BRSO-Manager kritisiert »Süddeutsche Zeitung«  

April 17, 2025
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BRSO-Manager Nikolaus Pont (Fotos: BRSO, Collage BC)

Nikolaus Pont kämpft mit einem Brandbrief gegen weniger Kritiken bei der »Süddeutschen Zeitung«. Das ist verständlich – wird aber kaum reichen. Eine Einordnung.

English summary: Nikolaus Pont, manager of the BRSO, criticizes the Süddeutsche Zeitung for cutting classical music reviews, calling the move alarming. While his protest is understandable, it’s unlikely to reverse a broader trend: declining interest in cultural criticism, shrinking newspaper budgets, and a shift of music journalism to new, digital platforms where fresh forms of engagement are thriving.

Der Manager des BRSO, Nikolaus Pont, schreibt einen Brandbrief an Kolleginnen und Kollegen im Kulturbetrieb, in dem er beklagt, dass die Süddeutsche Zeitung immer weniger Kritiken über das Orchester veröffentlichen würde. »Ich habe Ende letzter Woche gehört (…)«, heißt es, »dass auf hohen Unternehmensebenen des Süddeutschen Verlags kürzlich beschlossen wurde, (…) nur mehr vier bzw. sechs (hier unterschieden sich die Berichte geringfügig) Konzerte in München pro Monat (!) in Feuilleton oder München-Kultur rezensieren zu lassen.«

Podcast mit dem Intendanten des BRSO über die Zukunft der Klassik-Kritik und seinen Brandbrief

Pont hält »diese Entwicklung – auch hinsichtlich des Musikstandorts München – für alarmierend« und fordert zum Protest auf. Er schreibt: »Vielleicht wollen Sie sich meiner Absicht anschließen, in der nächsten Zeit möglichst viele Menschen in Ihrem Umfeld zu informieren bzw. zu sensibilisieren – es wird sicherlich nicht schaden, wenn sich die Enttäuschung über diese Entscheidung in einer entsprechenden Anzahl von Leserbriefen widerspiegelt.«

Auch andere Blätter kürzen

Das Schreiben ist verständlich, auf der anderen Seite aber auch die angeblichen Pläne der Süddeutschen Zeitung. Sie ist ein reines Privatunternehmen, in dem Entscheidungen natürlich auch nach wirtschaftlichen Kriterien gefällt werden müssen. In den letzten Jahren haben bereits viele Zeitungen – regionale und überregionale Blätter – ihre Kulturberichterstattung (und vor allen Dingen ihre Rezensionen) zum Teil dramatisch zurückgefahren. Bei vielen Zeitungen sind die Sparmaßnahmen noch viel radikaler ausgefallen: Manche regionalen Zeitungen haben gar keine eigenständigen Kulturredaktionen mehr, selbst die FAZ hat die Anzahl ihrer fest angestellten Klassik-Redakteure in den letzten 10 Jahren verringert. 

Das Lucerne Festival hat sich in einer Online-Debatte um die Zukunft der Kritik gekümmert.

Kritiken – das zeigen alle Umfragen bei Leserinnen und Lesern – werden kaum noch konsumiert. Kaum ein anderes Genre der Zeitung hat größere Streuverluste: Wenn es hoch kommt, wird das Feuilleton in einer überregionalen Zeitung von 15 Prozent der Leserinnen und Leser gelesen, davon wiederum ist der Anteil jener, die Klassik-Berichte lesen, verschwindend klein. Selbst in einem überregionalen Blatt kann es sein, dass eine Rezension gerade Mal 10.000 Leserinnen und Leser erreicht – wenn überhaupt. 

All das ist verlegerisch natürlich vollkommen unrentabel, und die Zeiten, in denen sich Zeitungen Rezensionen »geleistet« haben, um zu beweisen, dass sie von klugen Köpfen gemacht und für kluge Köpfe gedacht sind, sind zum großen Teil vorbei. Und das wohl unwiderruflich. Ich habe in meinem Buch Die Zwei-Klassik-Gesellschaft ausführlich aufgeschrieben, warum der Musikjournalismus sich dennoch nicht auflöst, sondern nur neue Formen und Orte sucht, und warum investigativer Journalismus in der Musik und Rezensionen sich sehr wohl noch behaupten (hier das entsprechende Kapitel zum kostenlosen Nachlesen). BackstageClassical ist übrigens eines der Produkte, die aus diesen Gedanken heraus entstanden sind. Und auch Seiten wie das VAN Magazin oder Nachtkritik sind erfolgreich, außerdem haben einige Klassik-Institutionen sich bereits selbst eigene, kritische Formate aufgebaut.

BRSO hat Rückendeckung des Bayerischen Rundfunks

Es ist richtig, wenn Nikolaus Pont seine Mitstreiterinnen und Mitstreiter über das Verschwinden der Kritik sensibilisieren will. Es ist aber auch wichtig – für den Klassik-Betrieb insgesamt – nicht allein den Verlagen (oder in diesem Fall der Süddeutschen Zeitung) die Schuld daran zu geben, dass sie die Klassik-Kritiken vernachlässigen. Der wahren Grund, dass Kritiken nicht gelesen werden ist nicht, dass weniger gedruckt werden, sondern das mangelnde Interesse der Leserinnen und Leser. Die Redaktionen reagieren lediglich auf die gesunkene Nachfrage. Mit anderen Worten: Mittelfristig müssen sich Orchester, Konzertveranstalter und Programmplaner, aber auch Bildungspolitiker fragen, warum ihre Kunst immer weniger zur öffentlichen Debatte im Feuilleton taugt. 

Ich will die Süddeutsche hier gar nicht in Schutz nehmen. Ich persönlich finde, dass ihr Feuilleton-Verfall sich eher an der mangelhaften Qualität einiger Kritiken im Blatt und am zuweilen merkwürdigen, undistanzierten Fankult einiger Redakteure gegenüber  Künstlerinnen und Künstlern ausdrückt. Und man könnte weiter fragen: Was ist aus der Kulturberichterstattung im Spiegel geworden? Aber, hey: Ich bin Konsument – und habe alle Freiheit, das Angebot der Zeitung nicht in Anspruch zu nehmen. 

Dass ausgerechnet Pont jetzt den Protest gegen die große Süddeutsche inszeniert, mag auch daran liegen, dass er es sich leisten kann. Er steht einem Orchester vor, das sich über Rückhalt in den Medien grundsätzlich nicht beschweren kann. Kaum ein anderes bayerisches Orchester hat eine derartige Medienpräsenz wie das BRSO. Der Bayerische Rundfunk – allen voran BR Klassik – ist eine einzige Werbeplattform für Simon Rattle und sein Orchester. Kaum ein anderes Ensemble wird so prominent und kritiklos angekündigt und medial begleitet wie das BRSO. 

Die Zukunft spielt an neuen Orten

Andere Orchester sind weitaus mehr auf die mediale Begleitung in ihren regionalen Zeitungen angewiesen als das BRSO. Und vielleicht ist es gut, dass Pont mit seinem Brief auch in ihrem Sinne spricht. Was seine Position allerdings ein wenig schwächt ist, dass selbst der öffentlich-rechtliche Rundfunk, aus dem Pont kommt, von rbb bis zum mdr, in Sachen Klassik ebenfalls auf dem Rückzug ist (diese Debatte haben wir ebenfalls in einem ausführlichen Essay beschrieben). Fordert Pont also etwas von den privat finanzierten Medien, was die öffentlich-rechtlichen Sender, zu denen er und sein Ensemble gehören, selber nicht einlösen? Egal: Die Debatte ist wichtig. 

Zweiter Teil der Lucerne-Debatte unter anderen mit Franz Welser-Möst.

Es ist die Aufgabe eines Orchestermanagers, sich über den Abbau der Kritik im Feuilleton zu ärgern und eventuell sogar Protest zu organisieren. Die Vergangenheit zeigt allerdings, dass derartige Proteste relativ erfolglos waren. Die Kulturlobby ist zu klein, um marktwirtschaftliche Geschäftsstrategien von Verlagen ernsthaft umzukehren. Was die Süddeutsche plant, haben viele andere Zeitungen längst umgesetzt. Und die Süddeutsche wird es auch tun. Weil ihr Geschäft auch ohne Klassik schon schwer genug ist.

Und vielleicht lohnt es sich in Zukunft mehr für Nikolaus Pont und seine Mitstreiter, zu akzeptieren, dass die Kritik sich längst andere Orte gesucht hat. Dass die Klassik-Berichterstattung nicht verschwindet, sondern andernorts vollkommen neue (und oft sehr spannende) Formen gefunden hat. Dass die Nische in Wahrheit floriert, dass die Debatten über Kunst, Kultur und Ästhetik nicht mehr hauptsächlich im Feuilleton von Tageszeitungen stattfinden, sondern an Orten, in denen sich der Musikjournalismus meinungsstark, publikumsnah und zuweilen sogar lukrativ aufgestellt hat. Die Konzertkritik weiterhin auf Teufel komm raus in den Tageszeitungen verankern zu wollen, ist vielleicht unzeitgemäß geworden, und der Kampf um Aufmerksamkeit im Feuilleton vielleicht schon jetzt verloren. Fakt ist: Die Klassik befindet sich überall in einem brutalen Wandel. Privat finanzierte Medien, kreative Journalisten und auch aufgeschlossene Musikerinnen und Musiker haben ihn längst vollzogen: das Morgen hat längst begonnen und macht viel mehr Spaß als dem Gestern weiter hinterher zu trauern!     

Axel Brüggemann

Axel Brüggemann arbeitet als Autor, Regisseur und Moderator. Er war als Kulturredakteur und Textchef bei der Welt am Sonntag tätig und schrieb danach für die Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung. Heute veröffentlicht er u.a. im Tagesspiegel, im Freitag, der Jüdischen Allgemeinen oder in der Luzerner Zeitung. Er arbeitet für Radiosender wie den Deutschlandfunk, den WDR oder den HR. Seine Fernsehsendungen und Dokumentationen (für ARD, ZDF, arte oder SKY) wurden für den Grimmepreis nominiert und mit dem Bayerischen Fernsehpreis ausgezeichnet. Brüggemann schrieb zahlreiche Bücher u.a. für Bärenreiter, Rowohlt, Beltz & Gelberg oder FAZ Buch.

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