Brünnhildes Selbstbetrachtung

Oktober 10, 2024
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Wagners Götterdämmerung in Basel, inszeniert von Benedikt von Peter (Foto: Theater Basel, Höhn)

Benedikt von Peters schließt seinen »Ring des Nibelungen« in Basel – vor nicht vollem Haus und etwas ungereimt.

Da sitzen sie nun an einem langen Tisch, die beiden alten weißen Männer und schauen mit leerem Blick ins Publikum. Gerade haben sie sich noch um den aus dem Rheingold geschmiedeten, Weltmacht versprechenden Ring gestritten. Glücklich sehen Wotan und Alberich am Ende dieser Götterdämmerung jedenfalls nicht aus, eher erschöpft und deprimiert. Und auch der Ring ist so unwichtig geworden, dass ihn Wotan vom Finger streift.

Entspannter Regisseur

Wotans verstoßene Tochter Brünnhilde reitet nicht wie in Richard Wagners Vorlage auf ihrem Pferd Grane in ein selbst gelegtes Feuer, sondern hat keine Lust darauf, sich zu opfern. Am Theater Basel steckt sie gemeinsam mit Wotan nur das Modell des Walhalls in Brand. Und schreitet mit den anderen Protagonisten, die überlebt haben, und dem Chor auf die verklärten Schlussklänge in den Zuschauerraum. Ein Neuanfang ist möglich, erzählt dieses starke Schlussbild. Am Ende wird das Finale des Basler Ring des Nibelungen im nicht ausverkauften Theater vom Publikum mit stehenden Ovationen gefeiert. Und Regisseur und Intendant Benedikt von Peter lächelt entspannt ins Publikum.

Wagners Götterdämmerung in Basel, inszeniert von Benedikt von Peter (Foto: Theater Basel, Höhn)

Wie einst der Komponist, der zunächst das Libretto der Götterdämmerung noch unter dem Namen Siegfrieds Tod geschrieben hatte, denkt der Regisseur den Ring vom Ende her. Die von ihm intendierte Emanzipation Brünnhildes von ihrem patriarchalischen Vater Wotan lässt sie zur zentralen Figur im Inszenierungskonzept werden (Co-Regie: Caterina Cianfarini). Eigentlich sollte Brünnhilde zu Beginn der Götterdämmerung noch schlafend im Feuerkranz liegen. In Basel geistert sie mit gerunzelter Stirn auf der dunklen Bühne herum. Dazu eine Stimme aus dem Off: »Wach auf, Brünnhilde.« Brünnhilde betrachtet ihre Familiengeschichte von außen, ist aber auch Teil von ihr.

Logische Brüche

Das sorgt immer wieder für logische Brüche, wenn sie zum Beispiel im ersten Aufzug schon als stumme Figur Siegfrieds Untreue im Liebeswerben um Gutrune (solide: Heather Engebretson) schmerzvoll beobachtet hat, später aber trotzdem jubelt, wenn sie Siegfrieds Horn erschallen hört. Da helfen auch die eingesprochenen Texte nicht weiter, sondern stören vielmehr, weil sie die musikalische Spannung brechen und mit Sätzen wie »Wo bist Du, Siegfried?« und »Wo hat all das begonnen«? allzu küchenpsychologisch daherkommen. Trine Møller versteht es trotzdem, der Figur Dringlichkeit zu verleihen. In der Tiefe fehlt es ihrem schlanken, dennoch tragfähigen Sopran noch an Volumen, aber ihre Rollenzeichnung zeigt viele Nuancen zwischen lyrisch und dramatisch. Eine wehrhafte Frau mit einem reichen Innenleben! 

Das Kriegsvolk ist Partygemeinde (klangvoll: Chor des Theaters Basel/Leitung: Michael Clark), die Gewehre schießen Luftschlangen statt Kugeln. Wie in den vorigen Ring-Teilen schaut immer mal wieder Wotan grinsend vorbei und kehren auch die Riesenpuppen zurück – am Lebendigsten bei Siegfrieds Begegnung mit den Rheintöchtern (perfekt ausbalanciert: Harpa Ósk Björnsdóttir, Valentina Stadler, Sophie Kidwell). Aber auch wenn Siegfried in Begleitung von Drache, Kröte (Alberich) und Wölfen (das Wälsungen-Paar) auf einem echtem Pferd gen Rhein reitet, entfaltet dies große theatralische Wirkung. Szenisch am Stärksten und ganz ungebrochen gelingt Waltrautes Besuch (stark: Jasmin Etezadzadeh) bei Brünnhilde.

Präsentes Orchester

Das liegt auch an der räumlichen Nähe der Sängerinnen. Das im erweiterten, bedeckten Orchestergraben unter der Bühne sitzende Sinfonieorchester Basel (Leitung: Jonathan Nott) ermöglicht diese Präsenz. Die Spielfläche reicht direkt bis zur ersten Zuschauerreihe. Durch ein Gitter gelangt der Klang aus der Tiefe in den Theaterraum. Auf diese Weise kommt die Musik direkt von der Bühne. Die Solisten bewegen sich mitten im oder, besser gesagt, auf dem Orchester. Das fasziniert, zumal auch die Balance dadurch sängerfreundlich ausfällt.

Wagners Götterdämmerung in Basel, inszeniert von Benedikt von Peter (Foto: Theater Basel, Höhn)

Dass der Orchesterklang durch die Positionierung trotz leichter Verstärkung an Plastizität und Klangfarben verliert, ist einkalkuliert in das Regiekonzept. Leider stimmt es am Premierenabend häufig im Detail nicht. Schon der allererste Einsatz ist nicht zusammen. Selbst Hits wie Siegfrieds Trauermarsch werden rhythmisch nicht präzise genug musiziert. Dafür zaubern die Holzbläser und singen die Celli. Und Jonathan Nott bringt Wagners Musik zum Fließen. Immerhin.   

Weitere Termine „Götterdämmerung“: 10./15./20./26.10. 2024 Ganzer „Ring“: 20./21./23./25. Mai, 4./5./7./9. Juni 2025. Tickets unter  www.theater-basel.ch oder tel. unter 0041 61 2951133

★★☆☆☆

Georg Rudiger

Georg Rudiger hat Musikwissenschaft, Geschichte und Germanistik in Freiburg und Wien studiert. Er beobachtet von Freiburg aus das Musikleben im Südwesten Deutschlands, der Schweiz und dem Elsass - als fester Freier für die Badische Zeitung, überregional u.a. für die Neue Zürcher Zeitung, neue musikzeitung und Der Tagesspiegel. Er ist bei wichtigen Musikfestivals und Opernpremieren (Jurymitglied der Opernwelt), gelegentlich auch Rock- und Jazzkonzerten.

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