Lieber Harald Schmidt,

Oktober 22, 2025
1 min read
Harald Schmidt in Graz (Foto: Ingo Pertramer)

es gibt weit und breit keinen deutschen Jimmy Kimmel, keinen Stephen Colbert – und Jan Böhmermann ist auch kein John Oliver. Aber Sie, Harald Schmidt, Sie waren der David Letterman des Deutschen Fernsehens. Ein Andersmacher, der in den 1990er Jahren mit seinen Witzen unsere Grenze des guten Geschmacks verschoben hat.

Geschenkt, dass Sie Ihre Pension auf dem Traumschiff verbringen oder auf Empfängen des Schweizer Rechts-Blattes Weltwoche. Sie waren Organist, aber mussten Sie deshalb auch einer dieser Fernseh-Opern-Opas werden, die ihren verblassenden Ruhm ausgerechnet durch Klassik-Auftritte aufrecht erhalten: Tommy, Eckart, Desireé – und eben Sie?

Hören Sie auf, uns die Musik als Wärmedecke anzudrehen!

Das Fernsehen hat Sie ausgespuckt, weil Sie die Zeit überholt hat. Glauben die Leute, die Sie heute engagieren, dass Sie perfekt in die Klassik passen, weil die Zeit in ihrer Welt auch stehengeblieben ist? Weil Sie selbst ein Klassiker sind? Sie sind ein Opi, der Vergangenheit spielt: Im Weißen Rössl oder in der Dubary an der Wiener Volksoper, in Konzertabenden an der Seite von Klaus Florian Vogt und nun auch in Graz, als Erzähler, der hilflos versucht, Schostakowitsch Operette Moskau, Tscherjomuschki in Zeiten des russischen Angriffskrieges nicht ganz so schlimm aussehen zu lassen.

Ich ertrage das nicht und schaue lieber die alten Folgen der Harald Schmidt-Show auf Youtube – die sind noch immer innovativer, moderner, radikaler und lustiger als ihre Seniorentrips in die Welt der klassischen Musik.  

Axel Brüggemann

Axel Brüggemann arbeitet als Autor, Regisseur und Moderator. Er war als Kulturredakteur und Textchef bei der Welt am Sonntag tätig und schrieb danach für die Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung. Heute veröffentlicht er u.a. im Tagesspiegel, im Freitag, der Jüdischen Allgemeinen oder in der Luzerner Zeitung. Er arbeitet für Radiosender wie den Deutschlandfunk, den WDR oder den HR. Seine Fernsehsendungen und Dokumentationen (für ARD, ZDF, arte oder SKY) wurden für den Grimmepreis nominiert und mit dem Bayerischen Fernsehpreis ausgezeichnet. Brüggemann schrieb zahlreiche Bücher u.a. für Bärenreiter, Rowohlt, Beltz & Gelberg oder FAZ Buch.

Fördern

Artikel auf BackstageClassical sind kostenlos. Wir freuen uns, wenn Sie unabhängigen Klassik-Journalismus fördern.

Mehr aktuelle Artikel

Nast bleibt bei den Wiener Symphonikern

Nach erfolgreicher Arbeit, der Intendant Jan Nast bleibt fünf weitere Jahre in Wien English summary: Jan Nast’s contract as Artistic Director of the Vienna Symphony has been extended to 2032. Since 2019

Lieber Peter Noever,

man muss einfach auch mal sehen, wenn man ein Spiel verloren hat. Jetzt kommen Sie noch Mal mit dem ollen Currentzis um die Ecke, dem Sie den Orden Ihrer lächerlichen Ösi-Kurie anheften

Klassik zwischen Sparen und Klotzen

Der Newsletter: Heute mit dem Trick, leise zu sparen, Sting an der MET, zwei neuen Opernhäusern und allerhand positiven Nachrichten aus der Welt der Klassik.  

Berlin spart ohne Struktur

In ihren Plänen vermeidet Berlins Kultursenatorin Sarah Wedl-Wilson den großen, strukturellen Wurf. Dabei wäre genau das eine Möglichkeit, um Berlins Kultur langfristig zu sichern.

Wotan ist tot

Der neuseeländische Bassbariton Sir Donald McIntyre ist mit 91 Jahren in München verstorben.

Lieber Sting,

als ich Sie vor 20 Jahren für den Stern besucht habe, erklären Sie mir: »Der Rock liegt im Sterben«. Damals haben Sie den elisabethanischen Minne-Musiker John Dowland entdeckt. Sie waren ausgebrannt und

So soll Hamburgs neue Oper aussehen

Spektakuläre Terrassen an der Elbe: Die Bjarke Ingels Group (BIG) aus Kopenhagen hat den internationalen Wettbewerb für den Neubau der Hamburger Oper am Baakenhöft in der HafenCity gewonnen.

Werdet wieder sexy – arm bleibt ihr sowieso

Die deutsche Kulturpolitik steht unter Spardruck, der Mut zu Reformen fehlt. Beim Hauptstadtkulturgespräch des VBKI wurde deutlich: Zukunftsfähig bleibt Kultur nur, wenn sie sich öffnet – für neue Finanzierungswege, neue Zielgruppen und