»Political Correctness öffnet den Weg für Ideologien«

Mai 17, 2024
1 min read
Bushaltestelle vor dem Haus Wahnfried, dem Wagner-Museum in Bayreuth (Foto: BC)

Im Haus Wagner in Bayreuth wird um die NS-Vergangenheit gerungen, im Beethoven-Haus in Bonn der Mythos des Genies wissenschaftlich unterfüttert. Die Direktoren Sven Friedrich und Malte Boecker über ihre Arbeit.

Im Podcast der Liz Mohn Stiftung, Alles klar, Klassik?, sprechen Sven Friedrich vom Haus Wahnfried und Malte Boecker vom Beethoven-Haus Bonn über ihre Arbeit. Friedrich warnt davor, Geschichte unter den Teppich zu kehren, Wagner-Straßen umzubenennen oder Karajan-Büsten in Keller zu stellen. Er plädiert für ein aufgeklärtes Geschichtsbewusstsein und historische Kontextualisierung. Malte Boecker verweist darauf, dass gerade in unserer emotionalen Zeit die wissenschaftlichen Kriterien für Museen besonders wichtig seien. Hier geht es zum Podcast für alle Player. 

Sven Friedrich über die Umbenennung von Wagner-Straßen 

»Ich halte diese Tendenzen der Political Correctness für bedenklich. Letztlich ist das eine Geschichts-Entsorgung, die in Wahrheit den Weg für Ideologien frei macht. Es ist in meinen Augen ahistorisches Denken, die Geschichte vor dem Hintergrund unseres heutigen Denkens und unseres derzeitigen moralischen Verständnisses nachträglich zu eliminieren. Es ist gefährlich, weil man dadurch die Türen für eine Identitätszerstörung öffnet und sich verwundbar macht. Wenn wir über die Entsorgung von Kunstwerken oder über Straßen-Umbenennungen reden, muss man das im Einzelnen beleuchten. Prinzipiell habe ich das Gefühl, dass wir von einer geistigen Bücherverbrennung nicht weit entfernt sind.«

Sven Friedrich über das Erbe von Houston Stewart Chamberlain

»Houston Stewart Chamberlain ist eine Art Bindeglied zwischen Richard Wagner und Adolf Hitler. 2015 haben wir die Ideologie des Nationalsozialismus im Umgang mit dem Werke Wagners in unsere Ausstellung aufgenommen. Nun haben wir die Idee, dieses Thema über die Figur Chamberlain in dessen altes Wohnhaus in Bayreuth zu verlängern. Wir haben seine Bibliothek, und wenn man die sieht, wird einem atemberaubend klar, was für ein Horizont dieser Mann hatte. Es geht darum, das zu kontextualisieren und zu zeigen, wie die Transformation von Politik in Kunst bei Wagner stattgefunden hat und dann über Chamberlain wieder zur Transformation von Kunst in Politik wurde – spätestens bei Hitler. Ich halte es für eine sehr aktuelle Aufgabe, diese NS-Ideologiegeschichte als Kulturgeschichte zu dokumentieren, da wir hier sehen, wie Ideologisierung sich vollziehen kann. Deshalb war ich über das Gutachten des Kulturausschusses überrascht, das die nötigen Gelder zunächst einmal abgelehnt hat. Es geht hier um ein Projekt internationaler Tragweite, und es würde Bayreuth auf Grund seiner einschlägigen Geschichte gut tun, das auch zu dokumentieren.«

Anzeige

Malte Boecker über die Rolle der Museen im Heute

»Man darf nicht allein auf die Aura des Originals vertrauen. Es geht darum, den Mythos, der von vielen Leuten gesucht wird, wissenschaftlich zu kontextualisieren. Gerade in unserer hochemotionalen Zeit halte ich es für eine sehr wichtige Aufgabe der Museen, wissenschaftliche Kriterien hochzuhalten und gleichzeitig das Werk der Komponisten einer breiten Öffentlichkeit zugängig zu machen.«

BackstageClassical

BackstageClassical bringt Ihnen Debatten und Nachrichten aus der klassischen Musik. Die Seite ist kostenfrei. Bestellen Sie unseren Newsletter oder unterstützen Sie unseren unabhängigen Musikjournalismus durch Ihre Spende.

Fördern

Artikel auf BackstageClassical sind kostenlos. Wir freuen uns, wenn Sie unabhängigen Klassik-Journalismus fördern.

Mehr aktuelle Artikel

Liebe Konzertdirektion Adler,

ich weiß, der Klassik-Markt ist kein leichter! Aber, ey: Wie tief müsst ihr denn noch sinken, um Eure Igor-Levit-Karten an die Männer und Frauen zu bringen? Erst muss der arme Mann einen

Eislaufen mit Big P.

Eine Skulptur von Luciano Pavarotti mitten auf dem Eislaufring in Pesaro sorgt für Zoff. Dem Tenor hätte es gefallen, unter Leuten zu stehen.

Petition gegen Kultursparmaßnahmen in Stuttgart

Kürzungen bei Kultur, Bildung und sozialen Angeboten in Stuttgart stoßen auf massiven Protest zahlreicher Einrichtungen – nun wurde eine Petition gestartet. In einer Petition warnen Stuttgarter Kultur- und Sozialakteurinnen und -akteure vor

Wimmelbild vor Weihnachten

Nikolai Rimski-Korsakows Oper »Die Nacht vor Weihnachten« hatte Premiere an der Bayerischen Staatsoper in München: Generalmusikdirektor Vladimir Jurowski dirigierte, Barrie Kosky inszenierte. Hat das Haus ein neues Weihnachtsstück entdeckt?

Kollaps der musikalischen Ausbildung in Deutschland

Die neue Studie »MiKADO-Musik« warnt vor einer ernsthaften Krise an Musikschulen in Deutschland und Österreich. Fachleute sprechen von einem drohenden »Kollaps« der musikalischen Bildung, wenn Politik und Träger nicht rasch und koordiniert

Liebes Musikhaus Doblinger,

Du bist es ja eigentlich schon lange nicht mehr, das gute alte Wiener Verlagshaus von 1817! Verlag verkauft! Notengeschäft verscherbelt. Und nun droht auch dem Musikhaus im Ersten Bezirk das Aus: Der

Lieber Florian Lutz,

vielleicht erlauben sie mir unter uns zwei Kneipenbrüdern (war schön damals mit Ihnen nach der Carmen), zu versuchen, Ihnen als Außenstehender mal Ihr Haus zu erklären.   Sie sind Intendant in Kassel.

Verpassen Sie nicht ...