Die Komische Oper, die Staatssekretärin und Joe Chialo – ein Kommentar

Juli 11, 2024
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Joe Chialo (Foto: Heidrich)

Angeblich will Berlin die Baustelle der Komischen Oper einfrieren. Eine weitere Krise für Senator Joe Chialo, der von einem Fettnäpfchen ins nächste tritt.

Berlins Kultursenator Joe Chialo ist bekannt für seine flotten Sprüche und für perfektes Marketing in eigener Sache. Seine Wahlwerbespots hat er gern mit Rammstein-Musik unterlegt, in Sachen Klassik ist er seit Amtsantritt allerdings eher ein lernunwilliger Nachhilfeschüler. Es ist kein Geheimnis, dass Joe Chialo sich nach den Bundestagswahlen unter einer eventuellen CDU-Regierung von Friedrich Merz Hoffnungen auf den Job als Kulturstaatsminister und Nachfolger von Claudia Roth macht. Doch dafür erlaubt er sich derzeit wohl einige Fehler zu viel.

Da war der geplante Umzug der Landesbibliothek in die ungenutzte Lafayette-Imobilie. Er ist gescheitert, weil Chialo seinen eigenen Senat nicht mitgenommen hat. Es folgte die Schlappe mit der Antidiskriminierungsklausel. Sie floppte, weil Chialo schlichtweg politisches Handwerk vermissen ließ. Und nun meldet die B.Z., dass es auch Probleme beim Umbau der Komischen Oper gibt (auf die Berliner Zeitung schreibt über dem Baustopp).

Der Sprecher der Berliner Kulturverwaltung, Christopher Suss, erklärt gegenüber der Zeitung, dass man gezwungen sei, nach Einsparmöglichkeiten in Höhe von acht bis 12 Prozent zu suchen. Da scheint die Baustelle an der Behrenstraße offenbar eine effektive Lösung für den Senator zu sein. Der Regierende Bürgermeister Kai Wegner lässt angeblich den laufenden Umbau bereits prüfen und plant, die Bauarbeiten möglichst schnell einzufrieren. Angeblich sollen lediglich noch 16 Millionen Euro in die Sicherung der Baustelle investiert werden – dann sei erst einmal Schluss. Das umstritten Architektur-Konzept soll neu überdacht werden, und in der »Denkpause« könnten 50 Millionen Euro pro Jahr eingespart werden. Ins Gesamt wird der Umbau derzeit noch mit einer halben Milliarde Euro kalkuliert.  

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All das wurde noch nicht offiziell bestätigt, ebenso wenig wie ein anderer Streit zwischen dem Regierenden Bürgermeister Kai Wegener und seinem Kultursenator Chialo. Doch ein Großteil der Berliner Kulturszene flüstert hinter vorgehaltener Hand ziemlich laut über das Gerücht eines missglückten Rauswurfes der Kultur Staatssekretärin: Joe Chialo soll demnach die ausgewiesene Klassik-Expertin und ehemalige Direktorin der Hanns Eisler Musikhochschule, Sarah Wedl-Wilson, auf die Abschussliste geschrieben haben. Das wiederum soll dem Regierenden Bürgermeister nicht gefallen haben. Und da die Personalhoheit bei Wegner liegt, beschloss er: Wedl-Wilson bleibt. Vielleicht, weil sie über politische Tugenden wie einen gepflegten Umgangston, gute Netzwerke, fleißiges Aktenstudium, gute Vorbereitung und Zielstrebigkeit verfügt, die Chialo weitgehend fehlen? 

Offensichtlich wurde der Streit der beiden zunächst für die Teilnehmer der Findungskommission für den Posten des Konzerthaus-Intendanten: Wedl-Wilson hatte die Kommission zunächst geleitet, bis Chialo den Job selber übernahm und zwei der Berater ausgestiegen sind (BackstageClassical hatte berichtet). Inzwischen beklagen sich immer mehr Berliner Kulturschaffende über den Senator, der lieber Bundesparteitage besuche als den Dialog vor Ort zu suchen, darüber, dass es Chialo mehr um sein Ego und weniger um die Kultur in Berlin gehe. Auffällig ist auch die Fluktuationsrate der Mitarbeiterinnen und Mitarbieter in Chialos Büro.

Die Debatte um die Komische Oper (und dass sie überhaupt nach außen drang) ist offensichtlich ein weiteres Zeichen, dass der Kultursenator nicht so genau weiß, was er tut. Erst vor zwei Wochen wurde bekannt, dass die durchschnittliche Besucherhäufigkeit von Kulturangeboten in Berlin um etwa 40 Prozent gesunken sei. Gerade jetzt braucht es einen Kultur-Arbeiter an der Spitze des Senats, keinen Polit-Schauspieler.           

Axel Brüggemann

Axel Brüggemann arbeitet als Autor, Regisseur und Moderator. Er war als Kulturredakteur und Textchef bei der Welt am Sonntag tätig und schrieb danach für die Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung. Heute veröffentlicht er u.a. im Tagesspiegel, im Freitag, der Jüdischen Allgemeinen oder in der Luzerner Zeitung. Er arbeitet für Radiosender wie den Deutschlandfunk, den WDR oder den HR. Seine Fernsehsendungen und Dokumentationen (für ARD, ZDF, arte oder SKY) wurden für den Grimmepreis nominiert und mit dem Bayerischen Fernsehpreis ausgezeichnet. Brüggemann schrieb zahlreiche Bücher u.a. für Bärenreiter, Rowohlt, Beltz & Gelberg oder FAZ Buch.

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