Die Intendantin der Semperoper, Nora Schmid, spricht im BackstageClassical-Podcast über die Bedeutung der Oper innerhalb einer Stadtgesellschaft, über die Konstruktion von Staatskapelle und Semperoper und über die Vielfalt als Ziel.
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English summary: In BackstageClassical, Semperoper Dresden’s director Nora Schmid discusses opera’s role as a space of community, dialogue, and empathy. Rejecting didacticism, she champions complexity over easy answers. The new season spans from Verdi’s Falstaff to Abrahamsen’s The Snow Queen, uniting tradition and modernity.
In der aktuellen Ausgabe des Podcasts von BackstageClassical spricht die Intendantin der Semperoper Dresden, Nora Schmid, über die Relevanz der Oper, ihre gesellschaftliche Rolle und die Bedeutung von Komplexität und Moral in der heutigen Zeit.
Schmid versteht die Oper als »einen Ort, der Gemeinschaft«, an dem Menschen unterschiedlichster Auffassungen zusammenkommen, ein Opernerlebnis teilen und anschließend miteinander ins Gespräch treten. Sie sieht die Kunstform als »Schule des Zuhörens und des Zuschauens« und als »gutes Training für Empathie«. Besonders in einer Stadt wie Dresden, in der Montagsdemonstrationen abgehalten werden und die AfD Erfolge feiert, will das Opernhaus ein verbindender Ort sein.
Schmid hebt die Semperoper als »mega international« hervor, als »möglichen Musterbetrieb für Sachsen«, der zeige, wie Menschen aus fünf Kontinenten im Miteinander Großes schaffen.
Schmid lehnt »didaktisches Theater« ab. Ihr Anliegen sei es nicht, mit einer Aufführung zu zeigen, »was richtig und was falsch ist«, sondern das Publikum zur eigenen Auseinandersetzung anzuregen. Dies stehe im Kontrast zur heutigen Suche nach »ganz einfachen Antworten« und »markanten, kurzen Sprüchen«. Die Oper fungiere stattdessen als »Schule der Komplexität und des gemeinsamen Weges«.
Schmid setzt auch in ihrer zweiten Spielzeit bewusst auf einen weiten Bogen im Programm – vom Barock bis zur Moderne. Die aktuelle Spielzeit eröffnet mit Verdis Falstaff, einem Wunsch von Chefdirigent Daniele Gatti, und umfasst Werke wie Poulencs Dialogues des Carmélites, Wagners Parsifal und die zeitgenössische Oper The Snow Queen von Abrahamsen.
Auszüge aus dem Gespräch
BackstageClassical: Sie stehen vor der zweiten Spielzeit als Intendantin der Semperoper Dresden. Wie ist es, an einem altehrwürdigen Haus neue Ideen zu etablieren, und welche Rolle spielt ein Opernhaus in einer Stadt wie Dresden?
Nora Schmid: Ein Intendantenalltag hält täglich Überraschungen bereit: von der Abendvorstellung bis zu mehrjährigen Planungen. Diese zweite Saison bringt vielleicht eine andere Gelassenheit mit sich, doch jede Produktion bleibt aufgrund neuer Konstellationen einzigartig. Der Mythos der Semperoper ist ein Riesenschatz, ein Geschenk, mit dem man spielen kann. In der vergangenen – übrigens der erfolgreichsten Saison seit 15 Jahren – haben wir den Bogen vom Barock bis zur zeitgenössischen Oper gespannt, und vielleicht haben wir auch ein bisschen mehr Leichtigkeit ins Haus gebracht.
Die Semperoper wird oft als »Tourismusoper« bezeichnet. Was entgegnen Sie diesem Stereotyp?
Nora Schmid: Die 50 Prozent externen Besucher kommen ja auch wegen uns! Weil wir außergewöhnlich sind: unser wunderschönes Haus, die beste Akustik, die Sächsische Staatskapelle als eines der besten Orchester und ein fantastischer Chor. Die Semperoper ist ein »Musterbetrieb für Sachsen«, der zeigt, wie Menschen aus fünf Kontinenten im Miteinander Großes schaffen.
Angesichts gesellschaftlicher Veränderungen in Dresden – durch Corona und Pegida – muss sich ein Opernhaus politisch positionieren?
Nora Schmid: Als Opernhaus können wir uns nicht politisch positionieren. Wir sind ein Treffpunkt der Gemeinschaft, wo Menschen unterschiedlichster Auffassungen zusammenkommen, ein Erlebnis teilen und ins Gespräch kommen. Diesen Austausch wollen wir fördern. Wir sind eine Schule des Zuhörens und des Zuschauens und ein gutes Training für Empathie. Wir möchten Denkanstöße geben, lehnen aber didaktisches Theater ab. Es geht nicht darum, zu zeigen, was richtig oder falsch ist, sondern zur eigenen Auseinandersetzung anzuregen, gerade weil einfache Antworten oft nicht existieren. Die Oper ist eine Schule der Komplexität und des gemeinsamen Weges.
Ihre Zusammenarbeit mit der Sächsischen Staatskapelle ist offenbar sehr dialogisch. Ist dies ein Vorbild, etwa auch für Leipzig, wo Oper und Orchester getrennt verwaltet werden?
Nora Schmid: Es wäre vermessen, uns als Vorbild zu bezeichnen. Die Staatskapelle war jedoch ein klarer Grund für meine Rückkehr, ich bin verliebt in ihren Klang. Wir haben ein konstruktives Miteinander und die Überzeugung, dass wir miteinander stärker sind als gegeneinander.
Sie setzen auf Ihr eigenes, vergrößertes Ensemble statt auf internationale Stars. Ist das ein bewusstes Modell der Opernfamilie?
Nora Schmid: Ja, wir haben unser Ensemble vergrößert, fördern die Entwicklung unserer Künstlerinnen und Künstler und möchten, dass sie in Dresden verwurzelt bleiben. Prominente Ensemblemitglieder wie Georg Zeppenfeld, Camilla Nylund oder Evelyn Herlitzius sind fest im Spielplan verankert, oft auch in neuen Rollen, wie Georg Zeppenfeld in Abrahamsens The Snow Queen. Wir schaffen Ensembles, die in ihrer Konstellation funktionieren und einen besonderen Resonanzraum zum Publikum aufbauen.
Das Programm der neuen Saison eröffnet mit Verdis Falstaff. Was sind die Highlights?
Nora Schmid: Falstaff war ein Wunsch von Daniele Gatti, unserem Chefdirigenten, und regt zum Schmunzeln über sich selbst an. Wir präsentieren den Klangfarbenreichtum unseres Lebens. Die Saison spannt den Bogen von Falstaff über Poulencs Dialogues des Carmélites, das hier eine Lücke schließt, Wagners Parsifal bis zu Dino Rotas Il cappello di paglia di Firenze. The Snow Queen von Abrahamsen ist mir wichtig, um die Vielfalt zeitgenössischer Oper zu zeigen und neue Werke in eine Rezeptionsgeschichte zu bringen.

