Lotte de Beer verwandelt die Zauberflöte an der Volksoper Wien zu einer Coming of Age-Parabel. Tamino rettet Pamina vor ihren Scheidungseltern Sarastro und der Königin der Nacht.
English summary: At Vienna’s Volksoper, Lotte de Beer reimagines The Magic Flute as a coming-of-age tale: Tamino rescues Pamina, caught between her divorced parents, Sarastro and the Queen of the Night. A 14-year-old protagonist dreams himself into magical worlds, with animated sketches forming the set. Though imaginative and child-focused, the production weakens in its second half, losing Papageno’s spark and dramatic force.
Um ehrlich zu sein habe ich noch nie verstanden, warum ausgerechnet die Zauberflöte andauernd als Kinderoper aufgeführt wird. Schließlich geht es um ziemlich abgehobenen Freimaurerkram, um moralisch-philosophische Annäherungen an Weisheit und Tugend, um selbst für Ägyptologen schwer entschlüsselbare Götterbilder, es gibt böse schwarze Menschen, und gleich zweimal kommt das Thema Suizid vor. Ganz abgesehen davon, dass ein ziemlich abgehalfterter Männerorden andauernd über Liebesdinge entscheidet. Nein, emanzipatorisch ist dieses Libretto nicht – und kindgerecht wohl auch nicht.

Trotzdem habe auch ich dieses Mal ein Kind in die Zauberflöte mitgeschleppt, denn an der Wiener Volksoper wollte Intendantin Lotte de Beer explizit eine Inszenierung auf die Bühne stellen, die sich an Kinder und Jugendliche wendet – ihr Protagonist ist 14.
Zunächst funktioniert all das auch erstaunlich gut: Ein Junge sitzt auf der Bühne, beginnt zu zeichnen. Über seine streitenden Eltern, den schiefen Haussegen, über seine Flucht in die Kunst, in die Welt, in den Himmel – in ein Bett aus lauter Träumen. Die Skizzen werden zu bewegten Bildern, die fortan als Bühnenbild fungieren (einfühlsam und lebendig gestaltet von Christof Hetzer und Roman Hansi).
In seiner Phantasie reist der Junge durch Weihnachtsbaum-Welten, nächtliche Badewannen-Seen oder in Sarastros Wüstensand. Eine verrückte Traumreise als Coming of Age-Story.
Lotte de Beer hat den Handlungsrahmen klug gestrickt: Pamina ist Scheidungskind von Sarastro und Königin der Nacht – beide quatschen andauernd mit ihren Wahrheiten auf sie ein und reden den Anderen schlecht. Kein Wunder, dass Pamina lieber auf dem Badewannenschiff von Tamino anheuert und in die Zukunft einer eigenen Partnerschaft segelt.
Es bleibt nicht aus, dass eine solche Lesart genau jenen Charakter schwächt, weshalb die Zauberflöte oft als Kinderoper verstanden wird. Papageno ist an diesem Abend weniger treibende Kraft oder Identifikationsfigur als ein ängstlicher Wegbegleiter mit Fliegerbrille und nervösem Griff an seine Sporthose. Seine Beziehung zu Papagena bleibt an diesem Abend Nebensache.
Auch deshalb verliert die grundsätzlich turbulente Inszenierung im zweiten Teil an Kraft, die Fäden fallen auseinander, und Feuer- und Wasserprüfung werden eilig abhandelt. Irgendwas passt nicht mehr, wenn Sarastro am Ende »Die Strahlen der Sonne« feiert. Klar, die Kinder emanzipieren sich vom Gut-und-Böse-Denken ihrer Eltern, die Trennung als Inspiration für die eigene, große Lebensoper?

Tobias Wögerer gibt dem Orchester der Volksoper einen guten Drive und klare Struktur. Er schaltet wieder einige Gänge runter von Turbo-Dirigat, das zuvor Omer Meir Wellber vorgelegt hatte, und schafft es dennoch, musikalisch nie stehenzubleiben. Alles treibt, alles arbeitet mit großen Kontrasten und vielen Farben.
Schade, dass die Stimmen all dem an diesem Abend kaum folgen konnten. Denn auch das ist ein großes Mozart-Missverständnis: Die vermeintlich klaren Charaktere stellen höchste Anforderungen an ihre Sängerinnen und Sänger.
Am Ende habe ich schon irgendwie verstanden, wie man die Zauberflöte als Kinder- und Jugendoper erzählen könnte. Aber der Abend hat auch gezeigt, dass dafür allerhand Verrenkungen nötig sind. Er hat ebenfalls gezeigt, dass viele Kinder und Jugendliche in der Oper saßen – ziemlich aufmerksam und voll bei der Sache. Will man mehr?

