Die Met, die Salzburger Osterfestspiele oder Bayreuth suchen Finanzsponsoren in Saudi-Arabien, Katar und China. Verscherbeln sie den westlichen Rohstoff »Kultur« an Autokraten? Ein Kommentar von Antonia Munding.

Wir erinnern uns noch gut an die dicke Umarmung zwischen dem saudischen Kronprinzen Mohammed bin Salman und dem russischen Präsidenten Wladimir Putin. November 2018 war das, kurz nachdem der Regime-Kritiker und Journalist Jamal Ahmad Khashoggi vor den Augen der Weltöffentlichkeit ermordet worden war – zerstückelt und wahrscheinlich in Säure aufgelöst.
Auf dem G 20 Gipfel in Argentinien klatschten sich die Despoten damals wie alte Kumpel gutgelaunt ab. Und während sich die führenden westlichen Staats-und Regierungschefs moralisch empörten, Wirtschafts-Boykotte verhängten und Deutschland sogar kurzzeitig seine Rüstungsexporte nach Saudi-Arabien einstellte, kritisierte Putin die westliche Sanktionspolitik als einseitig und bösartig.
Wieso – die sind doch gastfreundlich
Jetzt, acht Jahre später, schlägt Putins Schulterschluss mit dem saudischen Kronprinzen weitere Wellen. Der moralische Kompass des Westens ist angesichts anhaltender Kriege dauerhaft gestört, das Grinsen der Despoten breiter denn je. Und die Klassik macht da keine Ausnahme.
Peter Gelb, Intendant der Metropolitan Opera hat einen 200 Millionen Dollar-Deal mit den Saudis geschlossen, um sein seit Corona angeschlagenes Haus zu konsolidieren. Im Gegenzug will die Met ab 2028 für die kommenden vier Jahre jeden Februar in Riad gastieren. Produktionen wie Mozarts Zauberflöte und Puccinis La Boheme sollen den Anfang machen, saudische Sänger, Komponisten und Bühnentechniker bekommen die Möglichkeit, ihre Ausbildung in New York zu vervollkommnen.
Auch die Osterfestspiele Salzburg haben sich nach einem neuen Hauptsponsor umgesehen – ausgerechnet in Katar – wo man längst nicht mehr nur auf westlichen Fußballplätzen mitkicken will. Kritik an seinem Coup lächelt Intendant Nikolaus Bachler als altmodisch weg, um im selben Atemzug die Gastfreundschaft der Kataris zu loben. Klar, die kennt keine Grenzen, hat sie doch selbst der Hamas-Kommandozentrale Luxus-Wohnungen in Doha eingerichtet.
Der Westen spart, Arabien lockt
Doch nicht nur die arabische Halbinsel lockt westliche Festivals. Von 2025 bis 2027 wollen die Bayreuther Festspiele alte Inszenierungen und sogar eine Neuproduktion nach Shanghai bringen. Geht es hier tatsächlich »nur« um eine künstlerische Partnerschaft und um »Kulturaustausch«, wie Festspielchefin Katharina Wagner betont? Wohl kaum, auch Bayreuth braucht dringend frisches Geld. Dass China weltweit das Land mit den meisten Hinrichtungen ist und in Sachen Menschenrechtsverletzungen noch vor Saudi-Arabien und dem Iran rangiert, scheint dabei kein Problem.
Manuel Brug hat all das kürzlich für die Welt zusammengefasst und die fließenden Grenzen zwischen kulturellem Austausch und »Whitewashing« gebrandmarkt. Doch auch die Dynamik hat sich grundlegend geändert: Es gehört inzwischen zur Propaganda autoritärer Staaten zu sagen: »Wenn Eure Regierungen kein Geld mehr für Spitzenkultur ausgeben wollen – kommt zu uns!« Während die USA, Deutschland und Österreich ihre Kulturinstitutionen kaputt sparen, spielen sie also ausgerechnet jenen Sponsoren in die Karten, die freiheitliche und demokratische Werte nicht die Bohne interessieren. Aber welche Botschaft versendet Mozarts Zauberflöte, wenn unter gleicher Schirmherrschaft Regimekritiker mit dem Krummschwert geköpft oder westlich gekleidete Influencerinnen im Knast gefoltert werden? Unter Kronprinz Salman wurden allein 2024 345 Menschen enthauptet – die höchste Zahl an Hinrichtungen, die Amnesty International jemals in dem Land verzeichnete.
Doch Saudi-Arabien geht es mit seinen Klassik-Importen um mehr als »Whitewashing«. Es geht um nichts Geringeres als die Vormachtstellung auf der Weltbühne, die das Land in seiner Vision 2030 ganz offen anstrebt.
Mit der ersten saudischen Produktion Zarqua al Yamama (die immerhin noch von einem Australier komponiert, von einem deutschen Orchester und einer britischen Sängerin in der Hauptrolle gespielt und gesungen wurde) wollte man 2024 die westliche Opern-Geschichte nicht nur erweitern, sondern umschreiben.
Kultur ist unser Rohstoff
Das ist weit entfernt von einem kulturellen Brückenschlag, einer Verständigung auf Augenhöhe, wie sie tatsächlich im Oman seit den 1980er Jahren stattfand. Damals baute Sultan Quabus mit Hilfe westlicher Spitzenmusiker ein eigenes klassisches Orchester auf – über Jahrzehnte hinweg. Das Royal Oman Symphony Orchestra besteht (anders als das Qatar Philharmonic Orchestra) bis heute hauptsächlich aus Landsleuten und spielt sowohl klassische westliche als auch traditionelle omanische Musik.
Die milliardenschweren Finanzspritzen aus Asien und der Arabischen Welt senden gerade auch nach Deutschland ein fatales Signal. Eines, das den Staat schleichend aus seiner Verantwortung entlässt, die Kunst in Form von Subventionen zu schützen. Denn längst sind nicht nur Festivals, sondern so gut wie alle Stadttheater auf der Suche nach alternativen Finanzierungsmodellen. Aber was, wenn die Häuser im Förderkarussell aus der Kurve fliegen? Wie steht es dann um unser Land, dessen wichtigster Rohstoff doch auch in seiner einzigartigen (und unabhängigen) Kunst-und Kulturlandschaft besteht?
Gegenüber der New York Times beschrieb Peter Gelb das Geschäft mit Saudi-Arabien als richtigen Schritt. Nicht nur finanziell und künstlerisch, sondern die Met könne auf diese Weise künftig »menschliches Verständnis und mitfühlendes Denken« fördern. Darin schwingt nicht nur grenzenlose Naivität, sondern zugleich die törichte Arroganz des Westens.

