
Willkommen in der neuen Klassik-Woche,
heute mit allerhand politischem Klassik-Hickhack und fehlender Diplomatie, mit einem großen Orchesterjubiläum, einer ausgekugelten Schulter und ein bisschen Besserwisserei. Aber erlauben Sie mir, diesen Newsletter mit einem etwas längeren Text über unsere Recherche der letzten Woche zu eröffnen – quasi mit einem kleine Backstage-Bericht von BackstageClassical.
Der Ärger mit der Ehre – eine Geschichte hinter den Kulissen
Am 14. Oktober fand in Wien die Verleihung des Ehrenzeichens für Wissenschaft und Kunst durch den österreichischen Bundespräsidenten Alexander van der Bellen statt. Bei der Veranstaltung fiel immer wieder der Name Teodor Currentzis. In den Gängen wurde getuschelt, dass auch der Dirigent mit Österreichs höchstem Orden für Kultur ausgezeichnet werden soll. Ich habe beim Bundespräsidenten nachgefragt und bekam eine klare Antwort: Nein, das sei falsch. Einige Tage später berichtete die Zeitung Kurier, dass Österreichs Vizekanzler und Kulturminister Andreas Babler offenbar genau diesen Antrag gestellt habe. Als ich erneut in der Präsidentschaftskanzlei anfragte, war man dort not amused. Man habe von Bablers Antrag selber aus der Presse erfahren, inzwischen sei das offizielle Ersuchen aber beim Präsidenten eingegangen. Verstimmung war in den Zwischentönen deutlich zu hören.

Bablers Pressesprecher, Simon Doujak, antwortete mir in einer erstaunlich formlosen und ziemlich naiven Mail – offensichtlich unterschätze er die Lage vollkommen. Darin übernahm Babler als SPÖ-Politiker plötzlich ein FPÖ-Framing und sprach von »Cancel Culture«. Dabei ging es nie ums Canceln, sondern im Gegenteil: um die höchste Auszeichnung Österreichs (die derzeit kein anderer lebender Dirigent hat)!
Ich habe all das in einem Artikel und einem Kommentar zusammengefasst. Seither überschlagen sich die Nachrichten: Der Standard berichtete ebenfalls (im Forum der Zeitung über 400 (!!!) Kommentare: Weitgehend Unverständnis und Entrüstung über Bablers Entscheidung und Argumentation. Als am Freitag dann auch Österreichs wichtigste Nachrichtensendung, die ZIB 1, einen Beitrag sendete, war der Vizekanzler plötzlich zu keiner Stellungnahme mehr bereit. Inzwischen hagelt es auch Kritik aus anderen Parteien und von der Ukrainischen Botschaft. Ein größeres kulturpolitisches Desaster hat in den letzten Jahren wohl kein österreichischer Politiker hingelegt.
Sieger mit ausgekugelter Schulter
Es ging hoch her beim Finale des German Conducting Award in Köln. Der aus Estland stammende Dirigent Henri Christofer Aavik hat den mit 15.000 Euro dotierten ersten Preis gewonnen. Für einige Anwesende wirkte es befremdlich, mit wie wenig Lust die Intendantin der Philharmonie, Ewa Bogusz-Moore, ihm gratulierte. Als Aavik dann erneut ans Pult trat, verrenkte er sich beim Dirigieren den Arm (der Knacks war in den ersten Reihen deutlich zu hören). Er musste mit der Ambulanz ins Krankenhaus gefahren werden – das Konzert dirigierte dann der Zweitplatzierte, der Chilene Luis Toro Araya zu Ende. (Hören Sie hier ein Interview mit Patrick Lange zum Dirigentenwettbewerb)
Wie gründet man eine Anlaufstelle für Übergriffe
Die Pianistin und Autorin Shoko Kuroe hat bei den Donaueschinger Musiktagen an einer Debatte über Machtmissbrauch im Musikbetrieb teilgenommen (wir haben letzte Woche bereits berichtet). Viele Kulturbetriebe sind gerade dabei derartige Stellen aufzubauen – aber was sollte man dabei beachten? Was sind die Erwartungen der Opfer? Wie kann man die Barriereschwelle für Beschwerden herabsetzen? Shoko Kuroe hat die wesentliche Punkte einmal aufgeschrieben: Ein kleiner Leitfaden.

Das moderne Orchester
Seit sechs Jahren leitet Jan Nast die Wiener Symphoniker (vorher war er bei der Staatskapelle Dresden). Diese Woche feiert sein Orchester 125. Jubiläum. »Nur wer vor Ort verankert ist, kann auch international strahlen«, sagt der Intendant im BackstageClassical-Podcast. Das Orchester spielt nicht nur im Musikverein Wien und im Wiener Konzerthaus, sondern auch im Beisl, in Museen, im Stephansdom und beim Prater-Picknick und strahlt international in Bregenz und Triest – oder nun auf einer Europa-Tournee. Ein Podcast über die Entwicklung eines zeitgemäßen Orchesters.
Kritiken bei BackstageClassical
- Georg Rudiger zieht Bilanz der Donaueschinger Musiktage
- Stephan Knies entdeckt den Edward Grieg Kor in Bergen
- Philipp von Studnitz über Daniel Hardings Ring in Rom
Ach, diese Besserwisser!
Die Kolumne unseres Kolumnisten Thomas Schmidt-Ott heißt nicht umsonst Diabolus in Musica. Diese Woche nimmt sich der ehemalige Leiter des DSO in Berlin die Klassik-Kommentatoren im Netz vor. Die vielen Besserwisser, die Tobias Kratzer an der Hamburgischen Staatsoper erklären wollen, wie es auch mit den Auslastungszahlen wieder hinhauen wird (Herr H. möchte »genießbare« neue Stücke – die Oper als Latte to go. Frau D. diagnostiziert ein Bildungsproblem bei Jugendlichen. Und Herr C. fährt für seinen Opern-Qualitätsurlaub lieber nach Berlin, weil »Hamburg Mittelmaß« sei.) Ein lesenswerter kleiner und böser Rundumschlag.
Personalien der Woche

Was war denn das? Andrea Bocelli stand im Büro von US-Präsident Donald Trump und trällerte »Time to say goodbye« – da musste ich ihm sofort einen Brief schreiben! +++ Intendanzwechsel am Theater in Luzern: Schauspieldirektorin Katja Langenbach und Tanzdirektorin Wanda Puvogel werden das Opernhaus von Ina Karr übernehmen, die an die Deutsche Oper am Rhein wechselt. +++ Der südafrikanische Nobelpreisträger JM Coetzee schreibt eine Oper aus seinem Roman Elizabeth Costello. Uraufgeführt werden soll sie 2027 in La Monnaie in Brüssel. +++ Am Wochenende war große Geburtstagssause für Johann Strauß! Was in den oft oberflächligen Feierlichkeiten vielleicht zu kurz kam: Strauß moderne Vermarktung seiner Musik. Ich empfehle sehr das Kapitel über das USA-Gastspiel des Walzerkönigs im Jahre 1872: 60.000 Gäste bejubelten den Importschlager aus Wien in Boston. Nachzulesen hier.
Briefe von Brüggi in dieser Woche
Auch diese Woche stand bei uns wieder jeden Morgen um sechs Uhr (Dienstag-Freitag) ein Brief online – hier sind sie noch einmal nachzulesen.
- Lieber Andrea Bocelli im Weißen Haus
- Lieber Andreas Babler zur Ehrung von Currentzis
- Lieber Harald Schmidt, Du Klassik-Recke
- Lieber François-Xavier Roth, willst Du so weiter machen?

Und wo bleibt das Positive, Herr Brüggemann?
Ja, wo zum Teufel bleibt es nur? Vielleicht ja hier! Ich bin – mal wieder – begeistert vom neuen Asterix: Globalisierung in Portugal – und Rom zittert vor den unbeugsamen Galliern! Dort hat das Opern-Theater inzwischen das Amphietheater ersetzt, und nach 60 Jahren stemmt Rom endlich mal wieder einen Ring des Nibelungen. Philipp von Studnitz hat sich für uns angehört, was Daniel Harding mit der Accademia Santa Cecilia auf die Beine gestellt hat. »Feinfühlig inszenierte Regisseur und Chéreau-Sellars-Adlatus Vincent Huguet eine Besetzung von Sängerinnen und Sängern, für die sich der Besuch lohnte. Michael Volle als gewohnt brillanter, textverständlicher und schauspielerisch starker Wotan. Okka von der Damerau als makellose, zutiefst präsente Fricka.« Die ganze Kritik lesen Sie hier. Von Studnitz endet seinen Text mit der Bitte: »Daniel Harding, dirigieren Sie mehr Wagner!«
In diesem Sinne: Halten Sie die Ohren steif
Ihr
Axel Brüggemann

