Lieber Thilo Mischke,

November 25, 2025
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Der Autor und Journalist Thilo Mischke (Foto: ARD)

gestern Abend habe ich zum Einschlafen den Podcast Hotel Matze mit Ihnen als Gast eingeschaltet. Aber anstatt runter zu kommen, bekam ich Puls. Vergessen wir In 80 Frauen um die Welt und die ganze alte Debatte. Womit Sie mich auf meine Schlafzimmer-Palme gebracht haben, war nicht einmal Ihre Ignoranz, sondern Ihre Forderung, dass wir alle so ignorant werden sollen wie Sie! 

Sie haben gesagt, dass Sie mit Theater (»Menschen schreien sich auf der Bühne dauernd an«) nichts am Hut haben – meinetwegen. Aber dann erklärten Sie, dass Theater überhaupt niedrigschwelliger werden müsse. So, dass Sie und jeder andere es versteht. Jedes Stück  müsse für alle zugänglich sein, verständlich ohne Vorwissen. Am liebsten so barrierefrei, dass wir Shakespeare und Mozart bergab mit Rückenwind erreichen. 

Klar, Kunst soll generell die Türen öffnen. Aber neben Fack ju Göthe muss es eben auch Faust II geben. Parsifal ist wie ein Marathon – da kommt das Glücksgefühl erst nach jahrelangem Training und 42 anstrengenden (und schmerzhaften) Kilometern. Kunst tut auch mal weh. Quantenphysik, Brückenstatik oder Zoologie versteht ja auch nicht jeder – und jede Kurvenbesprechung macht erst Spaß, wenn man die richtigen Formeln kennt.

Ich habe mir Ihr Gequatsche gestern Nacht noch 10 Minuten lang angehört und Sie dann ausgeschaltet – weil mich Leute aufregen, die Kunst kollektiv verflachen wollen und selber jede Ambition, sich von ihr herausfordern zu lassen, aufgegeben haben.

Axel Brüggemann

Axel Brüggemann arbeitet als Autor, Regisseur und Moderator. Er war als Kulturredakteur und Textchef bei der Welt am Sonntag tätig und schrieb danach für die Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung. Heute veröffentlicht er u.a. im Tagesspiegel, im Freitag, der Jüdischen Allgemeinen oder in der Luzerner Zeitung. Er arbeitet für Radiosender wie den Deutschlandfunk, den WDR oder den HR. Seine Fernsehsendungen und Dokumentationen (für ARD, ZDF, arte oder SKY) wurden für den Grimmepreis nominiert und mit dem Bayerischen Fernsehpreis ausgezeichnet. Brüggemann schrieb zahlreiche Bücher u.a. für Bärenreiter, Rowohlt, Beltz & Gelberg oder FAZ Buch.

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