»Aus Excel-Tabellen wird jetzt Kunst«

Juli 14, 2025
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Die Intendantin der Bregenzer Festspiele, Lilli Paasikivi (Foto: Bregenzer Festspiele / Koehler)

Lilli Paasikivi ist die neue Intendantin der Bregenzer Festspiele. Wie geht sie mit den Subventionskürzungen von 30 Prozent um, was macht sie anders als Ihre Vorgängerin und was bringt sie aus Finnland mit?

English summary: Lilli Paasikivi, new artistic director of the Bregenz Festival, faces a 30% subsidy cut but remains optimistic. She uses reserves and had to cancel some future collaborations, yet continues planned premieres. Unlike her predecessor, she introduces Nordic influences, cross-genre projects, and tech experiments from her time in Finland, like immersive sound and motion capture. A former mezzo-soprano, she values storytelling, emotional impact, and young talent. Though challenges like budget cuts and outdoor logistics test her, she embraces the role with passion, bringing fresh energy to the festival.

Am Mittwoch beginnen mit der Premiere von Georges Enescus Oper Oedipe die 79. Bregenzer Festspiele. Wie geht es Ihnen so kurz davor? 

Nervös bin ich nicht, sondern voller Erwartung und Enthusiasmus. Seit Dezember 2022, als ich nominiert wurde, habe ich mit der Programmplanung begonnen. Aus Excel-Tabellen wird jetzt Kunst. Überall wird geprobt, überall blüht die Musik. 

Bringen wir die schlechten Nachrichten schnell hinter uns: Mitten in die Aufbruchsstimmung ihrer Intendanz kam ein massiver Dämpfer. Die Subventionen der Bregenzer Festspiele werden ab dieses Jahr um 30 Prozent gekürzt. Sie haben 2025 und 2026 jeweils 2,1 Millionen Euro weniger zur Verfügung. Wie gehen Sie damit um?

Das war für uns natürlich eine große Enttäuschung. Wir haben Rücklagen erwirtschaftet, die wir jetzt zum Teil aufbrauchen werden. Leider mussten wir auch die frisch vereinbarte, fünfjährige Zusammenarbeit mit dem Wiener Burgtheater für die nächsten zwei Jahre absagen. Die Entscheidung hat also direkte Folgen auf unser Programm. Dieses Jahr kann die geplante Uraufführung von bumm tschak oder der letzte henker aber noch stattfinden. 

Ziemlich viel Caspar David Friedrich in Bregenz (Foto: Bregenzer Festspiele)

Wo mussten Sie noch einsparen? 

Wir wollten das Soundsystem auf der Seebühne weiter verbessern, aber das haben wir jetzt verschoben. Ab nächstes Jahr müssen wir jede einzelne Produktion anschauen, weil wir lange im Voraus planen. Die Meldung kam so spät, dass unsere Reaktionsmöglichkeiten für 2025 begrenzt sind. 

Die Bregenzer Festspiele sind seit vielen Jahrzehnten eine Erfolgsgeschichte. Sind Sie engagiert worden, um das Bewährte fortzusetzen oder um Veränderungen zu bewirken? 

Die Grundlagen und der Charakter der einzelnen Spielorte bleiben. Ich möchte nicht ändern, was gut funktioniert. Das Opernstudio, das Elisabeth Sobotka ins Leben gerufen hat, führen wir ebenfalls weiter. Im nächsten Jahr werde ich einige neue Projekte einführen. Ich möchte hier gerne auch spartenübergreifende Produktionen präsentieren, die man sonst nicht in Vorarlberg zu sehen bekommt. 

Experimente made in Finnland

In Finnland haben Sie zehn Jahr die Finnische Nationaloper in Helsinki geleitet und hier auch mit Virtual Reality gearbeitet. Wie sah das konkret aus? Gab es Inszenierungen, die nur mit VR-Brille erlebt werden konnten? 

Wir hatten ein mehrjähriges Entwicklungsprojekt Opera beyond mit einer besonderen, externen Finanzierung – damit konnten wir experimentelle Produktionen machen. Für Laila von Esa-Pekka Salonen haben wir den Fedora Digital Prize gewonnen. Ich bin interessiert an allen neuen Technologien für die Bühne. Die VR-Brillen sind nicht die einzige Lösung. Immersiver Klang, Motion Capture, mit dem man menschliche Bewegungen mittels KI auf 3D-Modelle übertragen kann – da gibt es eine Fülle spannender Entwicklungen. Davon werden wir einiges in den Folgejahren zu sehen bekommen. Und zwar auf der Werkstattbühne, unser Laboratorium. Wichtig ist, dass die Technologie nicht zum Selbstzweck wird, sondern man sie in den Dienst der Kunst stellt. 

Zur Person: Lilli Paasikivi (Jahrgang 1965) stammt aus Karelien, dem nah an der Grenze zu Russland liegenden Teil Finnlands. Nach dem Gesangsstudium in Stockholm und London war sie als Mezzosopranistin von 1998-2013 Ensemblemitglied der Finnischen Nationaloper in Helsinki. Die Finnin gründete zwei Musikfestivals und leitete als Intendantin von 2013 bis 2023 die Finnische Nationaloper. Als Nachfolgerin von Elisabeth Sobotka ist sie nun die neue Intendantin der Bregenzer Festspiele.

Sie haben eine große Karriere gemacht als Mezzosopranistin. Singen Sie noch? 

Nein. Ich hatte meine letzte große Opernpartie im Juni 2024 bei einer Uraufführung in Finnland. Ganz von der Bühne habe ich mich dann mit Gustav Mahlers 8. Symphonie unter Jukka-Pekka Saraste verabschiedet. Dann dachte ich: Halleluja, das ist das Ende. Nun kann ich mich zu hundert Prozent auf meinen neuen Job als Intendantin konzentrieren. Alles hat seine Zeit. Als Person bin ich aber immer noch eine Sängerin – egal, ob ich singe oder nicht. Deshalb finde ich es so schön, hier mit den jungen Sängerinnen und Sängern zu arbeiten wir bei La Cenerentola. Da kann ich meine große Erfahrung weitergeben, auch in Sachen Musikbusiness, Vermarktung, Verträge etc. 

Nerven wie Drahtseile

Was hat Sie überhaupt daran gereizt, Kulturmanagerin zu werden?

Ich war schon als Sängerin breit interessiert am großen Ganzen, an Organisationen und Leitungsmodellen. Dann habe ich in Finnland ein Sommerfestival gestartet. Dort habe ich gesungen, Programme geplant, produziert, Blumen für Künstler gekauft, Hemden gebügelt. Mein Mann kochte das Essen für alle. Das war eine gute Schule. Als ich gefragt wurde, ob ich die Leitung der Finnischen Nationaloper übernehmen möchte, habe ich die Chance ergriffen. Nach allen wunderschönen Rollen – Rosina, Octavian, Carmen, Amneris, Kundry, Fricka und so weiter – gefällt mir in der jetzigen Lebensphase die Rolle der Intendantin am besten. 

Inwiefern profitieren Sie als Intendantin von Ihrem früheren Beruf? Haben Sie bessere Nerven als andere? 

Natürlich kenne ich die Bühnensituation – und kenne mich auch mit Künstlerseelen aus. Aber vieles, mit dem ich mich hier rund um die Oper auf der Seebühne beschäftigen muss, ist absolutes Neuland: Wasserqualität, Wettervorhersagen, Fische im Bodensee, Vögel. Ich habe jeden Abend Taucher im Wasser. Man muss als Intendantin wirklich Nerven wie Drahtseile haben – und Geduld. Nichts muss sofort gelöst werden. 

Vom Land der Tausend Seen sind Sie nun an den Bodensee gekommen. Was gefällt Ihnen an der Gegend und an den Menschen? 

Ich liebe diese Gegend – sei es Vorarlberg, die Schweiz ist oder der Bregenzerwald, Lindau, Meersburg oder die Mainau. Ich schwimme im Bodensee, fahre täglich mit dem Fahrrad zur Arbeit und wandere auf dem Pfänder. Neben der großartigen Natur gibt es viel Kultur zu erleben in den Städten am Bodensee. Die Menschen hier sind ähnlich bodenständig wie in Finnland, aber noch ein bisschen lustiger als die Finnen. Ich fühle mich wirklich wohl hier. 

Die Bregenzer Festspiele (Foto: Köhler)

Der Freischütz im letzten Jahr hatte die unglaubliche Auslastung von 100 Prozent (hier die BackstageClassical-Rezension). Die Erfolgsproduktion in der Inszenierung von Philipp Stölzl wurde noch von Ihrer Vorgängerin Elisabeth Sobotka verantwortet. Gibt es 2025 weiteres im Programm, das noch von ihr geplant wurde? 

Der Freischütz für Kinder, den wir im März gespielt hatten, war auch noch eine Produktion von Elisabeth. Alles andere habe ich kuratiert. Dass ich mit der Seebühne noch ein Jahr warten muss, ist für mich kein Problem. So können wir La Traviata, die nächstes Jahr Premiere hat, gründlich vorbereiten. 

Nordische Perspektive

Welche eigenen Schwerpunkte möchten Sie in Ihrer ersten Spielzeit setzen? 

Mit der nordischen Perspektive kann ich etwas Neues mitbringen. Meine Heimat Finnland ist im Programm deutlich erkennbar. Es gibt finnische Dirigenten wie Hannu Lintu, der Oedipe dirigieren wird, und Jukka-Pekka Saraste, der mit der Kullervo-Symphonie von Jean Sibelius ein Werk vorstellt, das auf dem finnischen Nationalepos Kalevala basiert. Wir werden auch am 11. August einen finnischen Tangoabend am See veranstalten. Ich möchte die Bregenzer Festspiele gerne zu einem Festival der Gesangskunst machen. Auch Chöre werden eine Rolle spielen wie der YL Male Voice Choir, der in der Kullervo-Symphonie mitwirkt und in einem eigenen Konzert ein A-Cappella-Programm mit finnischer Chormusik präsentiert. Schließlich möchte ich Tanz als einen Teil von Multi-Art-Form-Projekten in Bregenz etablieren. Von meinem Landsmann Tero Saarinen präsentieren wir mit Borrowed Light und Study for Life, das sich mit dem Werk Kaija Saariahos beschäftigt, zwei Choreographien. 

Das antike Drama Ödipus wurden schon auf unterschiedlichste Weise künstlerisch bearbeitet. Was ist für Sie das Besondere an Enescus Oedipe?

Wir haben mit den Wiener Symphonikern ein großartiges Orchester vor Ort. Enescus Partitur ist im Orchesterpart so farbenreich und vielfältig, dass ich mich jetzt schon darauf freue, wie gewaltig diese Musik mit ihren rumänischen Untertönen und dem symphonischen Zuschnitt klingen wird. Unser Regisseur Andreas Kriegenburg hat für die vier Akte ganz unterschiedliche Bildmotive gefunden. Diese visuelle Präsenz tut der Oper sehr gut. Ich hatte seinen Ring des Nibelungen in München gesehen und war begeistert, wie eng er die Musik mit der Szene verknüpft. Das sieht man jetzt auch in seinem Oedipe

Sie haben im Vorwort zum Festivalbroschüre gesagt, dass Sie mit dem Programm Geschichten erzählen möchten. Ist Verständlichkeit Ihre wichtigste Maxime als Intendantin?

Die Stoffe, die wir präsentieren, sollen das Publikum berühren und die Fantasie anregen. Storytelling ist ganz wichtig für mich – auch im Kleinen wie bei Emily – no prisoner be mit Joyce DiDonato, Peter Maxwell Davies‘ Songs for a mad king oder die im gleichen Konzert programmierte Uraufführung von Farmer George über denselben König George III. 

Berühren durch Geschichten

Es darf also nicht zu abstrakt werden? 

Das ist nicht die Frage. Tero Saarinen ist in seiner Bühnensprache ganz minimalistisch und einfach, aber immer sehr wahr. Es geht bei ihm um die Urkraft des Tanzes: Intensität und echte Emotionen.  Wir müssen dem Publikum etwas vermitteln. 

Was macht Ihnen am meisten Spaß am neuen Job? 

Die Vielseitigkeit der Aufgabe. Und der Kontakt mit den Künstlern und dem Publikum. Was wir machen, ist den Menschen wichtig. Ich kann in dem Bereich arbeiten, der meine große Leidenschaft ist. Deshalb fühlt sich die Arbeit nicht nach Arbeit an. 

Und worauf könnten Sie verzichten? 

Wenn sich Umstände schnell verändern wie mit den kurzfristig beschlossenen Sparauflagen. Ich verstehe natürlich, dass die wirtschaftliche Situation in ganz Europa schwierig ist, aber für unsere Planung wäre es natürlich viel leichter gewesen, wenn wir früher informiert worden wären. Es ist nie so, dass alles ohne Probleme läuft. Überraschungen gehören dazu, auch kurzfristige Absagen. Eine Lösung haben mein Team und ich aber bisher immer gefunden. 

Die Bregenzer Festspiele beginnen am 16.Juli. und enden am 17.August.2925

Georg Rudiger

Georg Rudiger hat Musikwissenschaft, Geschichte und Germanistik in Freiburg und Wien studiert. Er beobachtet von Freiburg aus das Musikleben im Südwesten Deutschlands, der Schweiz und dem Elsass - als fester Freier für die Badische Zeitung, überregional u.a. für die Neue Zürcher Zeitung, neue musikzeitung und Der Tagesspiegel. Er ist bei wichtigen Musikfestivals und Opernpremieren (Jurymitglied der Opernwelt), gelegentlich auch Rock- und Jazzkonzerten.

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