leipziger Opernintendant zugriff und das es 1837 auf die Bühne brachte. Was dann passierte, sollte zum Leitmotiv der Lortzing-Rezeption werden: Die öffentliche Kritik blieb verhalten, während das Publikum jubelte.
Einer, der den Geist der Menschen traf
Es ist Albert Lortzings Gemüt als leidenschaftlichem Theatermann zu verdanken, dass ihm die Zuschauerinnen und Zuschauer stets wichtiger waren als sein öffentliches Bild. Es mag ihn geärgert haben, dass Felix Mendelsohn Bartholdy ihn weitgehend ignorierte, und dass Robert Schumann ihn in nur einer einzigen Kritik erwähnte. Über die Uraufführung von Hans Sachs berichtete er weniger über die Musik als vielmehr über die Stimmung im Theater: »Der Beifall durch Kränzewerfen und Hervorrufen ist nicht ausgeblieben.«
Immerhin musste auch Schumann anerkennen, dass Lortzing den Geist der Menschen traf. Auch deshalb, weil er an die Erneuerung einer Welt glaubte, die zwischen den politischen Führern, Metternich in Wien und Friedrich Wilhelm III. in Berlin, stagnierte.
Lortzing identifizierte sich mit Revolutionären wie Robert Blum und ihrem Humor.
Freund der Revolutionäre
Hagen Kunze zitiert in seinem sehr lesenswerten Buch über die Musikgeschichte Leipzigs, Gesang vom Leben, einen Witz, der in den 1830er Jahren in Leipzig kursierte. Eine Karikatur zeigte damals Robert Blum, der einem anderen Mann zuprostet. »Gott erhalte alle unsere Fürsten«, sagt der, und Blum antwortet: »Ja, und er stelle uns recht bald die Quittung aus, dass er sie alle erhalten hat.«
Die Opern, die nun beim Lortzing-Festival in Leipzig gezeigte werden, spiegeln seinen ironischen Widerstandsgeist: Besonders Zar und Zimmermann (inszeniert von Domimik Wilgenbus) mit seinem spielerischen Verwirrspiel der Hierarchien, aber auch Der Waffenschmied (in der Regie von Sonja Trebes und geleitet von Michael Nündel) oder Regina (inszeniert von Bernd Mottl, dirigiert von Constantin Trinks) sind Opern, in denen das Volk zum eigentlichen Protagonisten wird. Ihm verschafft Lortzing in seinen einprägsamen Gassenhauer-Chören immer wieder eine einmalige und nachhaltige musikalische Stimme.
Musik in unübersichtlichen Zeiten
Der Intendant der Leipziger Oper, Tobias Wolff, ist sicher, dass Lortzing gerade auch heute ein breites Publikum begeistert. »In diesen Zeiten, in denen die Welt sehr unübersichtlich geworden ist«, sagt er, »stelle ich fest, dass viele Leute von unseren Kulturinstitutionen auch erwarten, die Welt nicht nur intellektuell, sondern auch emotional zu ordnen – und Lortzings Opern schaffen genau diesen Spannungsbogen. Sie sind unterhaltsam und gleichzeitig unglaublich gesellschaftskritisch.«
Innerhalb des Leipziger Lortzing-Festivals wird auch die Oper Undine aufgeführt (inszeniert von Tilmann Köhler), die erst nach dem Rauswurf des Komponisten aus Leipzig 1845 in Magdeburg und Hamburg aufgeführt wurde.
Vor allen Dingen aber knüpft das Leipziger Lortzing Festival an die Breitenwirkung des Komponisten an: Es wird eine Open Stage geben, auf der Chöre aus der Region Musik von Lortzing aufführen – aber auch aus allen anderen musikalischen Genres. Außerdem kooperiert die Oper mit dem Leipziger A Capella Festival, das mit Musik von Lortzing und einem romantischen Programm eröffnet.
Gründer einer Künstlergewerkschaft
Eingebunden wird all das in Vorträge und Symposien, unter anderem bei den Schiller-Spaziergängen, in denen das Verhältnis von Robert Blum und Albert Lortzing untersucht wird. »Ich bin mir sicher«, sagt Intendant Wolff, »dass Albert Lortzing auch heute noch genau jene breiten Gesellschaftsschichten in Leipzig begeistert, die ihm auch schon zu Lebzeiten in dieser Stadt zugejubelt haben.«
Auch wenn die damalige musikalische Elite im Mendelssohn und Schumann Lortzing am liebsten ignorierte, darf man seine Bedeutung für die Musikstadt Leipzig nicht unterschätzen. Als der beliebte Intendant Friedrich Sebald Ringelhardt auf Grund einer Intrige entlassen werden sollte, schrieb Lortzing einen Protestbrief an die Stadt, den er von 10 Kollegen unterschreiben ließ. Der Muskwissenschaftler Hagen Kuntze sieht in diesem Schreiben zum ersten Mal das, »was später als Künstlergewerkschaft bezeichnet wird.«
12 Jahre lang wirkte Albert Lortzing in Leipzig, und er bezeichnete diese Zeit als »glücklich«. Obwohl die Stadt es ihm nicht immer leicht gemacht hat. Als die Schauspielerei und das Singen Lortzing immer schwerer fielen, wurde er zum Kapellmeister ernannt. Doch nach einem Intendantenwechsel verlor er diese Position. Die Proteste des Leipziger Publikums halfen wenig. Die Entscheidungsträger saßen die öffentlichen Proteste einfach aus. Albert Lortzing verließ Leipzig. Er nahm einen Posten am Theater an der Wien an, musste aber auch hier nach einiger Zeit wieder gehen und seine Arbeit als freiberuflicher Schauspieler und Gastdirigent wieder aufnehmen. 1851 starb Albert Lortzing hoch verschuldet in Berlin. Er wurde in einem schwarz-rot-goldenen Sarg begraben, der an die gescheiterten Aufstände von 1848 erinnerte.
Text erschien erstmals in der Broschüre Leipzig Musikstadt