Willkommen in der neuen Klassik-Woche,
heute mit Kultur-Angriffen der AfD, mit Annäherungen aus der Popmusik, mit Irrungen eines Intendanten und einem Jodeldiplom
AfD-Wahnsinn in Weimar
Als ich diesen Sommer von einem Gespräch mit Valentin Schwarz aus Bayreuth nach Hause kam, dachte ich: »Als Teil der neuen Weimar-Intendanz ist er aber handzahmer denn als Ring-Regisseur.« Schwarz sprach davon, das er das Theater als Ort der »offenen, freiheitlich demokratischen Ordnung« etablieren und eine »Position gegenüber der AfD« einnehmen wolle. Nun stellt die AfD im Weimarer Stadtrat auch aufgrund dieses Interviews die städtischen Zuschüsse für das Deutsche Nationaltheater (DNT) infrage. Oberbürgermeister Peter Kleine (CDU) verteidigt das DNT und erklärt, dass politische Zensur mit der Freiheit der Kunst unvereinbar sei. Schwarz und sein Team sagten BackstageClassical, dass ihre Arbeit auf künstlerischer Freiheit, Vielfalt und demokratischen Werten basiere. Ich hatte bereits zuvor in einem langen Essay die kulturpolitische Ausrichtung der AfD kritisch beschrieben: Der Kulturkampf gegen das einmalige deutsche Theatersystem hat längst begonnen. (Die ganze Geschichte gibt es hier)
Von Weimar zu Weimer
Letzte Woche hatten wir uns ausführlich mit Kulturstaatsminister Wolfram Weimer beschäftigt. Nun erklärte er im Deutschlandradio-Interview, dass er das Amt nach dieser Legislaturperiode wieder verlassen wolle und in das Mediengeschäft zurückkehren werde. Weimer sagte, es mache ihn frei, kein Parteimitglied zu sein. Er müsse nicht wiedergewählt werden, wolle aber noch »ein paar Dinge für die Kultur erreichen«. Ob Joe Chialo schon mit den Hufen scharrt?

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Was der Pop von uns lernen kann!
Was für ein Hype: Ein provokanter Titel (Berghain), ein großes Orchester (London Symphony), ein Bügeleisen und ein wenig Horror: Fertig ist die Pop-Provokation! Das Netz debattiert heftig über das neue Video der Sängerin Rosalía. Auch, weil die Künstlerin darin immer Klassik zitiert. So innovativ ist all das aber nicht. Die Geschichte von Pop und Klassik kennt bessere Ergebnisse. Ich habe mich auf Spurensuche begeben: Von Freddy Mercury über die Beatles bis in unsere Gegenwart. Trotzdem staunt der Pop immer wieder darüber, wie inspirierend wir Klassik-Fuzzis sein können, und immer mehr Intendantinnen und Intendanten hoffen, dass TikTok-Stars ihnen die Bude voll machen. Diese Art der Anbiederung klappt allerdings selten. Der ganze Essay hier.
Russische Schattierungen
Meine Meinung über Anna Netrebko habe ich im Laufe der Zeit verändert (in Zürich hat sie offenbar gerade triumphiert, wie unser Kritiker Georg Rudiger schreibt – wenn auch mit Maschinengewehr im Gebäude der UN). Anders sieht für mich die Sache bei Teodor Currentzis aus, dessen Wagner-Tournee nicht überall gut ankam. Im Tagesspiegel schrieb Kollege Ulrich Amling: »Plötzlich fühlt man sich dem abdankenden Gottvater Wotan nahe, der nur noch eines herbeisehnt: das Ende…« (Autsch!) Wer immer noch nicht denkt, dass Kultur für Vladimir Putin eiskalte Propaganda ist, hat es vielleicht begriffen, als der Kreml-Diktator dem Pianisten Justus Frantz letzte Woche den russischen Freundschaftsorden in die Brust stach. Ich bin Frantz früher öfter begegnet – sein Verfall ist ein Trauerspiel. Heute füttert er Sahra Wagenknecht und Alice Weidel oder reist (ebenso wie AfD-Cellist Matthias Moosdorf) nach Russland. Frantz denkt wahrscheinlich, es sei Liebe aus Moskau, mich erinnert all das eher an eiskalten PR-Missbrauch! Und das habe ich ihm auch geschrieben. Russische Kulturpropaganda wittert Verona inzwischen auch bei Ildar Abdrasakow und hat dessen Engagement abgesagt.

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Personalien der Woche
Salzburg kommt nicht zur Ruhe. Letzte Woche haben wir berichtet, dass sich das Kuratorium der Festspiele mit den Vorwürfen von Ex-Schauspielchefin Marina Davydova gegen Intendant Markus Hinterhäuser beschäftigen will. Ich habe Landeshauptfrau Karoline Edtstadler dazu einen Brief geschrieben. +++ Die Entlassung der Kasseler Schauspieldirektorin Patricia Nickel-Dönicke ist »gegenstandslos«. In einem gemeinsamen Pressestatement erklärten beide Seiten, dass der wahre Grund der Trennung Meinungsverschiedenheiten zwischen Intendant Florian Lutz und Nickel-Dönicke gewesen seien und dass man sich nun gütig geeinigt habe.+++ Der ehemalige Intendant der Wiener Staatsoper, Dominique Meyer ist heute Chef des Orchestre de Chambre in Lausanne. Außerdem leitet er neuerdings den Freundeskreis der Wiener Staatsoper – einen Club, den Meyers Nachfolger Bogdan Roščić wohl eher nicht als Partner begreift, sondern als nervigen Kritik-Verein. Ich habe Meyer in einem Brief gefragt, ob es sehr weh tut, wenn man sein Selbstwertgefühl verliert, und warum das Loslassen auch anderen Wiener Ex-Intendanten so schwer fällt. +++ Bis zu seinem Tod 1982 hat Komponist Carl Orff auf einem Anwesen oberhalb des Ammersees gelebt. Dort ist ein neues Carl Orff Museum entstanden – der BR stellt es vor. +++ Am Donnerstag wurde das Konzert des Israel Philharmonic Orchestra mit Lahav Shani in der Philharmonie de Paris mehrfach durch pro-palästinensische Aktivistinnen und Aktivisten gestört, die unter anderem Rauchfackeln im Zuschauerraum zündeten. Bereits am Vortag war es bei einem Auftritt des israelischen Orchesters in der Kölner Philharmonie zu Zwischenrufen gekommen.

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Brief an – und Briefe von Brüggi…
Wer Briefe schreibt, muss auch Briefe empfangen können. Unser Kolumnist Thomas Schmidt-Ott war nicht glücklich mit meinem kritischen Schreiben an Opern-Mäzen Klaus-Michael Kühne. Also hat er sich in dessen Haut versetzt und mir zurückgeschrieben, warum Kühne ein idealer Sponsor für die Hamburger Oper sei. Hier sein Brief, der mich natürlich nicht überzeugt hat. Weitere Briefe der Woche waren:
- Brief an Mirga Gražinytė-Tyla für ihre besonnene Karriere
- Brief an Karoline Edtstadler vor der Salzburger Kuratoriumssitzung
- Brief an Justus Frantz für seinen neuen Russen-Orden
- Brief an Dominique Meyer als Freund der Staatsoper
Und wo bleibt das Positive, Herr Brüggemann?
Ja, wo zum Teufel bleibt es denn? Vielleicht ja hier? Die Schweiz will das Jodeln zum immateriellen Weltkulturerbe erheben. Sie hat einen entsprechenden Antrag bei der Unesco eingereicht. In der Schweiz gibt es rund 12.000 aktive Jodlerinnen und Jodler in fast 800 Gruppen. An der Hochschule Luzern kann man sogar einen Master-Abschluss im Jodeln machen. Um die Tradition zu erhalten, soll Jodeln künftig auch an Grundschulen unterrichtet werden. Im Dezember soll über den Antrag entschieden werden. Ich stimme als Unterstützung den Erzherzog-Johann-Jodler an: »du dödl di – dö dudl dö«…
In diesem Sinne: Halten Sie die Ohren steif.
Ihr
Axel Brüggemann

