30 Jahre Netrebko auf der Opernbühne. Das hätte Anlass für eine spannende Doku sein können. Leider ist es nur ein PR-Film ihres Managements, in dem Justus Frantz die Stimm-Karriere kommentiert.
English summary: Anna Netrebko’s 30-year operatic career could have inspired a compelling documentary. Instead, the film she shared on Instagram, available on her manager Miguel Esteban’s YouTube channel, feels more like a PR piece. Notably, Justus Frantz, a German pianist known for his pro-Putin stance, provides commentary. The absence of key Western collaborators, such as Nikolaus Harnoncourt, Peter Ruzicka, Rolando Villazon, Placido Domingo, and Elina Garanca, is glaring. One wonders how different this film might have been had Netrebko distanced herself from Putin’s Russia earlier. This was a missed opportunity to create a nuanced documentary reflecting on her complex career.
Anna Netrebko hat auf Instagram gerade einen Film zu ihrem 30. Bühnenjubiläum vorgestellt. Zu sehen auf dem YouTube-Profil ihres Managers Miguel Esteban. Stellen wir uns einen Moment lang vor, wie ein solcher Film ausgesehen hätte, wenn Putins Russland die Ukraine nicht brutal und völkerrechtswidrig angegriffen und die Sängerin früher klar Position bezogen hätte. Es wäre sicherlich eine epische Doku geworden: Alte Interviews und Probeszenen mit Nikolaus Harnoncourt, dann Peter Ruzicka über seine Salzburg-Entdeckung, O-Töne von Weggefährten der Deutschen Grammophon, von Rolando Villazón, Placido Domingo und Elina Garanča. Es wäre sicherlich eine ZDF-Hauptprogramm-Doku geworden, ein BBC-Feature – ein Kinofilm! Doch die Zeiten haben sich geändert.
Nun ist der prominenteste deutschsprachige Künstler, der in der Doku über »die Netrebko« redet ausgerechnet Justus Frantz! Deutschlands ehemaliger Klassik-Onkel und Klavierspieler, der noch heute in Russland auftritt und immer wieder für eine Annäherung des Westens an Putin wirbt.
Dass darüberhinaus alte russische Weggefährten auftreten gehört zu Netrebkos Vita und ist zum Teil sogar sehr erhellend. Aber dass ihr gesamter Aufstieg im Westen seit ihres Salzburg-Debüts und ihrer Deutschen Grammophon Karriere nicht von entscheidenden Wegbegleitern dieser Zeit kommentiert wird, ist irgendwie: falsch. Was wäre das für eine Chance gewesen. Eine Chance für eine spannende Dokumentation, eine streitbare Dokumentation, eine Dokumentation, meinetwegen, die alle Zerrissenheit der Karriere beleuchtet hätte.
Nun schaut man dieser Doku ein wenig mitleidig zu wie einem Autounfall. Warum haben Netrebko, ihr Management, aber warum hat nicht auch das ZDF den Mut gehabt, den Anlass zu nutzen, um das Vergangene aus dem Heute einzuordnen. Um über die Zerrissenheit zu sprechen, die Zerrissenheit zwischen der russischen Heimat und der westliche Wahlheimat der Sängerin, die ihr gerade wieder Türen öffnet? Ja, dieser Film wäre eine Chance gewesen. Eine Chance für eine spannende Begegnung und für ein Stückchen Wahrhaftigkeit. So aber wird die wohl bekannteste Stimme unserer Zeit (und das ist Netrebko wohl) in einem – nun ja – zweitklassigen YouTube-Film gefeiert. Eigentlich ein Trauerspiel.