wir waren einmal gemeinsam Schuhe kaufen. Ganz am Anfang Ihrer Karriere, noch vor dem Salzburger Figaro 2006. Ich war damals für die Welt am Sonntag nach Wien geflogen, wollte mit Ihnen über Mozart plaudern, über die Philosophie der Charaktere und die Geschichte der Musik. Sie wollten lieber shoppen – und ich trottete hinterher.
Für mich waren Sie nie eine neue Maria Callas. Dafür fehlt Ihrer Stimme das Blattgold aus dem Himmel und ihren Auftritten die Grandezza. Ihre Welt kommt ohne komplizierte Vorzeichen aus. Lange herrschte bei Ihnen C-Dur: Geburtstagsparty im Kreml, Spitzentöne für weiß-blau-rot – und Weltkarriere.
Aber seit 1.330 Tagen bombt Ihr alter Kumpel Vladimir Putin die Ukraine in Grund und Boden, mordet Kinder und Greise, zerstört Krankenhäuser, Schulen – und Opern! Wir leben in einer Welt in as-Moll.
Am Anfang sind Sie auf der Grenze der Weltgeschichte herumgeirrt wie ein Towarisch nach zu viel Wodka. Sie wollten auf zwei Hochzeiten tanzen: Wiener Walzer und Kasatschok. Dafür mussten Sie viel Prügel einstecken – auch von mir.
Heute blicke ich anders auf Sie: Kein Gastspiel mehr in Russland. Keine öffentlichen Bekenntnisse zum Krieg gegen die Ukraine. Keine Engagements mit Valery Gergiev. Keine Kohle aus Russland. Es muss Ihnen schwerfallen, Ihre Heimat aus Ihrem Fleisch zu schneiden, denn Sie sind aus dem Holz einer russischen Matruschka geschnitzt. Aber Sie erheben Ihre Stimme nur noch für Tosca, Lady Macbeth oder – wie bald in Zürich – Donna Leonora.
Ich habe noch immer keine Lust, eine Vorstellung von Ihnen anzuhören. Aber ich finde es auch falsch, Sie zu canceln. Die Schuhe, die Sie damals gekauft haben, waren – wenn ich mich recht erinnere – Cowboystiefel.
Alle weiteren Briefe von Brüggi: hier.