Lydia Grün wird neue Präsidentin des Deutschen Musikrates. Eine gute Wahl. Aber sie hat auch viel aufzuholen. Ihre Institution ist zu sehr in die Jahre gekommen.
Die Musik in Deutschland steckt in einer Multi-Krise. An unseren Schulen fehlen tausende Lehrkräfte, das Fach Musik fällt zum großen Teil einfach aus. Deutsche Theater und Orchester werden zusammengespart, und der Betrieb an sich schafft es nur schwer, sich zu modernisieren. Machtmissbrauch, sexuelle Übergriffe und prekäre Arbeitsverhältnisse machen das Arbeiten um Musikbetrieb zunehmend unattraktiv. Unsere Institutionen werden vom Wandel überrollt. Es gäbe also viel zu tun für den Deutschen Musikrat.
Doch der ist in den letzten Jahren hauptsächlich durch ein Dauer-Lamento aufgefallen. Jeder Missstand wurde pflichtgemäß angeprangert – und damit auch irgendwie abgehakt. Eine Pressemitteilung hier. Eine Empörungs-Mail dort. Aber in Wahrheit wirkte Deutschlands größte kulturpolitische Musikorganisation unter ihrem alten Präsidenten Martin Maria Krüger eher wie eine Behörde. Dabei hatte der alte Präsident durchaus Verdienste. Er hat die marode Institution wieder ins finanzielle Gleichgewicht gebracht. Doch in den 22 Jahren seiner Amtszeit kam ihm irgendwann auch der inspirierende Geist abhanden. Der Musikrat sah in den letzten Jahren so gestrig aus wie sein ehemaliger Vizepräsident und Generalsekretär Christian Höppner: Ein uninspirierter Selbstdarsteller mit roter Fliege.
Neue Präsidentin neuer Kurs?
Dabei ist das Potenzial der Institution gigantisch: Über 100 Mitgliedsverbände, in denen Millionen Musikerinnen und Musiker aus Amateurchören und Profiorchestern vereint sind. Krüger und Höppner haben sich damit begnügt, Institution und Projekte wie das Bundesjugendorchester in den Vordergrund zu stellen und hinter den Kulissen zu netzwerken. Doch in den letzten Jahren zeigte sich auch die fehlende öffentliche Akzeptanz seiner Institution immer öfter. Selbst in Prestige-Veranstaltungen wie »Jugend musiziert« geriet in die öffentliche Kritik.
Die neue Präsidentin, Lydia Grün, ist an der Münchner Musikhochschule – ebenfalls als Präsidentin – wie ein Tiger losgesprungen: #Metoo, Strukturwandel und »heute das Morgen denken« waren Ihre Devisen. Aber sie musste auch schnell feststellen, wie zäh die Strukturen von Kulturinstitutionen sind und wie eingefleischt manch Rituale. So setzt das neugegründete Institut für Musikjournalismus an ihrer Hochschule bislang gar keine Impulse für zukünftige Modelle der Präsenz von Musik in der Öffentlichkeit. Stattdessen tut es so, als würde der alte Klassik-Markt noch immer bestehen.
Viele Aufgaben für die Neuen
Auch viele Lehrende machen – trotz eines Wandels an der Spitze – einfach weiterhin das, was sie immer getan haben: Unterricht ohne den Wandel mitzudenken. Dabei schafft Grün es durchaus, öffentlich zu wirken. Aber ihre Kernthemen – von einer gerechten Musikausbildung bis zu Innovationen auf dem Musikmarkt – sind noch lange nicht in allen Unterrichtsräumen ihrer Hochschule angekommen.
Trotzdem ist Lydia Grün eine gute Wahl für den Deutschen Musikrat! Ebenso wie Antje Valentin als Nachfolgerin von Christian Höppner. Zwei Frauen, die nicht nur den Willen, sondern auch die Durchhaltekraft haben, großen Wandel geduldig zu navigieren. Nie war der Musikrat so wichtig wie in diesen Tagen. Es wäre zu wünschen, dass er wieder zu einer spannenden und brodelnden Institution wird, deren Streit produktiv geführt wird und dessen Debatten ansteckend wirken. Es geht darum, die bieder-pragmatische Bundesinstanz in einen modernen Resonanzkörper für das deutsche Musikleben zu verwandeln. Unsere kriselnde Musiklandschaft hätte es dringend nötig!
 
            
 Axel Brüggemann
Axel Brüggemann 
                
 
                     
                     
                     
                     
                     
                     
                     
                     
                     
                     
                     
                     
                