Die neue Sehnsucht nach Schönheit

Juni 2, 2024
2 mins read
Tobias Wolff, Intendant der Oper Leipzig (Foto: Oper Leipzig)

Leipzigs Opern-Intendant Tobias Wolff über neue Trends an der Theaterkasse, über die Bedeutung des Ensembles und eine neue Freude an Harmonie. 

Tobias Wolff, Intendant der Oper Leipzig, stellt sein Haus auch in der kommenden Saison wieder breit auf: Neben Barock-Ausgrabungen, dirigiert vom Thomas-Kantor, steht auch eine Lady Macbeth von Mzensk auf dem Programm (dirigiert von Andris Nelsons), außerdem plant Wolff die große Renaissance von Albert Lortzing.

Im Podcast Guten Morgen, Tobias Wolff spricht er über den Wandel des Publikumsgeschmackes und darüber, wie wichtig die Identifikation mit einem Ensemble für die Stadt ist. Wolff stellt die 14-Jahres-Regelung in Frage, nach der Ensemblemitglieder nach 14 Jahren unkündbar übernommen werden müssen.

Außerdem entdeckt der Intendant eine neue Sehnsucht nach Harmonie und Schönheit, gerade bei einer jungen, verunsicherten Generation. Der Wunsch nach Dekonstruktion wandle sich zu einer Sehnsucht nach Klarheit. Hier der Podcast für alle Player, unten für Spotify:

Der aktuelle Podcast mit Thomas Wolff (abonnieren, um keine Folge zu verpassen)

Die wichtigsten Aussagen des Podcasts:   

Über neue Trends an der Opernkasse

»Nach Corona hat die Kurzfristigkeit im Karten-Verkauf zugenommen: die Leute planen nicht mehr im Voraus. Viele Rituale sind ebenfalls weggebrochen, unter anderen die klassische Donnerstag-Abend Lucia di Lammermoor-Repertoire-Vorstellung. Auch eine Carmen ist am Samstag Abend kein Selbstläufer mehr. Viele der Wahrheiten von früher gelten heute nicht mehr. Wir sind auf der Suche nach Neuem und freuen uns, dass andere Programme angenommen werden.«

Über die 14-Jahres-Klausel

»Das Ensemble ist die große Basis für ein Opernhaus. Wir haben aber auch ein Tarif-System, in dem es diese magische Grenze von 14 Jahren gibt (nach denen ein Ensemblemitglied mehr oder weniger unkündbar wird). Diese Regel nützt eher weniger. Sie führt oft dazu, dass man nach 14 Jahren sagt: ‚Jetzt ist Schluss‘. Dabei könnte man gut noch fünf oder sechs Jahre weitermachen. In Österreich ist das anders geregelt – und vielleicht sollten wir darüber auch in Deutschland Mal diskutieren. Grundsätzlich ist es wichtig, Künstlerinnen und Künstler zu halten. Wir haben in Leipzig viele unkündbare Kollegen, die ihre eigenen Fanclubs haben – das darf man nicht vergessen. Diese Treue hat eine eigene Qualität.«  

Über das neue Biedermeier

»Es gibt eine junge Generation, die durch die vielen Ereignisse in der Welt verunsichert ist. Ich hatte das kürzlich beim Graf von Montecristo in der Musikalische Komödie beobachtet: Lauter Biedermeier-Kostüme, und es war ein durchgehend junges Publikum, das hier im Wunsch und in der Sehnsucht nach Schönheit bedient wurde. Früher hatten junge Leute durchaus große Lust an der Dekonstruktion, allmählich weicht diese Lust einer Sehnsucht nach Harmonie und Schönheit. Und dann hat plötzlich eine Produktion, die man selber vielleicht als etwas betulich wahrnimmt, ein  junges, begeistertes Publikum. Da staunt man und weiß gleichzeitig, dass das seine Berechtigung haben muss. Wie heißt es so schön: Schmeiß es nicht weg! Das wird irgendwann Mal wider modern!«

BackstageClassical

BackstageClassical bringt Ihnen Debatten und Nachrichten aus der klassischen Musik. Die Seite ist kostenfrei. Bestellen Sie unseren Newsletter oder unterstützen Sie unseren unabhängigen Musikjournalismus durch Ihre Spende.

Fördern

Artikel auf BackstageClassical sind kostenlos. Wir freuen uns, wenn Sie unabhängigen Klassik-Journalismus fördern.

Mehr aktuelle Artikel

Liebe Anna Netrebko,

In seinem Brief an Anna Netrebko erklärt Axel Brüggemann, warum er es für falsch hält, die Sängerin zu canceln.
Milo Rau in Sturmmaske bei der Pressekonferenz der Wiener Festwochen

Lieber Milo Rau,

als die Welt noch in runden Kreisen drehte, war es gut, dass jemand wie Sie uns hin und wieder aus dem Gleichgewicht geschrien hat. Sie haben die Bühne zum Gerichtssaal und das

Junge Dirigenten unter Druck

In Köln läuft der German Conducting Award. Dirigent Patrick Lange sitzt in der Jury und berichtet live vom Wettbewerb. Ein Podcast über die Zukunft des Dirigentenberufes. 

Lieber Igor Levit,

es ist kein Geheimnis, dass wir noch nie wirklich Freunde waren. Dabei würde ich vieles, was Sie sagen sofort unterschreiben: Kampf dem Antisemitismus. Jawoll! Kampf den Diktaturen. Na logo! Und mehr Ökologie

CDs zu retten ist kein Heldentum

Eine ehemalige BR-Mitarbeiterin will 175.000 CDs des Senders vor der Zerstörung retten. Sie wird als Heldin gefeiert. Dabei ist ihr Kampf so unnütz wie aussichtslos. 

Verramscht die ARD hochwertige Klassik? 

Im Fernsehen ist kaum Platz für Klassik, aber nun starten die ARD-Orchester eine Offensive bei YouTube. Auf Monetarisierung wollen sie dabei verzichten. Darüber müssen wir reden.  

Liebe Kristin Okerlund,

ich kannte Sie nicht, und ich werde Sie leider auch nicht mehr kennenlernen. Sie sind am Freitag gestorben – plötzlich und unerwartet. Und alle, wirklich alle, weinen um Sie: Piotr Beczała, Andreas

Opus-Pokus

Heute mit viel Weltpolitik in der Klassik, mit Strukturfragen zu den Bayreuther Festspielen, GEMA-Gedanken, dem OPUS KLASSIK und lustigen Briefen 

Liebe Anu Tali,

Sie sind sicherlich eine großartige Dirigentin. Ihr Lehrer war Jorma Panula, der finnische Dirigenten-Yoda. Sie haben ein eigenes Orchester gegründet und waren Musikdirektorin in den USA. Warum, zum Teufel, haben Sie zugesagt,