Die Klassik-Glocken, der Krisen-Baum und ein Muskel-GMD

Dezember 22, 2025
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Die Serie Mozart/Mozart (Foto: ARD)

Willkommen in der neuen Klassik-Woche,

heute mit allerhand geltungssüchtigen Kritikern, keiner Überraschung aus Zürich, großem Beethoven-Brimborium und adventlichen Gedanken. Wir machen nach diesem Newsletter eine Weihnachtspause – und ich wünsche Ihnen besinnliche Tage! 

»Prosit Neujahr!« 

Neujahrskonzert der Wiener Philharmoniker mit Zubin Mehta (Foto: Wiener Philharmoniker)

Die Wiener Philharmoniker stehen in der Kritik. Und wie reagieren sie? Indem sie erklären, dass ihre Kritiker Wichtigtuer seien. Na, dann ist ja alles gut! Oder doch nicht? Ich habe aufgeschrieben, warum die Vorstände Daniel Froschauer und Michael Bladerer vielleicht nicht mehr ganz zeitgemäß sind, und warum das Orchester vielleicht ein bisschen gemeinsam bergauf gehen sollte. Derzeit werden die Wiener bei den Salzburger Festspielen ins Abseits gestellt, bekommen Oster-Konkurrenz in Salzburg von den Berliner Philharmonikern, und in Wien werden ihnen auch noch öffentliche Gelder gestrichen. Vielleicht auch deshalb, weil das Orchester nicht mehr das moderne Wien repräsentiert? Wenn der Vorstand nun argumentiert, dass alles super laufe, erinnert das irgendwie an Nokia vor der Markteinführung des iPhones. Na dann: »Prosit Neujahr!«  

Viotti geht nach Zürich

Vor einiger Zeit habe ich im Opernhaus Zürich angefragt, was dran ist, dass Lorenzo Viotti neuer GMD wird – da haben schon alle hinter vorgehaltenen Händen darüber gesprochen. Aber ich wurde mit einem man »wisse von nichts« abgespeist. Als ich dann eine Flasche Champagner als Wetteinsatz ins Spiel brachte, wurde die Wette angenommen. Seit einer halben Stunde ist es nun offiziell: Der Schweizer Dirigent, das Klassik-Model und der Insta-Vater wird neuer Musikchef am Opernhaus Zürich ab August 2028 und damit Nachfolger von Gianandrea Noseda. Ich werde mir die Flasche dann noch in dieser Saison persönlich abholen :-)!  

Beethoven-Brimborium 

Letzte Woche drehte sich alles um Ludwig van Beethoven. Die Beethovenhalle in Bonn wurde eröffnet, und der Komponist Tan Dun bekam den neuen Beethoven Friendship Preis des Beethoven Hauses. Ich habe mich für unseren BackstageClassical-Podcast mit ihm unterhalten: Darüber, wie er zum ersten Mal Beethoven auf den Reisfeldern hörte, wie der Komponist aus Bonn seine Karriere beeinflusst hat, und darüber, dass »Neun«, »Wein« und »Ewigkeit« auf Chinesisch die gleiche Bedeutung haben. Hören Sie die Antwort auf die Frage, warum Beethoven für Tan Dun ein Schamane ist.   

Zur Eröffnung der Beethovenhalle schreibt Guido Krawinkel bei BackstageClassical einen ausführlichen Bericht: »Dirk Kaftan und sein Orchester versprühten mehr Authentizität als so mancher Redner, (…). Doch auch hier war es Kaftan, der die klarsten Töne anschlug . ‚Was soll das?‘, fragte er mit Blick auf die von Pannen und Verzögerungen geprägte Baugeschichte der Halle  – um sie sogleich mit einem entschiedenen ‚Trotzdem!‘ zu beantworten.« Musik gab es auch. Welche, das steht hier

Will der SWR die Deutsche Radio Philharmonie rasieren?

Die Gerüchte kochen schon lange, nun scheinen sie konkret zu werden: Der SWR, ein Meister in Orchester-Fusionen, steht – wie die gesamte ARD – unter Druck. Gespart werden könnte auch an den Klangkörpern. Angeblich steht nun die Deutsche Radio Philharmonie Saarbrücken-Kaiserslautern zur Disposition. Eventuell könnte das Orchester von Josep Pons zu einem Kammerorchester geschrumpft werden. Es existiert bereits eine Protest-Petition. Hätte das Ensemble von Maria Grätzel sich vielleicht etwas früher etwas besser um seine eigene Positionierung kümmern müssen?  Einsparungen soll es wohl auch beim MDR geben: Hier stehen unterschiedliche Kulturprogramme auf dem Spiel. Gegner der Reformen erklären in einem Brief an Intendant Ralf Ludwig, Sendungen, Premierenankündigungen und Kritiken seien »kein Luxus, sondern ein zentraler Bestandteil der kulturellen Öffentlichkeit«, betonen die Initiatoren. Eine Verlagerung ins Digitale sei für viele Hörerinnen und Hörer, insbesondere ältere Menschen, »kein Ersatz für das Radioformat«.

Mozart und kein Ende!

Jeder hat eigentlich alles über die unsägliche Mozart-Serie der ARD geschrieben. Richtig absurd wurde es letzte Woche noch einmal in einer Aussendung der Agentur Spielkind, die ihren Kunden und Partnern lediglich positive Ausschnitte aus Kritiken schickte – selbst in Totalverrissen wurde noch der eine zitierbare Satz gefunden. Derartiger Mozart-Beschiss ist nicht nur unlauter, sondern untergräbt die Glaubwürdigkeit der ganzen Unternehmung. Regisseur Leander Haussmann schrieb auf Facebook: »Was mir Sorgen macht: die Feiglinge aus den Redaktionen, werden sich nun nichts historisches mehr trauen. Um von ihrer, in dieser Serie sichtbaren Defiziten, ihr mangelndes Handwerk, ihre Phantasielosigkeit, ihre Verantwortungslosigkeit gegenüber dem Jugendlichen Cast etc. abzulenken, werden sie sagen: ‚Die Leute wollen es nicht sehen, für sowas kriegen wir keine Quote, die Menschen da draußen wollen lieber Bauer sucht Frau sehen. Das einzige was sie vielleicht, aber auch nur vielleicht lernen werden ist: die Kl ist auch keine verlässliche Größe.« Und wenn wir schon dabei sind: Guido Krawinkel fragt bei BackstageClassical, wie viel Advent eigentlich im Adventprogramm der ARD steckt.

Personalien der Woche

Die einen sagen: Eine politische Entscheidung von Österreichs Kulturminister und Vizekanzler Andreas Babler, andere sagen: »Gute Frau«. Die ehemalige Bildungsministerin und Molekularbiologin Sonja Hammerschmid übernimmt am 1. April die Geschäftsführung der Österreichischen Bundestheaterholding und beerbt damit Christian Kircher. +++ Sabine Meyer, die Klarinettistin, beendet ihre Karriere. Das ist schade. Zeigt aber ihren Perfektionismus. Ich habe ihr einen Brief geschrieben. Und auch Plácido Domingo bekam Post von mir – er singt bald zur Saisoneröffnung in Schladming… wann endet er im Autohaus? Trotzdem: Eine Hommage an eine alte Legende. +++ Und dann habe ich auch noch AfD-Cellist Matthias Moosdorf geschrieben – der hat mal wieder eine Affäre am Hacken! +++  Der Bariton Thomas Johannes Mayer ist im Alter von 56 Jahren gestorben. Er gehörte zu den prägenden Sängern seines Fachs und war vor allem im Wagner- und Strauss-Repertoire international gefragt.

Und wo bleibt das Positive, Herr Brüggemann? 

Ja, wo zum Teufel bleibt es denn? Vielleicht ja hier! Über anderthalb Jahre läuft das Abenteuer BacksstageClassical nun schon – und es wächst und wächst und wächst. Es ist Zeit, mich bei Ihnen zu bedanken, bei allen treuen Leserinnen und Lesern unserer Seite, bei den Hörerinnen und Hörern unserer Podcasts – bei Spenderinnen und Spendern (gern hier entlang), aber auch bei allen, die auf unserer Seite werben (das können Sie hier). Zusammen treten wir immer wieder den Beweis an, dass klassische Musik eine wunderbare, zuweilen auch wundersame Welt ist! Und was hatten wir für Themen: Joe Chialo verließ die Bühne, Wolfram Weimer betrat sie, Leipzig sucht seine Intendantin in merkwürdigen Verfahren, keine Ruhe beim SWR und François-Xavier Roth, überhaupt: die Zukunft der so dringend nötigen öffentlich-rechtlichen Kulturberichterstattung, der Zoff in der GEMA, die überall drohenden Kürzungen an unseren Klassik-Institutionen, ein Krieg mitten in Europa, der auch ein Kulturkampf ist… Man könnte den Kopf in den Sand stecken. Aber, es ist eben auch so unendlich viel Leben da draußen, so viel Begeisterung und Enthusiasmus – so viel Leidenschaft und Bekenntnis! Ich habe die Lebendigkeit der Kunst unter anderem in meinem Ausflug in die Regiewelt mit der Entführung aus dem Serail hautnah erlebt, spüre sie hautnah bei den Open Airs in Bayreuth, bei den Protagonisten der Filme, die ich über die Musik drehe – und natürlich bei so unendlich vielen Gesprächen und Aufführungen, die ich, aber auch die Kolleginnen und Kollegen, die für BackstageClassical schreiben (ihnen allen einen gigantisch großen Dank!), erlebe! 

Allen, die unsere Welt der Musik so aufregend und schön machen, unserer gerade etwas chaotischen Welt ein wenig Menschlichkeit schenken, wünsche ich besinnliche Vorweihnachtstage und ein großartiges 2026, in dem schon wieder so viele Abenteuer auf unseren Kalendern stehen! Dieses ist der letzte Newsletter in diesem Jahr, BackstageClassical wird am 12. Januar zurückkehren. Bis dahin: Genießen Sie die Welt mit Ihren Familien und Lieben, und: halten Sie die Ohren steif.

Herzlich und dankbar

Ihr

Axel Brüggemann    

Axel Brüggemann

Axel Brüggemann arbeitet als Autor, Regisseur und Moderator. Er war als Kulturredakteur und Textchef bei der Welt am Sonntag tätig und schrieb danach für die Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung. Heute veröffentlicht er u.a. im Tagesspiegel, im Freitag, der Jüdischen Allgemeinen oder in der Luzerner Zeitung. Er arbeitet für Radiosender wie den Deutschlandfunk, den WDR oder den HR. Seine Fernsehsendungen und Dokumentationen (für ARD, ZDF, arte oder SKY) wurden für den Grimmepreis nominiert und mit dem Bayerischen Fernsehpreis ausgezeichnet. Brüggemann schrieb zahlreiche Bücher u.a. für Bärenreiter, Rowohlt, Beltz & Gelberg oder FAZ Buch.

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