Opus-Pokus

Oktober 13, 2025
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Das Konzerthaus in Berlin (Foto: ZDF)

Willkommen in der neuen Klassik-Woche,

heute mit viel Weltpolitik in der Klassik-Welt, mit Strukturfragen zu den Bayreuther Festspielen, GEMA-Gedanken, dem OPUS KLASSIK und lustigen Briefen 

Weltpolitik und Musik I – Venezuela

Friedensnobelpreisträgerin Maria Corina Machado

María Corina Machado ist neue Friedensnobelpreisträgerin! Eine Wahl, die auch die Klassik bewegt: Die Pianistin Gabriela Montero ist schon als Jugendliche mit ihr gemeinsam zum Vorspiel gegangen und hat Machado auch gegen Nicolás Maduro unterstützt, bevor ihre Freundin von den Wahllisten verschwand. Beide dürften einen ähnlichen Blick auf ihren Landsmann, den Dirigenten Gustavo Dudamel, haben, der jahrelang Teil der Kulturpropaganda des Systems von Hugo Chávez und seines Nachfolgers Nicolás Maduro war. Dudamels Distanzierung vom Regime kam sehr spät, blieb sehr vage und wirkt bis heute eher strategisch. »Unser größter Wunsch als Freundinnen ist nun, dass wir uns einmal bei einem Konzert in Venezuela treffen und uns endlich wieder umarmen können«, sagte Montero dem NDR über eine eventuelles Wiedersehen mit Nobelpreisträgerin Machado. 

Bayreuther Festspiele 2028 zahlungsunfähig?

Derzeit geistert ein erstaunlicher Satz durch das Bayreuther Festspielhaus: »Es könnte sein, dass die Bayreuther Festspiele 2028 spielunfähig sind.« Und es ist etwas dran an dieser Angst. Die Festspiele haben durch die anstehenden Tarifsteigerungen jährlich rund 1,2 Millionen Euro Mehrausgaben – und es ist unsicher, ob diese Summe von den Gesellschaftern gedeckt werden kann. Das Land Bayern will zahlen, kann aber nicht, wenn der Bund nicht mitzieht (und der bekennt sich noch nicht). Außerdem steht dem Ausgleich der Tarifkosten die Gesellschafterstruktur im Wege: Wird die Gesellschaft der Freunde der Bayreuther Festspiele bereit sein, auf seinen Einfluss zu verzichten? Ich habe mir die Situation in dieser Recherche mal genau angeschaut.      

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Briefe von Brüggi…

In meiner Zeit als Textchef bei der Welt am Sonntag war ich auch für die Post von Wagner zuständig, die wir neben der BILD ebenfalls gedruckt haben. Meist diktierte Franz Josef Wagner mir seine Texte direkt vom Tennisplatz ins Telefon: Mal waren sie gaga, mal genial. Nun ist Wagner tot. Niemand kann ihn ersetzen, aber wir können eine Tradition weiterführen: Um 6:00 an jedem Wochentag wird BackstageClassical auf der Startseite einen neuen Brief von Brüggi bringen: Kurz, pointiert und zutiefst subjektiv. Diese Woche habe ich bereits Joe Chialo, Michael Barenboim, Beatrice Venezi und BR Klassik geschrieben. Schauen Sie nach dem Aufstehen doch mal vorbei (am besten bookmarken Sie BackstageClassical auf Ihrem Handy: Einfach im Handy-Browser auf die Seite gehen, unten auf den Pfeil, dann »zum Home Bildschirm« hinzufügen – und schon nutzen Sie unsere Seite wie eine App).

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War Bach Antisemit und Mozart ein Frauenfeind? 

Erst hat die Edition Critical Classics rund um Leyla Ercan sich Mozarts Zauberflöte vorgenommen und Texte wie Monostatos‘ Worte  »Weil ein Schwarzer hässlich ist«, oder »Ein Weib tut wenig, plaudert viel« geändert. Nun ist eine neue Version mit Bachs Johannes-Passion erschienen: Statt »die Juden« ist von »die Priester« die Rede, wenn es um die Kreuzigung Jesu geht. Ein Thema, das kommende Woche sicherlich einen Brief Wert ist. Sind derartige Textpassagen in der Oper am Ende nicht genau jene Fragen, die sich ein Regieteam selber stellen muss (es könnte ja auch eine Antwort sein, dass Mozart als einer der ersten überhaupt das Leid einer schwarzen Person auf die Bühne brachte, der er darüberhinaus auch noch wunderschöne Musk schenkte). Was denken Sie?

Weltpolitik und Musik II – Georgien

Der georgische Opernsänger und Oppositionspolitiker Paata Burchuladze ist in Tiflis festgenommen worden. Das teilte Vizeinnenminister Aleksandre Darakhvelidze mit. Burchuladze wird gemeinsam mit weiteren vier Mitgliedern des »October 4 Protest Organizing Committee« beschuldigt, zur gewaltsamen Übernahme der Staatsgewalt aufgerufen sowie Gruppen-Gewalt organisiert und angeführt zu haben. Im Falle einer Verurteilung drohen bis zu neun Jahre Haft. Burchuladze bezeichnete die Wahlen als »betrügerisch« und setzt auf eine Wiederaufnahme des EU-Dialogs. Mehr hier.

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Wie geht es weiter mit der GEMA? 

Im Mai 2025 scheiterte die GEMA-Reform zur Abschaffung der E-/U-Musik-Trennung. Federführend für den Protest war der Komponist Moritz Eggert. Bei BackstageClassical schreibt er nun noch einmal ganz ausgeruht und ausführlich auf, was eigentlich passiert ist – und wie eine Lösung in Zukunft aussehen kann. Eggert fordert, dass Komponisten beider Bereiche (E und U) sich solidarisch für gerechtere Verteilung in der GEMA einsetzen und wirbt für einen offenen Reformprozess statt einer schnellen Umverteilung. 

Weltpolitik und Musik III – die USA

Die ICE-Truppen von Donald Trump hatten den koreanischstämmigen Geiger John Shin festgenommen und 17 Tage lang in Abschiebehaft gesteckt. Er wurde gegen eine Kaution von 25.000 Dollar freigelassen. Nun hat die Regierung auf eine Berufung gegen die Einstellung des Verfahrens verzichtet – Shin ist frei und will in den USA bleiben. Ein Beispiel für die neue Polizei- und Behörden-Willkür in den USA. Es zeigte die ganze Absurdität unserer Welt, dass María Corina Machado ihren Friedenspreis ausgerechnet Trump gewidmet hat. 

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Personalien der Woche

Finalmente! Nach 13 Jahren Bauzeit und massiven Kostenüberschreitungen sollen die Kölner Bühnen im kommenden Jahr ihre regulären Häuser am Offenbachplatz wieder beziehen. Mittlerweile rechnet die Stadt Köln mit Gesamtkosten von rund 1,5 Milliarden Euro – inklusive der Zinsen für Kredite und der Ausgaben für Interimsspielstätten wie das Carlswerk in Mülheim. +++ Zwölf Nachwuchsdirigentinnen und -dirigenten treten vom 14. bis 20. Oktober 2025 in Köln beim Internationalen German Conducting Award gegeneinander an. Der vom Forum Dirigieren des Deutschen Musikrats ausgerichtete Wettbewerb findet zum fünften Mal in Partnerschaft mit Kölner Philharmonie, Oper Köln, Gürzenich-Orchester und WDR Sinfonieorchester statt. +++ Der Vertrag der kaufmännischen Direktorin der Gesellschaft der Musikfreunde in Wien, Renate Futterknecht, ist bis Ende Februar 2031 verlängert worden.

Und wo bleibt das Positive, Herr Brüggemann?

Ja, wo zum Teufel bleibt es nur? Vielleicht ja hier: Man kann die Glotze auch ausgeschaltet lassen! Bereits letzte Woche haben wir eine Kritik und eine Verteidigung des ZDF Klassik-Programms veröffentlicht. Gestern gab es nun die Fortsetzung: Den Opus-Klassik. Das Positive ist, auf das ZDF ist Verlass! Wenn das, was da zu sehen war, das Bild der Klassik im Jahre 2025 spiegelt, müssen wir uns nicht wundern, dass die Leute da draußen uns für ein bisschen bekloppt halten. Die Generation X und die Boomer kennen Desirée Nosbusch aus dem Kinderfernsehen, heute würden wir gern eine Oma haben wie sie: Sie hakt sich bei den Künstlern etwas übergriffig unter, tätschelt, liebt und lobt jeden, dass man sich wieder an den dicken und feuchten Kuss der Großmutter auf die Wange erinnert, und sie presst sich sogar eine Träne aus dem Auge. Wie in den letzten Jahren gab es vollkommen spaßbefreites Fremdschämen in den Fabian Köster-Einspielern (bei Benjamin Bernheim: »Warum bist Du Sänger, hattest Du kein Geld für ein Instrument?«, oder bei einem Tanz mit vollkommen durchgeknallten Open-Air-Zuschauerinnen bei der Lautten Compagney).

Wenn es kein anderer macht, rollen sie sich eben selber den roten Teppich aus: Die »Mover und Shaker« der Phonoindustrie beim Opus Klassik. (Foto: Facebook, Opus Klassik)

Was für ein Opus-Pokus! Das »Klassentreffen der Klassik« ist endgültig in die Jahre gekommen, allein die Schwenks ins Publikum zeigen den Zustand unserer Branche: Allerhand ziemlich hilflose Plattenfirmen-Leute, die den Opus absitzen wie den Heiligen Abend neben der Schwiegermutter und auf die Party danach warten (wie heißt es auf der Opus-Seite: »Nach Konzertende sind die Besucher*innen zu einem Empfang mit einer großen Auswahl an Getränken und einigen herzhaften Kleinigkeiten in den Sälen des Konzerthauses eingeladen.«) Der kriselnde Aufnahmemarkt und das kriselnde Klassik-Fernsehen inszenieren ihre ganze Hilflosigkeit mit unnötig hilflosen Kamerafahrten, einer schrecklichen Tonmischung und ziemlich abrupten Schnitten. Der Dirigentin Anu Tali habe ich dazu einen etwas ausführlicheren Brief geschrieben. Ach so, wo das Positive bleibt? Zum Glück sieht die echte Klassik da draußen längst ganz anders aus als diese aus der Zeit gefallene Hilflos-Sendung.  

In diesem Sinne: Halten Sie die Ohren steif

Ihr

Axel Brüggemann

Axel Brüggemann

Axel Brüggemann arbeitet als Autor, Regisseur und Moderator. Er war als Kulturredakteur und Textchef bei der Welt am Sonntag tätig und schrieb danach für die Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung. Heute veröffentlicht er u.a. im Tagesspiegel, im Freitag, der Jüdischen Allgemeinen oder in der Luzerner Zeitung. Er arbeitet für Radiosender wie den Deutschlandfunk, den WDR oder den HR. Seine Fernsehsendungen und Dokumentationen (für ARD, ZDF, arte oder SKY) wurden für den Grimmepreis nominiert und mit dem Bayerischen Fernsehpreis ausgezeichnet. Brüggemann schrieb zahlreiche Bücher u.a. für Bärenreiter, Rowohlt, Beltz & Gelberg oder FAZ Buch.

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